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Zum neuen Programm der DKP:

Ratlose Altgläubigkeit ohne Zukunft

Das im April 2006 nach jahrelanger Debatte verabschiedete neue Programm der DKP markiert keinen Fortschritt für die marxistische Theorie und Politik. Seine Einschätzung des aktuellen Entwicklungsstands des Kapitalismus und der Klassenkämpfe ist eine Ansammlung von Banalitäten (Beispiel: "Das 21. Jahrhundert knüpft an das vergangene an."), fehlerhaften Verallgemeinerungen, schlechten Formulierungen, krasser Fehler, revisionistischen Thesen und natürlich auch richtigen Elementen. Weil die sich zuspitzenden Widersprüche der kapitalistischen Entwicklung nicht herausgearbeitet werden, wird das sich entwickelnde Widerstandspotential gegen den Imperialismus unterschätzt. Insgesamt ist das Programm daher geprägt von einer pessimistischen Haltung hinsichtlich der Möglichkeiten der Entwicklung des Klassenkampfs der Arbeiterklasse.

Der Versuch, in das Programm eine populäre Zusammenfassung einer aktualisierten Imperialismusanalyse zu integrieren ("Imperialismus heute"), ist gründlich mißlungen. Hinzu kommt, daß es der DKP nicht gelingt, die deutsche Brille abzusetzen. Die Analyse der Kräfteverhältnisse in der Europäischen Union ist deutschlandlastig. Die Einschätzung des Verhältnisses von "Kapitalismus und Staat" ist teils mit der realen historischen Entwicklung unvereinbar, teils mehr von alten DKP-Dogmen (Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus") geprägt als von neuen Analysen. Das Verhältnis von Nationalstaaten und internationalen imperialistischen Institutionen sowie die Verhältnisse zwischen Nationalstaaten und Europäischer Union mit der zunehmenden Delegation politischer Kompetenzen an EU-Gremien, werden verzerrt wahrgenommen und im Ergebnis in erster Linie als Souveränitätsverlust der Nationalstaaten sowie als Krise der bürgerlichen Demokratie anstatt als Form der reaktionären Offensive der in der EU mit Vetomacht ausgestatteten herrschenden Klassen der EU-Länder gegen die europäische Arbeiterklasse interpretiert.

Sozialismus - die Alternative zum Kapitalismus

Im Gegensatz zur Linkspartei/PDS, bis zur Wende 1989/1990 ihre Schwesterpartei, hält die DKP daran fest, daß der Kapitalismus durch den Sozialismus abgelöst werden muß. Die DKP unterscheidet jedoch anders als Marx, Engels, Lenin und die Komintern nicht zwischen der Übergangsphase der Diktatur des Proletariats, dem Sozialismus, und dem Kommunismus. Sie behauptet zudem, neben der Arbeiterklasse hätten auch "andere gesellschafliche Kräfte" ein objektives Interesse am Sozialismus. Welche "anderen sozialen Schichten und politischen Kräfte" das sein sollen, läßt sie offen.

Das Programm geht somit ohne jede Begründung stillschweigend davon aus, daß, anders als von allen bedeutenden Theoretikern der marxistischen Bewegung prognostiziert, die Klassenverhältnisse im entwickelten Kapitalismus nicht vereinfacht wurden, sondern komplizierter. Andererseits spricht das Programm zwar von der Arbeiterklasse, doch ansonsten nur von "anderen" gesellschaftlichen "Kräften" und "sozialen Schichten". Welche Klassenlage haben diese? Das wird nicht beantwortet.

Ebensowenig geht die DKP darauf ein, daß sich die Arbeiterklasse nicht nur vergrößert, sondern auch in ihrer Struktur in vielerlei Hinsicht objektiv verändert hat: Bezüglich ihrer Quaklifikationsstruktur, ihrer religiösen, soziokulturellen und politischen Traditionen, ihrer nationalen Zusammensetzung etc. Alle diese Veränderungen bilden für eine Politik, die darauf abzielt, die Arbeiterklasse politisch zu einigen und in den Kampf gegen das kapitalistische System zu führen, durchaus neue Herausforderungen. Außer den auf langjährigen Erfahrungen der Arbeiterbewegung beruhenden Taktiken sind neue Arbeitsmethoden, die Entwicklung neuer kultureller Elemente und neuer Taktiken notwendig. Wir haben dazu auch keine fertigen Lösungen. Aber die DKP sieht noch nicht einmal das Problem. Für sie ist die Arbeiterklasse ein unveränderlich' Ding. Dieser Fragenkomplex muß in einem Grundsatzprogramm nicht abgehandelt werden. Aber wenn dem Verhältnis von Partei und Arbeiterklasse so breiter Raum einräumt wird wie im DKP-Programm, sollte darauf eingegangen werden. Das Programm gibt also Rätsel auf.

Wie der zu erkämpfende Sozialismus bzw. besser die Diktatur des Proletariats aussehen wird, will die DKP auch nicht vorhersagen. Das ist ein Standpunkt, den Marx z.B. nach der Erfahrung der Pariser Kommune so schon nicht mehr einnahm. Er stellte mit Engels fest, daß die Pariser Arbeiterklasse die politische Form der proletarischen Herrschaft entdeckt habe. Nach den Erfahrungen der russischen Revolutionen von 1905 und 1917, der ungarischen Räterepublik und der deutschen Novemberrevolution strebte die Kommunistische Internationale zunächst Räterepubliken und deren Zusammenschluß in einer internationalen Föderation von Räterepubliken an. Die stalinisierte Komintern ließ diese Zentralforderungen des Kommunistischen Programms fallen. Die von der Wende erschütterte und sich geläutert gebende DKP greift den fallengelassenen historischen Faden nicht wieder auf. Die Stalinsche Politik bleibt ihr theoretischer Bezugsrahmen.

Das gilt auch für die politischen Handlungsformen in Räten. Die grundsätzlich mögliche und, wie nach allen historischen Erfahrungen zu betonen ist, notwendige Handlungsfreiheit verschiedener Räteparteien wurde weder von Marx noch von der Komintern bestritten. Die erste revolutionäre Regierung Rußlands war, was viele nicht wissen, eine Koalitionsregierung. Das spätere politische Monopol der Bolschewiki war das Resultat des Bürgerkriegs, kein allgemeines politisches Prinzip des Kommunismus. Die DKP hat das immer anders gesehen und wie alle stalinistischen Parteien die führende Rolle der offiziellen Kommunistischen Parteien administrativ verankern wollen. Von letzterem distanziert sie sich jetzt, bekennt sich jedoch nicht zu einem Parteienpluralismus im Sozialismus. Sie spricht lediglich vage die Möglichkeit eines gewissen gesellschaftlichen Pluralismus im Sozialismus an.

Gescheitert und (fast) nichts dazu gelernt

Damit zeigt sie, daß ihre wichtigsten Ideologen wenig aus der Geschichte gelernt haben. Das zeigt sich nicht nur im Bereich der politischen Formen des Sozialismus, sondern auch bezüglich der Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft.

Das Programm stellt fest, daß "in den Ländern des realen Sozialismus (...) das gesellschaftliche Eigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln vor allem die Form des Staats- und Genossenschaftseigentums" hatte. Es erwartet, daß sich beim künftigen Aufbau des Sozialismus "neben bewährten auch neue Formen der Verfügung des gesellschaftlichen Eigentums und der gesellschaftlichen Organisation herausbilden werden." Deutlicher kann man kaum zum Ausdruck bringen, daß die DKP-Führung die wesentliche Ursache für den Zusammenbruch der europäischen Arbeiterstaaten nicht verstanden hat, den Ausschluß der Arbeiterklasse von der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, den Ausschluß der Arbeiterklasse von Entscheidungen über die Wirtschaftsplanung und die gesellschaftliche Entwicklung. Die Gesellschaft war zwar de jure Eigentümer der wichtigsten Produktionsmittel, aber die Verfügungsgewalt lag in den Händen des Staats- und Parteiapparates. Damit wurde die Arbeiterklasse dem tatsächlich alles andere als realen Sozialismus entfremdet.

Nach einer künftigen sozialen Umwälzung wird die Arbeiterklasse mit Sicherheit klüger sein als die DKP-Ideologen und jeden Versuch von Technokraten, Möchtegernfachleuten und Altgläubigen blockieren, die Arbeiterklasse von der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel auszuschließen und zu den "bewährten" Praktiken der stalinistischen Vergangenheit zurückzukehren. Und ein anfängliches bürokratisches Monopol unter dem Schirm der sowjetischen Militäradminstration wie beim Aufbau der DDR wird es nicht mehr geben.

Eine Partei, die 16 Jahre nach der Wende von 1989/90 immer noch nicht zwischen Staatseigentum und realer Vergesellschaftung unterscheiden kann, verdient das uneingeschränkte Mißtrauen der Arbeiterklasse! Es mutet schon beinahe grotesk an, daß die offenbar aus psychopathologischen Gründen lernunfähigen DKP-Ideologen immer noch nicht verstanden haben, daß die bürokratische Planung durch eine demokratische Rahmenplanung hätte ersetzt werden müssen, daß es galt, innerhalb dieser demokratischen Rahmenplanung die ökonomischen Einheiten bei größtmöglicher Basisdemokratie frei arbeiten zu lassen, um so die Initiative und Kreativität der Arbeiterklasse optimal zu entfalten. Sie haben auch nicht begriffen, daß gerade das bürokratische Machtmononopol die Arbeiterklasse dem Sozialismus entfremdete und damit die Grundbedingung für eine erfolgreiche soziale Konterrevolution geschaffen hat.

Die DKP-Ideologen können sich Sozialismus nicht einmal als Gedankenspiel anders vorstellen als in Form einer Gesellschaft mit dem Machtmonopol eines von ihnen oder ihresgleichen geleiteten Apparats. Es ist auch kein Trost, sondern nur bezeichnend, daß das DKP-Programm erklärt, nach der nächsten Revolution "bürokratischen Gefahren" entgegenwirken und die "unmittelbare Machtausübung immer weiter" ausbauen zu wollen. Die Arbeiterklasse wird Stalinisten garantiert nicht noch einmal darüber entscheiden lassen, wieviel Macht sie wann unmittelbar ausüben darf.

Die Konfusion wird auch deutlich bei den im Programm genannten Eigentumsformen selbst: Gesellschaftliches Eigentum kann nur Staatseigentum sein, nicht Genossenschaftseigentum.

Gesellschaftliches Eigentum (aus Gründen terminologischer Klarheit empfiehlt es sich, von Staatseigentum zu sprechen) kann nicht direkt vom "Staat" als juristischer Person verwaltet werden. Damit stellt sich das Problem der Verfügungsgewalt über das Eigentum. Verfügungsgewalt kann dabei von untergeordneten territorialen Einheiten wie z.B. Kommunen und auch von Genossenschaften oder sogar von Privaten ausgeübt werden. Verfügungsgewalt kann also delegiert und geteilt werden, sie kann von Spezialisten oder Technokraten oder von nach dem Kriterium der politischen Zuverlässigkeit ausgewählten Managern bürokratisch von oben ausgeübt werden oder demokratisch von unten durch Belegschaften und deren Vertreter. Die Belegschaften können dazu wiederum verschieden organisiert sein. Die Kompetenzen der Belegschaften können dabei durch übergeordnete Beschlüsse begrenzt werden, die übergeordneten Instanzen können wiederum bürokratisch verselbständigt oder demokratisch verfaßt sein etc., etc. Insofern kann es in Arbeiterstaaten verschiedene Formen und Grade der realen Vergesellschaftung geben - ohne daß das Staatseigentum dadurch de jure verändert würde.

Umgekehrt ist Genossenschaftsvermögen sowohl Privat- als auch Kollektiveigentum der Genossenschaft. Die Genossen sind und bleiben dabei Privateigentümer. Eine Kollektivierung bzw. Zusammenfassung mehrerer "Genossen" in einer Genossenschaft, läßt diese zum Kollektiv werden, macht aber aus dem Genossenschaftseigentum deshalb noch lange nicht gesellschaftliches Eigentum. Ebensowenig, wie das Eigentum einer Aktiengesellschaft gesellschaftliches Eigentum ist. Die Aktiengesellschaft mag Ausdruck der kapitalistischen Form der Vergesellschaftung der Produktion sein, ihr Eigentum bleibt Privateigentum. Das DKP-Programm offenbart hier schlicht Konfusion in Grundfragen des Marxismus.

Keine materialistische Analyse des Zusammenbruchs der Arbeiterstaaten

Es nimmt daher nicht Wunder, daß das DKP-Programm auch 16 Jahre nach dem Zusammenbruch der europäischen Arbeiterstaaten erklärt, die DKP habe dafür immer noch "keine abschließenden Erklärungen".

Diese Unfähigkeit ist nur noch psychologisch zu erklären. Historisch-materialistische Analysen liegen in Mengen vor. Allen voran die Trotzkis, der kommunistischen Linken Opposition und von Teilen der aus ihr entstandenen trotzkistischen Bewegung. Sie können problemlos anhand von inzwischen geöffneten Archiven bezüglich ihrer Seriosität überprüft werden. Aus diesen Analysen wurden Prognosen abgeleitet, deren Qualität ebenfalls anhand der realen historischen Entwicklung überprüft werden kann. Sowohl die Analysen wie die Prognosen haben dem Test der historischen Praxis standgehalten. Blamiert haben sich die stalinistischen Ideologen, die zu erklären haben, weshalb sich fast keine der herrschenden stalinistischen Parteien der sozialen Konterrevolution widersetzte und weshalb sich die Führungsmehrheiten dieser Parteien fast ausnahmslos selbst an die Spitze der Konterrevolution setzten.

Dies leistet auch das neue Programm der DKP nicht. Es stellt lediglich fest, daß in der Krisensituation 1989/90 überall "revisionistische Kräfte die Überhand" gewannen. Das ist eine tautologische Feststellung, aber keine materialistische Erklärung.

Das DKP-Programm bedient sich aus dem historischen Fundus nichtstalinistischer marxistischer Analysen, um aus ungeordneten Versatzstücken dieser Analysen Argumente für die Unausweichlichkeit der Verbürokratisierung der UdSSR aufzuführen. Letztlich wird versucht, die Verantwortung für die eigene politische Geschichte auf den objektiven geschichtlichen Prozeß abzuwälzen, anstatt eine schonungslose kritische Aufarbeitung und Kritik der eigenen politischen Traditionen vorzunehmen. So viel Größe wird nicht aufgebracht. Lieber werden die entscheidenden Probleme und Fragestellungen, vor denen die sowjetischen Kommunisten in den zwanziger Jahren standen, weiter vernebelt:

Es ist richtig, daß die Isolation der russischen Revolution und die sozioökonomische Rückständigkeit der russischen Gesellschaft sowie die Verwüstungen des Bürgerkriegs einen sozialistischen Aufbau ungeheuer erschwerten. Hier sind zuerst die physische Vernichtung großer Teile der revolutionären Arbeiterklasse und die Zerrüttung der Wirtschaft zu nennen. Dies führte zum Austrocknen der Räte als Orte der Selbsttätigkeit des Proletariats und faktisch zur Verwandlung der Räteherrschaft in die der Kommunistischen Partei.

Darüberhinaus war die Kommunistische Partei dadurch gezwungen, große Teile der alten zaristischen Staatsbürokratie wieder zur Verwaltung des Landes heranzuziehen. Allein diese Tatsachen bewirkten in der KPdSU bereits Bürokratisierungstendenzen, die als erstes schon von Lenin analysiert, angeprangert und bekämpft wurden. Zu Lenins Lebzeiten kontrollierte die Partei jedoch noch den Staatsapparat und war nicht mit ihm verschmolzen. Dies geschah auf Veranlassung Stalins und seiner Verbündeten in der Parteiführung erst nach Lenins Tod, als die Partei dem Zustrom von Staatsbürokraten und Karriereristen weit geöffnet wurde (das sog. Leninaufgebot). Dies verschaffte der Stalinfraktion in der Partei eine breite Basis. Dadurch veränderte sich der soziale Charakter der Partei entscheidend. Der mit dem Staatsapprat am weitestgehend verschmelzende Teil des Parteiapparats begann unter Führung Stalins die Partei zu kontrollieren und setzte sich durch.

Die Bürokratisierung der Partei, ihr Einswerden mit dem von karrieristischen Elementen und alten zaristischen Beamten geprägten Staatsapparat, erfolgte bereits Jahre vor Beginn der Industrialisierungsdebatte und hatte historisch mit ihr nichts zu tun. Wenn die DKP-Ideologen im DKP-Programm an ihrer jahrzehntelang gepflegten Rechtfertigungslegende festhalten, daß die Stalinfraktion in dieser Industrialisierungsdebatte unterstützt werden mußte, weil nur unter einem straffen Kommando die angesichts der imperialistischen Bedrohung notwendige Industrialisierung möglich war, verfälschen sie nicht nur die Geschichte der Industrialisierungsdebatte (es war die (trotzkistisch-sinowjewistische) Vereinigte Linke Opposition, die als erstes ein Konzept für die beschleunigte Industrialisierung der Sowjetunion entwickelt hatte und dieses der Partei vorschlug).

Die DKP-Ideologen fälschen zugleich die Geschichte der Partei, indem sie suggerieren, daß die führende Rolle der Partei im Arbeiterstaat nur von der Stalinfraktion gesichert und die Industrialisierung nur von dieser Fraktion betrieben werden konnte.

Es dürfte die meisten DKP-Mitglieder überraschen, daß auch die Linke Opposition damals von der Notwendigkeit der politischen Führung des Proletariats durch die Kommunistische Partei ausging. Diese Führung mußte jedoch durch die Gewinnung von Mehrheitseinfluß ausgeübt werden, nicht durch staatlichen Zwang. Die Linke Opposition sprach deshalb von der Notwendigkeit einer mehrheitsbildenden Politik. Diese konnte nur von einer demokratischen, nicht von einer von einem bürokratischen Apparat gegängelten Partei durchgeführt werden. Nur so, gestützt auf die Arbeiterklasse, konnte der sozialistische Aufbau siegreich beendet werden. Der Sieg der Stalinfraktion bedeutete damals zwar (mit der Verzögerung um einige Jahre) den Beginn der überhasteten Industrialisierung, aber die damit einhergehende physische Auslöschung aller potentiell abweichenden Elemente der Partei bedeutete zugleich die Zementierung der bürokratischen Herrschaft und die Vernichtung der großen Mehrheit derjenigen Generation von Kadern, die die Oktoberrevolution getragen hatte. Trotz der selbst unter bürokratischem Kommando erreichten Erfolge des sozialistischen Aufbaus war die Sowjetunion damit in eine politische Sackgasse geraten, die letztlich zu ihrem Zusammenbruch führte. Der Sieg des Stalinismus war somit die erste Etappe der Konterrevolution.

Die DKP-Ideologen verschließen sich dieser Erkenntnis. Sie leugnen deshalb, daß die stalinistische Politik einschließlich der "Fehler" und Verbrechen eine soziale Basis hatte, nämlich die verselbständigte und unkontrollierte Herrschaft der Partei- und Staatsbürokratie. Gesellschaftliche Entwicklungen werden deshalb in idealistischer Weise als "individuelle Fehler und Verbrechen" Stalins und seiner engeren Gefolgsleute interpretiert. Sie leugnen, daß die Ausschaltung der innerparteilichen Opposition aus Anlaß der Industrialisierungsdebatte, zu der sich die DKP in der Vergangenheit immer bekannt hat, das Vorspiel zum entfesselten Terror gegen jeden Widerspruch in der Partei, im Staatsapparat, in der Arbeiterklasse und in der Bauernschaft war.

In ihrem Eifer, andere als materialistische Erklärungen für das Scheitern des realen Stalinismus zu finden, präsentieren sie stattdessen die abstruse These, daß "die staatliche Durchdringung aller Bereiche der Gesellschaft" die Eigeninitiative gehemmt habe, was wiederum eine "streitbare gesellschaftliche Debatte" verhindert habe. Dies wiederum habe der Glaubwürdigkeit der Partei geschadet und zum Verlust der Hegemonie geführt. Die KPdSU habe deshalb zu autoritären Maßnahmen greifen müssen. Das DKP-Programm erreicht mit diesem ahistorischen Gestammel einen veritablen Tiefpunkt der marxistischen Debatte um die Ursachen des Zusammenbruchs der Arbeiterstaaten.

Der holprige Weg der DKP zum Sozialismus

Dem Bekenntnis des DKP-Programms zur Notwendigkeit des Sozialismus als der historischen Alternative zum Kapitalismus sollten folgerichtig Ausführungen darüber folgen, mit welcher Strategie die Arbeiterklasse dieses Ziel erreichen kann. Der entsprechende Programmabschnitt heißt dann auch: "Unser Weg zum Sozialismus". Leider hält sein Inhalt nicht, was die Überschrift verspricht.

Die DKP-Ideologen stellen zunächst richtig fest, daß der "Sozialismus (...) nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tiefgreifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse erreicht werden" kann. Sie wissen auch, daß gesellschaftliche Kräfteverhältnisse sich nicht im Selbstlauf, "sondern über Klassenauseinandersetzungen" verändern.

Es folgt dann jedoch nicht etwa ein Programm zur Entfaltung und Vertiefung des Klassenkampfs zwecks Vorbereitung und Durchführung der sozialen Revolution auf nicht-reformistischem Wege, sondern es wird der "Kampf um die Zurückdrängung der Macht des Monopolkapitals und für die Öffnung des Weges zum Sozialismus" anvisiert:

Unter der Überschrift "Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt" will sich die DKP "zunächst um die Verteidigung der im Grundgesetz verankerten Grundrechte, um die Verteidigung sozialer und demokratischer Errungenschaften gegen die neoliberale Kahlschlagspolitik von Kabinett und Kapital, um die Wiederherstellung und die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen gegen ihre Bedrohung durch das ungezügelte Profitstreben, um die Verteidigung des Friedens gegen die Kriegspolitik des US-Imperialismus und gegen die Großmachtpolitik des deutschen und EU-Imperialismus" kümmern. Weil "ohne Widerstand (...) alle progressiven Reformvorstellungen reine Illusion" bleiben, muß, so das DKP-Programm, "mit den Ansätzen von Widerstand die Perspektive von Veränderungen und Reformen verknüpft werden". Und: "Herkömmliche soziale und demokratische Reformen rücken so näher an die Notwendigkeit grundlegender antimonopolistischer Umgestaltungen heran." Diese wiederum sollen "den Weg zum Sozialismus öffnen".

Dem DKP-Programm gelingt so das Paradoxon, festzustellen, daß der Sozialismus nicht auf reformistischem Weg zu überwinden ist und gleichzeitig zu seiner Beseitigung eine Reformstrategie zu formulieren. Das ist um so absurder, als die DKP davon ausgeht, daß die "Spielräume für soziale und demokratische Reformen infolge der wirtschaftlichen Verflechtungen und der Macht der transnationalen Konzerne, der enormen Staatsverschuldung und des Wegfalls des politischen Reformdrucks mit dem Ende des realen Sozialismus in Europa heute außerordentlich eng geworden sind." Mit anderen Worten: Jeder ernsthafte Kampf um spürbare Reformen und tiefergehende Eingriff ins kapitalistische Räderwerk muß zwangsläufig zu einer unmittelbaren Verschärfung und Zuspitzung des Klassenkampfs führen, sobald er größere Teile der Arbeiterklasse erfaßt.

Für eine stetige Klassenkampfentwicklung ist in der Niedergangsperiode des Imperialismus deshalb aus objektiven Gründen kein Raum mehr.

Politischer Charakter der imperialistischen Epoche, Übergangsstrategie und Volksfront

Die DKP-Ideologen haben jedoch trotz ihrer Bezugnahme auf die offenkundig verengten Verteilungspielräume keinen Begriff davon, wie sich der monopolistische Charakter des imperialistischen Weltsystems in Krisenperioden auf den Klassenkampf auswirken muß. Anstatt zu sehen, daß sich der Klassenkampf in der Niedergangsphase des Imperialismus sprunghaft entwickelt, daß politische Krisen über Nacht entstehen können, aus Anlaß z.T. von zunächst wenig bedeutsam erscheinenden Ereignissen, daß sich Protestbewegungen oft in wenigen Tagen zu Massenbewegungen entwickeln, die kurze Zeit später scheinbar spurlos verschwunden sind und Perioden Platz machen, in denen Mobilisierungen zur gleichen Thematik quälend schwierig sind, nur um dann wieder neuen Massenmobilisierungen Platz zu machen, gehen sie von einer stetigen, ruhigen und allmählichen Klassenkampfentwicklung aus.

Es ist aber gerade die hochkomplexe gesellschaftliche Organisation im imperialistischen Kapitalismus, das stillschweigende Zusammenspiel von bürgerlichen Massenmedien mit den bürokratischen Apparaten der Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen sowie den sich auf die Arbeiterklasse stützenden Parteien und ihren Parlamentsfraktionen, die eine "ruhige" oder "allmähliche Entwicklung" von Bewegungen verhindert. Ohne eine revolutionäre Partei oder doch wenigstens eine starke linke Organisation erscheinen die bürokratischen Apparate übermächtig, erscheinen Protest und Widerstand aussichtslos. Dieser Eindruck wird durch die verzerrte Darstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit durch die bürgerlichen Medienmonopole noch verstärkt. Unter der Oberfläche scheinbarer gesellschaftlicher Normalität und des sozialen Friedens brodelt deshalb soziale Unzufriedenheit und wachsen immer wieder gesellschaftliche Spannungen an, die nur gelegentlich in Protesten und plötzlichen Massenaktionen einen Ausdruck finden.

Die DKP-Ideologen lassen sich vom stabilen Schein der bürgerlichen Gesellschaft blenden und gehen von einem statischen Bild des Klassenkampfs aus, nicht von den in unregelmäßigen Abständen sich ereignenden abrupten Wendungen der Lage. Ihnen kommt deshalb gar nicht in den Sinn, daß es gilt, die Ansatzpunkte für die Dynamisierung der Klassenkämpfe bzw. der Bewegungen zu finden.

Nur in diesen Bewegungen kann massenhaft die Einsicht reifen, daß sich die Arbeiterklasse über punktuelle Proteste hinaus weitergehende Ziele setzen muß, wenn sie spürbare und durchgreifende Erfolge haben will. Eine marxistische Partei muß diesen Bewußtwerdungsprozeß fördern, wenn sie ihre Ziele erreichen will. Dazu genügt es nicht, nur die spontanen sowieso vorgebrachten Reformforderungen zu wiederholen. Die Marxisten müssen ein jeweils der konkreten Lage und den Entwicklungsbedürfnissen der Bewegung anzupassendes Übergangsprogramm präsentieren und dieses Programm in der Arbeiterklasse, d.h. in ihren gewerkschaftlichen und politischen Bewegungen verankern. Der Kampf für dessen Ziele muß die Arbeiterklasse zum zwingenden Schluß führen, daß die Notwendigkeit der politischen Machteroberung durch die Arbeiterklasse in Form einer Arbeiterregierung in Angriff genommen werden muß.

Damit wird die Grundlage für das Wachstum einer neuen marxistischen Partei und für künftig entschlossenere Bewegungen gelegt.

Der Absage an eine derartige Übergangsstrategie, die von der frühen Komintern zu Lenins Lebzeiten als strategische Lehre aus den Erfahrungen der russischen Revolution gefordert wurde, setzt das DKP-Programm faktisch ein reformistisches Etappenmodell entgegen. Nicht der Sozialismus als historische Alternative zum kriselnden Imperialismus steht danach auf der Tagesordnung, sondern die antimonopolistische Demokratie in Form des demokratischen Fortschritts. Das ist faktisch die kleinbürgerliche Wunschvorstellung der Rückkehr vom Imperialismus zum Kapitalismus der freien Konkurrenz und der Eliminierung der Großbourgsoisie. Damit wird von den DKP-Ideologen de facto ein Etappenmodell der Revolution konstruiert, eine letzlich rückwärtsgewandte reaktionäre Utopie.

Auch damit verbleibt sie grundsätzlich in der Tradition der Stalinschen Politik:

Stalin und die von ihm geführte Bürokratie hatten ein Interesse an der von außen ungestörten Konsolidierung ihres Machtmonopols in der Sowjetunion und an der Instrumentalisierung der Komintern für die Bedürfnisse der sowjetischen Außenpolitik. Diese war gekennzeichnet durch den Wunsch, die Bedrohung durch den aggressiven deutschen Imperialismus durch Bündnisse mit dem demokratischen Imperialismus zu neutralisieren. Die Parteien der Komintern durften diese Art antifaschistischer Politik nicht gefährden und hatten sich daher ihrer jeweiligen Bourgeoisie unterzuordnen. Die stalinisierte Komintern kämpfte zu diesem Zweck für das Ziel einer antifaschistischen oder antimonopolistischen Demokratie bzw. Volksfront, die durch das angestrebte Bündnis mit der Sowjetunion ihre fortschrittliche Aura erhalten sollte. Stalin bekämpfte deshalb in Spanien nicht nur Franco, sondern auch die soziale Revolution - in Namen der Einheit mit der (fiktiven) fortschrittlichen Bourgeoisie. Er löste für diese Art Bündnis 1943 die Komintern als Instrument der Weltrevolution auf. Er bekämpfte u.a. die soziale Revolution in Griechenland während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und half, in Italien und Frankreich die erschütterten kapitalistischen Regime wieder zu stabilisieren.

Diese Art der Politik hatte zu keinem Zeitpunkt etwas mit den Bedürfnissen des Klassenkampfs in irgendeinem imperialistischen bzw. kapitalistischen Land zu tun, sondern ausschließlich mit den Herrschaftsbedürfnissen des stalinistischen Apparats in der UdSSR und später auch der anderen Arbeiterstaaten. Die Volksfrontstrategie, die die DKP hier zum wiederholten Male aufwärmt, hat in keinem einzigen Fall zu einem Erfolg geführt, sondern immer nur schwere Niederlagen verursacht.

Anstatt diese völlig bankrotte Strategie endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern, verleugnet das DKP-Programm die Tatsache, daß alle offiziellen Kommunistischen Parteien den Kampf für den Sozialismus im Rahmen der Volksfrontkonzeption seit 1935 haben fallen lassen und behauptet frech, sie sei "stets davon ausgegangen, dass die antimonopolistische und die sozialistische Umwälzung miteinander verbundene Entwicklungsstadien in dem einheitlichen revolutionären Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus sind." Tatsächlich war der Sozialismus für die DKP ebenso wie für ihre Bruderparteien in anderen westlichen Ländern nach klassisch sozialdemokratischem Muster immer nur Fernziel. Das revolutionäre Selbstverständnis der Mitglieder dieser und anderer Kommunistischer Parteien stützte sich auf die kritiklose Unterordnung unter die Führung der realsozialistischen Parteien und die Verbundenheit mit den Arbeiterstaaten, nicht auf eine eigene, tatsächlich revolutionäre Politik.

Der Staat, das unbekannte Wesen

Das DKP-Programm und sein strategisches Kernkonzept, der Kampf für eine Etappe des demokratischen Fortschritts bzw. der antimonopolistischen Umwälzung, werden auch auf eine revisionistische Staatstheorie gestützt. Die DKP-Ideologen offenbaren hier Unwissenheit, Unbildung, Konfusion und analytische Oberflächlichkeit.

So leiten sie den entsprechenden Programmabschnitt ein mit der überwältigend tiefschürfenden Feststellung, Kapitalismus und moderner Staat seien in einem komplizierten geschichtlichen Prozeß entstanden. Dem fügen sie hinzu, beider Entwicklung habe sich "gegenseitig bedingt". Das ist falsch und geschichtsrevosionistisch. Der Kapitalismus ist zunächst in den Poren der Feudalgesellschaft entstanden, ohne daß es einen bürgerlichen Staat gab. Weil es in dieser Entwicklungsphase keinen bürgerlichen oder "modernen" (was immer das sein soll) Staat gab, können sich vor der bürgerlichen Revolution die Entwicklung von Kapitalismus und bürgerlichem Staat nicht "gegenseitig bedingt" haben. Vielmehr sind die modernen bürgerlichen Staaten entweder aus bürgerlichen Revolutionen hervorgegangen oder unter dem äußerem und innerem Druck bürgerlicher Kräfte bzw. Staaten aus Klassenkompromissen zwischen Feudaladel, Bourgeoisie und Kleinbürgertum entstanden. Hieraus resultiert nicht zuletzt die Vielfalt der Form bürgerlicher Staaten, die bis heute erhalten geblieben ist. "Den" modernen Staat, von dem die DKP-Ideologen als Abstraktum sprechen, gibt es also nicht.

So unsinnig geht es im Programm weiter: "Die Aufgabe des Staates ist es, über die kapitalistische Konkurrenz hinweg die Bourgeosie zur herrschenden Klasse zu organisieren und ihre Herrschaft abzusichern. Der Staat stellt die repressiven Mittel zur Durchsetzung der Kapitalinteressen zur Verfügung." Auch das ist bombastisch daherstolzierender terminologischer Quark. Der bürgerliche Staat ist der ideelle Gesamtkapitalist. Er ist die Institution, die die gemeinsamen Interessen der herrschenden Klasse vertritt und durchsetzt, aber er organisiert die herrschende Klasse nicht. Er stellt repressive Mittel zur Durchsetzung der Kapitalinteressen auch nicht "zur Verfügung", sondern übt selbst Repression für das Kapital aus - allerdings im Namen nicht nur der herrschenden Klasse, sondern des ganzen Volkes. Er beansprucht deshalb ein Gewaltmonopol. Er legitimiert dieses Gewaltmonopol mit dem Anspruch, das ganze Volk zu vertreten und bekämpft jeden Widerstand der Arbeiterklasse gegen die von ihm geschützte kapitalistische Ordnung - bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt.

Der bürgerliche Staat ist also das Instrument der herrschenden Klasse insgesamt. Aber da die Bourgeosie aus z.T. untereinander in scharfer Konkurrenz stehenden Privateigentümern besteht, benötigt die Bourgeoisie nicht nur einen Staat, der ihre gemeinsamen Interessen gegen andere nationalen Bourgeoisien und gegen die Arbeiterklasse vertritt, sondern auch einen Staat, der von den einzelnen Bourgeois unabhängig ist und verläßlich die gemeinsamen Interessen der Bourgoisie auch gegen einzelne Bourgeois oder Gruppen von Bourgeois vertritt.

Die Bourgeoisie benötigt den Staat wegen ihrer untereinander bestehenden Konkurrenz auch als neutralen Schiedsrichter für ihre internen Konflikte und für private Konflikte von und mit Kleinbürgern und Proletariern. Diese Regulierungs- bzw. Ordnungsfunktion erfordert den bürgerlichen Rechtsstaat, d.h. einen Staat, dessen Tätigkeit selbst durch Gesetze normiert und damit für alle Staatsbürger berechenbar ist. Jeder bürgerliche Staat hat sich deshalb im Verlauf seiner historischen Existenz zunehmend zu einem Rechtsstaat entwickelt, d.h. zu einem Staat, der das gesellschaftliche Leben immer weitergehend gesetzlich regelt bzw. normiert. Der Staat tritt hier als neutraler Schiedsrichter zwischen den Staatsbürgern auf (den "citoyen"). Diese Schiedsrichterstellung im Alltag der Staatsbürger verleiht dem Staat den Anschein von Neutralität auch im Klassenkampf. Das galt auch für den faschistisch verfaßten Staat.

Die von der Bourgeoisie und allen anderen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft separate Organisation des Staates verlangt nach besonderen Formen der Sicherung des Einflusses der Bourgeoisie auf die staatlichen Entscheidungen: Die Spitzen des Staatsapparates werden deshalb regelmäßig entweder direkt aus der Bourgoisie rekrutiert und/oder so stark alimentiert, daß sie in diese aufsteigen. Das Personal des Staatsapparats insgesamt wird auf jeden Fall soweit privilegiert, daß es aus Sicht der Bourgeoisie wenigstens im Hinblick auf mögliche gesellschaftliche Krisen der bürgerlichen Ordnung treu ergeben bleibt. Der im wesentlichen technokratisch orientierte Staatsapparat, ob Ordnungsbehörden, Polizei, Justiz, Militär, infrastrukturelle Spezialämter oder auch Sozialbehörden, besteht dabei konjunkturell unabhängig vom jeweiligen politischen Regime. Der bürgerliche Staatsapparat ist nicht nur Ausführungsorgan der Regierenden. Auf seinen jeweils höheren Ebenen werden, fast immer in Abstimmung mit Interessenvertretern von Kapital- und sonstigen Interessenverbänden oder wenigstens nach deren Anhörung und Konsultation, für die jeweilige Regierung auch Beschlußvorlagen und die Ausführungsanweisungen für Gesetze aller Art erarbeitet. Regierungsvertreter und (politische) Spitzenbeamte nehmen ihrerseits Einfluß auf deren Gestaltung. Selten aber auf deren Kerninhalt.

Der Staatsapparat selbst entwickelt somit im Kapitalismus seine eigene, klassenmäßig bestimmte Kontinuität, unabhängig von Regierungen, unabhängig von der jeweiligen Verfassung und der von ihr vorgesehenen Staatsform. In Deutschland ist diese nahezu ungebrochene Kontinuität vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, das nationalsozialistische Regime und die BRD ein offenes Geheimnis. In diesem Staatsapparat findet so gut wie kein Klassenkampf statt und hat auch noch nie stattgefunden. Die jeweiligen politischen Säuberungen nach 1933 und nach 1945 hatten nur äußerst begrenzten Charakter. Dieser Staatsapparat ist dennoch, trotz der jeweils zeitbedingten oberflächlichen Veränderungen, durch und durch bürgerlich geblieben. Wenn die DKP angesichts dessen behauptet, der Staat sei nicht nur Herrschaftsinstrument sondern "Feld des Klassenkampfs zugleich" entspricht das zwar den Theorien eines Poulantzas und ähnlichen theoretischen Quacksalbern, die den Reformismus predigen, hält aber keiner materialistischen Analyse stand. Der bürgerliche Staat ist kein Handlungsfeld für Sozialisten, um dort den Kapitalismus mitzuverwalten.

Die DKP-Ideologen verwechseln offenbar schlicht Staat und Parlament. Aber selbst dann, wenn der Leser ihnen dabei folgen würde, wäre ihre Aussage unhaltbar. Sie übersehen nämlich, daß der Klassenkampf in den Parlamenten allenfalls virtuell stattfindet. Der reale Klassenkampf findet außerhalb der Parlamente statt, in den Betrieben und auf den Straßen, in der Gesellschaft. Die Parlamente sind nur ein Nebenkriegsschauplatz. Sie lassen sich als Tribüne für den Klassenkampf nutzen und in seltenen Fällen auch als eines der institutionellen Sprungbretter zur Bildung einer Arbeiterregierung, mehr nicht.

Die Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus

Mit der Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus haben die DKP und ihre Bruderparteien jahrzehntelang versucht, die stets zu Niederlagen führende Volksfrontstrategie zu untermauern.

Der Terminus (nicht die Theorie) stammt von Lenin, der mit dieser Kategorie beschrieb, wie während des Ersten Weltkrieges in Deutschland die wesentlichen Trusts und Monopolverbände gemeinsam eine geplante Ressourcenbewirtschaftung bzw. Rationierung einführten, Produktionsziele abstimmten und so eine Art kapitalistische Planwirtschaft betrieben. Diese organisierte und kartellisierte Kriegswirtschaft trat in Deutschland neben die großen Staatsmonopole von Post und Bahn. Diese gemeinsame Kriegswirtschaftsplanung erwies sich jedoch als ein vorübergehendes Notstandsphänomen, nicht als dauerhaft. Offenbar entsprach es auch nicht den Interessen der Monopole selbst.

Die stalinistischen Ideologen behaupteten nun trotzdem, entgegen der realen historischen Entwicklung, daß es eine allgemeine Tendenz zur Verschmelzung des Monopolkapitals mit dem bürgerlichen Staat gebe. Auf diesem Theorem fußte auch die von der DKP faktisch übernommene Analyse des Instituts für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED "Der Imperialismus der BRD" (Berlin 1971): "Die als Ausdruck der zweiten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus im Vergleich zu früheren Perioden quantitativ und qualitativ geschwächte Stellung des deutschen Imperialismus, die Schärfe seiner inneren Widersprüche und die Kompliziertheit seiner innen- und außenpolitischen Situation führten dazu, daß diese Entwicklung sich von Anfang an mit einem höheren Grad der Verschmelzung von Monopolen und Staat vollzog, als früher." Daß sich der bürgerliche Staat nach 1949 aber zunehmend aus der direkten Regulierung der Wirtschaft zurückzog, war nach diesen Ideologen schon damals nicht etwa ein Grund gewesen, diese Theorie einer notwendigen Revision zu unterziehen, sondern galt ihnen nur als ein besonders infamer Trick der Kapitalisten: "Von Apologeten des staatsmonopolistischen Systems wurde dieses System demagogisch als 'Marktwirtschaft' ausgegeben." (ebenda, S. 66 f)

Der Umstand, daß der bürgerliche Staat im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung nicht mehr nur der "bewaffnete Arm der Bourgoisie" geblieben war, sondern im Interesse aller Einzelkapitale zunehmend auch für die zur kapitalistischen Entwicklung notwendig gewordene Infrastruktur sorgte, Verkehr (Bahn und Straßen-bau, Wasserstraßen), Kommunikation (Post, Telegraphie), Ausbildung und Forschung sowie Rüstung für eine aggressive Außenpolitik, belegt jedoch nicht die These von der Verschmelzung des Staates mit dem Monopolkapital. Für diese gab es keine empirischen Belege.

Belegt wurde lediglich, daß es für den imperialistischen Kapitalismus immer wieder ökonomische und zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Herrschaft der Bourgeoisie weitere staatliche Aufgaben gab, deren Durchführung für Einzelkapitale nicht profitabel waren bzw. die im Interesse der Masse der Einzelkapitale nicht monopolisiert werden sollten. Die Übernahme dieser Aufgaben kam allen Sektoren der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums zugute, in der Regel auch der Arbeiterklasse. Sie entsprach den Interessen der Gesamtbourgeoisie.

Der tatsächlich ausgeübte vorherrschende Einfluß des Monopolkapitals auf den bürgerlichen Staat ist eine zwangsläufige Folge der Kräfteverhältnisse innerhalb der Bourgeoisie. Er war und ist nicht in Form eines direkten organisatorischen Zusammenschlusses nachweisbar, letztere Behauptung ist ein rein ideologisches Konstrukt. Die vorgebliche "Verschmelzung" des Monopolkapitals mit dem bürgerlichen Staat hat auch nicht dazu geführt, daß der bürgerliche Staat einseitig nur die Interessen der Monopole gewahrt hätte: Es ist offenkundig, daß das noch bestehende Kleinbürgertum in Handwerk und Handel z.B. aus sozialen und ökonomischen Gründen nach wie vor den besonderen Schutz des bürgerlichen Staates genießt und daß in der Landwirtschaft die kapitalistische Konzentration zwar systematisch gefördert wurde, die Bauern aber zugleich aus sozialen Gründen immer noch massiv subventioniert und vor der Konkurrenz des Weltmarkts geschützt werden.

Daß der Ausbau des Sozialstaats im DKP-Programm als Beleg für die Richtigkeit der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus angeführt wird, ist grotesk. Die hier zum Ausdruck gekommene Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Institutionalisierung sozialer Errungenschaften der Arbeiterklasse geführt hat, ist nun beim besten Willen kein Ausdruck der Macht des Monopolkapitals.

Die weltweit zu beobachtende objektive Entwicklung der kapitalistischen Staaten während der letzten 30 Jahre hat die These von der zunehmenden Verschmelzung von Monopolkapital und bürgerlichem Staat der Lächerlichkeit preisgegeben. Überall zieht sich der bürgerliche Staat aus der Wirtschaft zurück. Alle infrastrukturellen Aufgaben, die profitabel kapitalistisch betrieben werden können, werden privatisiert.

Die DKP-Ideologen ignorieren die Widerlegung ihrer jahrzehntelang sorgfältig gehegten Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus durch den Kapitalismus selbst. Sie begründen sie gewissermaßen neu, indem sie auf neue steuerliche Vergünstigungen für das Monopolkapital hinweisen. Obwohl diese Politik nur beweist, daß die bürgerlichen Staaten - welch' Überraschung!... - bürgerliche Politik machen, behauptet das Programm, diese Politik würde den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft "wettmachen".

Offenbar ist den DKP-Ideologen entgangen, daß die aus den Privatisierungen erzielten Erlöse von den bürgerlichen Staaten dazu genutzt werden, die Kapitalisten steuerlich zu entlasten. Es handelt sich also insgesamt um eine Privatisierung zugunsten des Monopolkapitals zum Nulltarif. Staatsbetriebe gehen in private Hände über. Nichts sonst. Das Monopolkapital wird gestärkt, die sozialen Positionen der Arbeiterklasse werden geschwächt. So weit, so schlecht. Aber von einer Fusion oder Verschmelzung von bürgerlichem Staat und Monopolkapital kann keine Rede sein. Es wird nichts "wettgemacht". Ganz im Gegenteil.

Nachdem die Autoren des DKP-Programms auf diese Weise die bankrotte Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus uminterpretiert haben, stellen sie die wirre These auf, es hätten sich seit den siebziger Jahren "immer stärker internationale Formen des staatsmonopolistischen Kapitalismus herausgebildet." Sie begründen diese These damit, daß in Europa "immer mehr Regulierungsfunktionen an die EU übergegangen" sind. Mit anderen Worten: Sie unterstellen eine besondere Entwicklungsphase des kapitalistischen Staates und begründen dies mit einer Eigenschaft, die den bürgerlichen Staat von Anfang an in allen seinen Formen gekennzeichnet hat, nämlich damit, daß Politik im Interesse der Bourgeoisie gemacht wird.

Damit noch nicht genug. Diente die Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus ursprünglich dem Zweck, die einseitige Instrumentalisierung des Staates zugunsten der Monopolbourgeoisie zu behaupten und damit der These, daß der bürgerliche Staat zugunsten der reaktionärsten Fraktion der Bourgeoisie seine Funktion aufgegeben hatte, Instrument der ganzen Bourgeoisie zu sein, soll dies im Falle des globalisierten staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht mehr gelten. Jetzt wird behauptet, die globalen staatsmonopolistischen Systeme wie IWF, WTO und G7 seien Orte der "scharfen Konkurrenz und des Aufeinanderprallens der gegensätzlichen Interessen von transnationalen Konzernen, imperialistischen Staaten und Blöcken". Diese These ist falsch. Institutionen wie die G7 sind in erster Linie Orte des Interessenausgleichs und Instrumente der friedlichen Regulierung innerimperialistischer Interessenkonflikte. Der IWF ist in erster Linie Ort der Durchsetzung gemeinsamer imperialistischer Interessen. Das gilt mit Einschränkungen auch für die WTO, in der sich stets die imperialistischen Mächte durchsetzen, wenn es um die Regeln für den Welthandel geht.

Es ist dennoch nicht zu übersehen, daß sich die innerimperialistische Konkurrenz verschärft. Die ökonomische Führungsrolle der USA wird schwächer. Europa hätte das ökonomische Potential, aufzuschließen, wenn es denn gelänge, die europäischen Mächte zu vereinigen. Ob das gelingt, ist alles andere als sicher. Der US-Imperialismus will seine Vorherrschaft strategisch dadurch sichern, daß er mit Hilfe seiner alles überragenden Militärmacht den Weltenergiemarkt und die Energieströme unter seine Kontrolle bringt, bevor ihm neue Regionalmächte auch nur partiell zuvor kommen. Die unterschiedlichen Interessen und die daraus entstehenden Konflikte ermöglichen die Vorhersage, daß es eine Kette von neuen Kolonialkriegen geben wird, eine Tendenz zur Wiederbelebung des Kolonialismus. Hinter der Fassade der Gemeinsamkeit des Imperialismus versucht dabei jede imperialistische Macht, ihre strategischen Positionen auszubauen. Rußland und China bemühen sich, ihre Schwächepositionen zu überwinden.

Die These des DKP-Programms, daß es einen gemeinsamen, "im Aufbau begriffenen ökonomisch-politisch-militärischen Machtapparat" des "im Prozess der Internationalisierung" befindlichen staatsmonopolistischen Kapitalismus gebe, dessen Hauptelement dann unvermittelt die Nationalstaaten sein sollen, ist vor diesem Hintergrund schlicht tollkühn.

Interessant aber ist die daraus gezogene Schlußfolgerung: "Der Staat wird zum Verwalter einer Politik, die weitgehend außerhalb seiner Souveränität beschlossen wird. Als Machtinstrument der Monopolbourgeoisie setzt er immer unverblümter eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit durch. An die Stelle der Integration tritt die Konfrontation." Damit wird die Basis für ein linksnationalistisches Bündnisprojekt des Kampfs für die Rekonstituierung der nationalen bürgerlichen Demokratie formuliert. Ein Bündnisprojekt, das, ohne von Klassen überhaupt nur zu sprechen, den Klassenkampf in einem kleinbürgerlich-utopischen Projekt aufgehen läßt. Damit hat das DKP-Programm eine neue Rechtfertigungsideologie für die Volksfrontpolitik präsentiert.

Stamokaptheorie und Volksfront

Die Verschmelzungsthese der ursprünglichen Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus war insofern mit der Volksfrontstrategie verbunden, als behauptet wurde, daß das Monopolkapital grundsätzlich das reaktionärere und aggressivere sei und daß es einen Interessengegensatz zwischen nichtmonopolistischen Sektoren des Kapitals bzw. der Bourgeoisie einerseits und dem Monopolkapital andererseits gebe. Das unterstellt zugleich, daß der Staat seine neutrale Rolle als Wahrer aller Kapitalinteressen aufgegeben hätte und mit der behaupteten Verschmelzung zum Instrument allein der aggressiven Monopole geworden sei. Mit der Volksfront, an der das traditionelle Kleinbürgertum und die nichtmonopolistische Bourgeoisie teilnehmen sollten, sollte dann der Einfluß der Monopole im bürgerlichen Staat zurückgedrängt werden.

Diese Theorie war schon immer falsch: Das Monopolkapital ist nicht grundsätzlich und zu jeder Zeit identisch mit den aggressivsten und reaktionärsten Teilen der Bourgoisie. Es hat vielmehr zu Fragen von Krieg und Frieden ein rein taktisches Verhältnis, ebenso im Hinblick auf die Haltung zur parlamentarischen Demokratie und zum Faschismus. Sie entscheidet nach ihren Klasseninteressen und je nach Lage des Klassenkampfs. Das Monopolkapital kann aufgrund seiner Stärke seinen Beschäftigten in ruhigeren Zeiten kapitalistischer Entwicklung Zugeständnisse machen und die Klassenversöhnung predigen, weil seine hochtechnisierten Produktionsaggregate besonders störanfällig sind. Wegen der von ihm kommandierten großen Kapitalmengen benötigt es berechenbare Rahmenbedingungen. Es fürchtet den Klassenkampf und ist am sozialen Frieden interessiert. Ist es jedoch der Meinung, daß der soziale Frieden nicht mehr mit den üblichen Mitteln, Zugeständnissen und den Hilfsdiensten von Reformisten zu sichern ist, ist es auch bereit, repressive Mittel einzusetzen, vom Polizeistaat bis hin zum Faschismus.

Wie verhält es sich mit den nichtmonopolistischen Teilen der Bourgeosie? Sie sind inzwischen sehr weitgehend direkt vom Großkapital ökonomisch abhängig. Zwischen dessen ökonomischen Druck (Preisdiktate, Nachfragemonopole) und den Forderungen der Arbeiterklasse in die Zange genommen, wendet sich die kleine und mittlere Bourgeoisie nach allen historischen Erfahrungen in aller Regel zuallererst dem Faschismus zu, um ihre Positionen zu retten.

Diese Teile der Bourgeosie sind in der Stagnationskrise nicht nur keine Bündnispartner der Arbeiterklasse, sondern besonders aggressiv, wenn es um die Beseitigung gewerkschaftlicher Rechte und früher erworbener sozialer Errungenschaften geht. Wenn sie ökonomisch überleben, dann häufig nur noch deshalb, weil die Allianz reaktionärer Kräfte in den staatlichen Institutionen dafür sorgt, daß die Schutzrechte von Arbeitnehmern abgebaut werden, daß Tarifflucht erleichtert wird und die wachsende industrielle Reservearmee so unter Druck gesetzt wird, daß die Furcht vor Arbeitslosigkeit in den Kleinbetrieben dazu führt, daß die dort Beschäftigten die sich beschleunigende Erosion ihrer alten Standards hinnimmt.

Wer deshalb in der sich allmählich zuspitzenden Stagnationskrise das Bündnis mit dieser "Fraktion" der Bourgeoisie sucht oder gar mit ihnen paktiert, treibt die von diesem Sektor der Bourgeoisie beschäftigten Teile der Arbeiterklasse zwangsläufig in ein Lager, das Abhilfe verspricht, nämlich in das der Reaktion oder ins offen faschistische Lager. Es ist dieser fast zwangsläufige Mechanismus, der bisher noch jede Volksfrontregierung zur unfreiwilligen Wegbereiterin reaktionärer Regierungen oder sogar der Faschisten gemacht hat.

Die neue Variante der Stamokaptheorie mit der behaupteten Herausbildung eines internationalisierten staatsmonopolistischen Kapitalismus, gegen den die klassenneutrale Mehrheitsbevölkerung die staatliche Souveränität verteidigen müsse, läuft ausschließlich auf eine Rechtfertigungsideologie für künftige prinzipienlose politische Blöcke hinaus, an denen sich die DKP-Führung offenbar um fast jeden Preis beteiligen will.

Bildung eines festen gesellschaftlichen und politischen Blocks oder Einheitsfrontpolitik?

"In der vor uns liegenden Etappe kommt es darauf an, gesellschaftliche Kräfte weit über die Linke hinaus im Widerstand gegen die neoliberale Politik zu bündeln. Allianzen verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Kräfte, die sich an verschiedenen Fragen immer wieder neu bilden und in denen die Arbeiterklasse die entscheidende Kraft sein muß, sind die Voraussetzung, um die Rechtsentwicklung und den neoliberalen Umbau der Gesellschaft zu stoppen. Wenn aus diesen Allianzen stabile Bündnisbeziehungen und ein fester gesellschaftlicher und politischer Block gegen den Neoliberalismus entwickelt wird, dann können die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse so verändert werden, dass der Kampf um gesellschaftliche Alternativen eine reale Perspektive bekommt", heißt es im DKP-Programm. Mit diesen Formulierungen vernebeln seine Autoren die entscheidenden strategischen und taktischen Pobleme auf dem Weg zur sozialen Revolution:

Erster Fehler ist, daß das Programm die bündnispolitischen Aufgaben nicht vom Standpunkt der Arbeiterklasse und noch nicht einmal vom Standpunkt der Kommunistischen Partei aus formuliert, sondern von dem einer diffusen, weder sozial noch klassenpolitisch definierten Linken.

Zweiter Fehler ist, daß von gesellschaftlichen Kräften "weit über die Linke hinaus im Widerstand gegen den Neoliberalismus" fabuliert wird, ohne zu benennen, welche Kräfte das sind und ohne diese klassenmäßig zu bestimmen. Dieser Fehler ist im Hinblick auf die traditionellen Fehlleistungen der Volksfrontpolitik bemerkenswert. Natürlich ist nicht zu bestreiten, daß es neben altgläubigen Kommunisten, Trotzkisten, Anarchisten, Anhängern der Linkspartei/PDS und der WASG, die wir hier einmal als Linke zusammenfassen wollen, vereinzelt auch politisch konservative, sozialliberale und rechtssozialdemokratische Teilnehmer an Protestaktionen gegen neoliberale Politik gibt. Selbst das Christentum oder der Buddhismus mag Einzelne zum Protest motivieren. Aber in aller Regel handelt es sich dabei doch immer zugleich um protestierende Proletarier, um den unzufriedensten und derzeit mobilisierungsbereiten Teil der Arbeiterklasse. Merke: Die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse endet nicht mit dem Beitritt eines katholischen Angestellten zur CDU. Ein Anhänger Schröders oder ein Fan von Müntefering wird wegen seiner Unterstützung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur vermeintlichen Verteidigung der Freiheit ebenfalls nicht aus der Arbeiterklasse ausgebürgert. Irgendwelche nennenswerten Teile der in der BRD verbliebenen Bauernschaft oder Demonstrationsblöcke von Ladenbesitzern, Anwälten und anderen Kleinbürgern wurden "im Widerstand gegen die neoliberale Politik" noch nicht gesichtet. Sie sind eine Fata Morgana der DKP-Ideologen.

Der dritte Fehler ist hier also, daß die Frage der Klassenzugehörigkeit und der Klasseninteressen für die DKP bei der Bestimmung der Bündnispolitik überhaupt keine Rolle spielt. Es wird nur noch von "Allianzen verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Kräfte" gesprochen, "in denen die Arbeiterklasse die entscheidende Kraft sein muß". Im realen politischen Leben schließt die DKP Bündnisse zu einzelnen Fragen oder Problemstellungen in aller Regel auf jeweils kleinstem gemeinsamen Nenner. Kritik an Bündnispartnern wird von ihr vermieden. Um die "Breite von Bündnissen" nach außen hin zu demonstrieren, wird es kaum jemals unterlassen, irgendwelche fortschrittlichen evangelischen Pfarrrer aufzubieten, bekanntere Autoren, Jugendliche und Gewerkschaftsfunktionäre mit linkeren Neigungen. Bedauerlich nur, daß diese traditionell aufgebotenen Bündnispartner in aller Regel nur sich selbst oder kleinste Gruppen repräsentieren und nicht "die" Christen oder gar große Teile der Gewerkschafter bzw. der Jugend.

Viertens bleibt erst recht unklar, was es im Zusammenhang mit Aktionseinheiten, um die es hier geht, heißen soll, daß "die Arbeiterklasse die entscheidende Kraft sein muß". Auch hier beglücken uns die DKP-Ideologen mit einer Formel aus der alten stalinistischen Gruselkiste. Solange wir nur von partiellen Aktionseinheiten um Einzelfragen sprechen, somit bestenfalls nur nennenswerte Teile der Arbeiterklasse am Protest teilnehmen, kann von der "entscheidenden Rolle der Arbeiterklasse" in Aktionseinheiten oder Aktionsbündnissen überhaupt keine Rede sein. Es macht, solange die Arbeiterklasse nicht mit überwältigender Mehrheit hinter marxistischen Kräften steht, auch gar keinen Sinn von der "entscheidenden Rolle der Arbeiterklasse" in Aktionseinheiten zu sprechen, weil es nicht darum geht, ein Bündnis der Arbeiterklasse mit anderen Klassen zustandezubringen, sondern darum, die Arbeiterklasse trotz ihrer politischen Spaltung in Anhänger verschiedener Parteien für gemeinsame Interessen zu mobilisieren. Hierfür bedarf es immer wieder der Bildung von Aktionseinheiten und Anstrengungen zum Aufbau einer Partei. In der Sprache der Komintern nannte man das, "die Arbeiterklasse vereinheitlichen". Für Bündnisse mit anderen Klassen gibt es in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der sozioökonomischen Entwicklung keinen Raum mehr. Die Arbeiterklasse, d.h. für Marxisten die Klasse der Lohnabhängigen, stellt die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung. Sie muß sich ihrer Interessen und ihrer Möglichkeiten bewußt werden. Ihr dabei zu helfen, ist die Aufgabe der Marxisten.

So hat es im wesentlichen schon die Komintern gesehen. Sie ging dabei im Anschluß an Marx davon aus, daß die Arbeiterklasse die einzige konsequent revolutionäre Klasse ist, eine Klasse, die durch den Verproletarisierungsprozeß im Kapitalismus zur Mehrheit der Bevölkerung geworden ist und die es für die soziale Revolution zu mobilisieren galt. Hierzu entwickelte bzw. theoretisierte die Komintern als entscheidende strategisch-taktische Lehre aus der russischen Revolution auf ihren Dritten und Vierten Weltkongressen die Einheitsfrontpolitik. Mit ihrer Hilfe sollten die Kommunisten das Vertrauen der Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen, ihr dabei helfen, sich ihrer Interessen und ihrer Stärke als Klasse bewußt zu werden, um dann den Kapitalismus überwinden zu können.

Diese Politik sollte daher mehrheitsbildend sein, so, wie es den Bolschewiki 1917 gelungen war. Mit klassenübergreifenden Bündnissen hatte das Ganze mit Ausnahme von Bündnissen vor allem mit ärmeren Teilen der Bauernschaft nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der eherne Grundsatz war, die Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie zu mobilisieren. Stalin hat mit dieser Politik in den dreißiger Jahren gebrochen, um Bündnisse mit angeblich fortschrittlichen Teilen der Bourgoisie anzustreben. Der Preis für solche Bündnisse war, die soziale Revolution in eine ferne Zukunft zu verschieben. Trotzdem gelang es in keinem einzigen Fall, selbst mit Hilfe dieser erbrachten Vorleistungen stabile Bündnisse mit nennenswerten Teilen der Bourgeoisie zu schließen.

Der fünfte Grundfehler dieser Bündnisstrategie ist die Erwartung, es sei auf dem Weg zur Revolution möglich, stabile und dauerhafte Bündnisse in Form eines gesellschaftlichen und politischen Blocks gegen den Neoliberalismus zu schließen. Niemand kann ausschließen, daß sich die Grünen, die Sozialdemokratie oder Teile davon unter dem Druck veränderter gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse entschließen, mitten im Fluß das Pferd zu wechseln, sich von weiteren neoliberalen "Reformen" distanzieren und wenigstens Teile von ihnen sogar an Protestbündnissen gegen künftige Regierungen teilnehmen. Die Linkspartei/PDS hat ja auch keine Probleme damit, den Klassenkampf von oben zu betreiben, in Regierungen neoliberale Politik zu forcieren und gleichzeitig Lippenbekenntnisse zum Kampf gegen den Neoliberalismus abzusondern. Ebenso finden Klaus Ernst und Lafontaine von der WASG nichts dabei, im Bundestag den Neoliberalismus zu geißeln und gleichzeitig die neoliberale Linkspartei/PDS im Berliner Wahlkampf zu unterstützen.

Marxisten nennen das doppelzüngig und verlogen. Das hindert sie natürlich nicht, mit denselben Politikern gemeinsame Aktionen gegen neoliberale Maßnahmen zu befürworten. Aber es muß Marxisten daran hindern, von der Möglichkeit stabiler Allianzen mit diesen Herrschaften auszugehen. Im Gegenteil haben Marxisten die Pflicht, darauf hinzuweisen, daß es sich bei diesen Politikern im Kampf gegen den Neoliberalismus, d.h. gegen den zeitgenössischen Kapitalismus, um unsichere Kantonisten handelt und daß die Arbeiterklasse besser auf ihre eigene Kraft vertraut, als dieser Sorte Volksvertreter zu hinterherzulaufen. Bündnisse unter Einschluß dieser Parteien und ihrer Spitzenpolitiker verlangen daher nach der Freiheit der Kritik auch an Bündnispartnern. Umgekehrt werden diese Herrschaften ja auch nicht müde, das Sektierertum und den Utopismus der Marxisten zu beklagen.

Der sechste Fehler der Blockpolitik der DKP besteht demzufolge in dem Versuch, mit Vertretern politischer Strömungen stabile Bündnisse zu schließen, die sich mit Haut und Haaren dem Imperialismus verschrieben haben und an Protestbewegungen nur teilnehmen, um den Einfluß von marxistischen Linken zu bekämpfen, sowie mit solchen Kräften, die aufgrund ihrer Verbundenheit mit opportunistischen politischen Traditionen gar nicht mehr anders können als zu zögern und zu schwanken, wenn es gilt Entschlossenheit oder Festigkeit zu beweisen. Die DKP hat deshalb die Tendenz, zugunsten der Stabilität dieser Bündnisse auf in der jeweiligen Klassenkampfsituation notwendige Forderungen und Ziele zu verzichten. Sie ordnet sich dann unter. Gegenüber der Linkspartei/PDS, aber auch der WASG hat ihre Führung sich immer wieder in serviler Weise angebiedert und für sichere Listenplätze noch immer auf jede Form politischer Dissidenz verzichtet.

Mit anderen Worten: Die DKP verfolgt eine Bündnispolitik, die Kräfteverhältnisse zwischen den Bündnispartnern zu stabilisieren versucht, anstatt sie zugunsten marxistischer Kräfte zu verändern. Im O-Ton des Programms heißt es: "Sie respektiert die politischen Motive, die Weltanschauung und organisatorische Selbständigkeit ihrer Bündnispartner und erwartet von ihnen die gleiche Haltung gegenüber der DKP." Marxisten respektieren selbstverständlich andere Auffassungen und Weltanschauungen. Sie respektieren das Recht aller politischen und weltanschaulichen Strömungen, sich selbstbestimmt zu organisieren, aber sie suchen die Diskussion und intellektuelle Auseinandersetzung mit ihnen. Sie stellen sich der Kritik, aber sie üben auch Kritik, besonders wenn es darum geht, wie und für welche Interessen zu kämpfen ist.

Die Erfahrungen ihrer Schwesterparteien in Spanien, Frankreich und Italien zeigen, daß diese sich mit dieser Sorte Bündnispolitik selbst geschwächt haben. Dort, wo ein "Block" oder die "Union der Linken" zustandekam, haben sich die betreffenden Parteien jeweils rechteren Sozialdemokraten und bürgerlich-demokratischen Kräften untergeordnet und imperialistische Politik praktiziert. Diese Parteien haben sich dadurch diskreditiert und große Teile ihrer Anhänger verloren. Die von diesen Blöcken getragenen Regierungen haben rechten Regierungen den Weg bereitet und nicht "antimonopolistischen Umwälzungen". Das DKP-Programm nimmt diese Erfahrungen nicht zur Kenntnis. Es zieht erst recht keine Konsequenzen aus einer ununterbrochenen Kette politischer Katastrophen und Mißerfolge. Es hält Kurs auf den eigenen Untergang.

Dieter Elken, 11.06.2006