Was ist anti-jüdisch an Möllemanns Flugblatt?
Die Affäre um Jürgen W. Möllemanns Flugblatt wird immer peinlicher für die deutsche Öffentlichkeit. Die Reaktionen auf ein eher harmloses Flyer, welches sich für den Frieden im Nahen Osten und gegen einen notorischen Kriegsverbrecher und einen willigen Helfer ausspricht, gibt zu denken. Die Medien konkurrieren mit Enthüllungen über PolitikerInnen, die von der bevorstehenden Veröffentlichung des Faltblattes gewusst und diese nicht verhindert hätten.
Ohne FDP-PolitikerInnen in Schutz nehmen zu wollen und auch auf die Spendenaffäre einzugehen, stellt sich eine Frage, die unterzugehen scheint: Beinhaltet das umstrittene Flugblatt tatsächlich antijüdische Aussagen?
Sie können selber beurteilen. Hier ein Link zum Faltblatt:
http://www.juergenwmoellemann.de/aktuell/flyer/pdf/faltblatt.pdf
Viele JournalistInnen und PolitikerInnen wollten zuerst Judeophobie (fälschlicherweise Antisemitismus [*] genannt) darin lesen, dabei brachten mehrere diesen "Gutmeinenden" eher ihre eigenen antijüdischen Vorurteile ans Tageslicht, die sie auf Möllemann projizierten und ihn dafür auch noch verantwortlich machten. Dieser Vorgang erinnert an einen Rohrschachtest, bei dem der Proband in allen ihm gezeigten Tintenklecksbildern ganz perverse Sexszenen sieht. Als deshalb sein Psychologe eine schwere Perversion diagnostiziert, meint der Getestete: »Sie sind krank, denn Sie zeigen mir ja diese perversen Bilder!«
Nachdem einige das Faltblatt dann offensichtlich doch selber gelesen, und nicht nur im Chor nachgeplappert hatten, fiel es auch diesen auf, dass Möllemanns ausdrückliche Kritik gegen Ariel Sharon und Michel Friedman nicht als eine unberechtigte Attacke gegen sämtliche Juden bezeichnet werden kann. Plötzlich galt das Flugblatt nicht mehr als "antisemitisch" sondern nur noch als "anti-israelisch".
In diesem Handzettel steht aber:
»Jürgen W. Möllemann setzt sich seit langem beharrlich für eine friedliche Lösung des Nahost-Konfliktes ein: Mit sicheren Grenzen für Israel und einem eigenen Staat für die Palästinenser.«
Wer hierin eine anti-israelische Position lesen will, muss sich wirklich psychologisch behandeln lassen.
Mit seiner Kritik an der Sharon-Regierung steht Möllemann eigentlich nicht so weit entfernt von der gemässigten zionistischen Bewegung "Frieden Jetzt" (Peace Now). Wie kann diese Position also als anti-israelisch beschrieben werden? In Israel selber benutzen nur die Rechtsradikalen diese Bezeichnung für ihre politischen GegnerInnen vom Friedenslager.
Möllemanns KritikerInnen behaupten, dass dieser schon vorher seine Judeophobie dadurch bewiesen habe, indem er Michel Friedman für den Zuwachs einer anti-jüdischen Stimmung verantwortlich gemacht habe, und dass dieser Vorwurf im Hintergrund seines umstrittenen Faltblattes mitschwinge.
Damit soll Möllemann laut diesen KritikerInnen gemeint haben, dass die Juden an der Judeophobie selber schuld seien und er sich somit eines alt bekannten anti-jüdischen Vorurteils bedient habe. Dabei wird übersehen, dass die Situation der jüdischen Menschen heute eine völlig andere ist als vor 57 Jahren. Jüdische Funktionäre wie Michel Friedman, gehören nicht mehr zu einer verfolgten und sehr bedrohten Minderheit, sondern bilden eine sehr einflussreiche Kraft und missbrauchen zu oft ihre überproportionale Macht. Dieser Sachverhalt erweckt berechtigte Kritik und Aggressionen, die ernsthaft diskutiert werden müssen!
Selbstverständlich schwingen in dieser Situation alt bekannte Vorurteile mit, die aber jetzt mehrheitlich missbraucht werden, um vom Kernproblem abzulenken, nämlich dass es nicht angehen kann, eine Gruppe von Menschen ausserhalb einer kritischen Betrachtung zu stellen. Wir Juden brauchen keine 'Sonderbehandlung'!
Diese Sonderbehandlung lädt buchstäblich zu Machtmissbrauch und Korruption ein, die ihrerseits für immer grösser werdenden Unmut sorgen. Die Tabusierung dieses Themas verkleinert das Problem nicht, ganz im Gegenteil. Ein grosser Ausbruch von massiven anti-jüdischen Aktivitäten ist deshalb praktisch vorprogrammiert. Um dies zu verhindern, braucht es mehr Mut und Ehrlichkeit und nicht eine opportunistische verklemmte Judeophilie.
Insofern sollte der Vorwurf Möllemanns an die Adresse Friedmans, dass dieser mit seinem Verhalten den Judenhass fördere, nicht einfach als eine judeophobe Aussage abgetan werden, sondern als ernstzunehmende Beschreibung einer gefährlichen Entwicklung.
Viele jüdische Menschen geben im Privatgespräch zu, dass auch sie diese Kritik an Friedman teilen, und dass sein Eintreten für die grausame israelische Politik gegenüber den PalästinenserInnen überhaupt nicht in ihrem Interesse sei.
Kann es also sein, dass die massive Kritik der übereifrigen JournalistInnen und PolitikerInnen an Möllemanns Flugblatt nur eine durchsichtige Ablenkung von eigenen Gedanken und Vorurteilen sind?
Shraga Elam
Israelischer Recherchierjournalist und Friedensaktivist Zürich
[*] Der rassistische Hintergrund des Begriffs 'Antisemitismus' lässt sich gar nicht verstecken, denn er setzt offenkundig eine Rassentheorie voraus. Dies ist kein Zufall, da dieser Ausdruck von einem völkischen Vordenker des Nationalsozialismus, Wilhelm Marr, 1879 in Berlin geprägt wurde.
In einer Festschrift anlässlich des 70. Geburtstages des prominentesten Schweizer Juden, Sigi Feigl, wurde festgehalten:
»Da ... der falsche und irreführende völkisch-rassistische Ausdruck 'Antisemitismus' sich in der Umgangssprache durchgesetzt hat, soll er im folgenden für dessen moderne Erscheinungsform zur Anwendung gelangen.«
Diese Schlussfolgerung ist merkwürdig, die Begründung verlangt doch viel eher, dass der Begriff wie andere rassistische Ausdrücke abgeschafft werden sollte. Besser wäre das Wort »Judeophobie« als Bezeichnung für den Judenhass und negative Vorurteile gegenüber jüdischen Menschen. Die 'positiven' Vorurteile, bekannt als Philosemitismus, würden entsprechend als Judeophilie bezeichnet.