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Esoterik — Begriff und soziales Phänomen

von Andy Zyon

Zum Begriff

Der Begriff Esoterik wird heute in der Regel als Sammelbegriff für das breite Spektrum von verschiedenen Praktiken, Lehren, Anschauungen oder auch religiösen Gemeinschaften verwendet. Er wird dabei als gedankliche Kategorie in abstrakter Weise verwendet und hat keinen eindeutig definierten Inhalt.

Esoterik bietet Lebenshilfe im engeren Sinne (Beratung und Therapie bei persönlichen Krisen), Antworten auf Lebens-Sinnfragen wie Welterklärungsansätze (Schöpfungsmythen, Energie-Theorien) oder umfassende weltanschauliche Modelle mit quasi religiösem Charakter (zum Beispiel Anthroposophie).

Die esoterischen Praktiken und Lehren bedürfen wegen ihrer Uneinheitlichkeit einer jeweils eigenständigen Bestimmung. Beispielsweise die Praktik des Handlesens:

Handlesen bezeichnet die Praxis, aus der Physiognomie der Hände (Chirognomie) einer Person, für diese nützliche Rückschlüsse zu ziehen.

Diese Definition wertet das Handlesen nicht und stellt es auch nicht in den sozialen Zusammenhang seiner Funktion. Gerade aber die Wertung (zur Wirksamkeit) und die kontextuelle Frage der Funktion (für die Person und die Gesellschaft) sind von entscheidender Wichtigkeit. Hier wird augenscheinlich, dass alle Praktiken und Lehren, unabhängig von ihrer Verschiedenheit, eine einheitliche Funktion und Wertung erhalten können. Dies veranlasst uns auch, die Einzelformen als Gesamtphänomen begrifflich zusammen zu fassen und kurz als Esoterik zu bezeichnen.

Merkmale der Esoterik

Esoterische Anschauungen betonen die spirituelle Entwicklung des Individuums. Dabei bleibt der Begriff spirituell meist unklar oder widersprüchlich. Alle esoterischen Schulen pflegen einen mehr oder weniger starren Dualismus. Die Richtigkeit der eigenen Lehre impliziert dabei die Falschheit aller anderen Weltbilder. Die Exklusivität der Idee steht im Mittelpunkt. Das Andere ist immer das Falsche. Hier gibt es weite Überschneidungen mit religiösen Systemen.

Allen esoterischen Richtungen ist gemein, dass sie die Existenz von Phänomenen bejahen, die außerhalb der nachweisbaren Wissenschaft liegen. Dabei gründen sie ihr Wissen auf bestimmte Grundannahmen. Diese Grundannahmen sind meist starr gesetzt und werden aus sich selbst heraus nicht weiterentwickelt. Ein Erkenntnis- und Wissensfortschritt findet nicht statt.

In einer hermeneutischen (deutend, auslegend) Diskussion der Grundannahmen kann es aber passieren, dass Grundannahmen modifiziert (sich erweitern, verengen, ihren Schwerpunkt verlagern) oder gar neue Glaubenssätze aufgestellt werden und sich neue Schulen gründen.

Allgemein fehlen evaluierte Ergebnisse der Richtigkeit der gesetzten Annahmen. Eine Beweisschuld will man ausdrücklich nicht erbringen. Die Grundannahmen der Praktiken und Lehre werden als Wahrheiten (Axiom) verstanden, die keiner Prüfung bedürfen, da sie selbst einem System einer nicht näher definierten höheren Ordnung angehören. Ein methodisches oder an den wissenschaftlichen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität) orientiertes Vorgehen gibt es dabei nicht.

Wie und wodurch die Erkenntnis der Grundannahmen erlangt wurde, bleibt undeutlich. Sie sollen zuerst geglaubt werden. Dabei gibt es durchaus esoterische Schulen, die eine Wissenschaftlichkeit vorgeben (Scientology, Astrologie, Homöopathie), die allerdings einer näheren (eben wissenschaftlich-methodischen) Betrachtung nicht standhält.

Fast alle esoterische Praktiken und Lehren wurden nach ihrem Wahrheitsgehalt und nach ihrer Wirksamkeit vielfach interdisziplinär und wissenschaftlich-methodisch geprüft und erforscht. Fasst man den erbrachten Wahrheitsgehalt und die erbrachte Wirksamkeit am Menschen im Begriff der Nützlichkeit zusammen, konnte bisher zu keiner Lehre oder Praktik eine Nützlichkeit nachgewiesen werden. (siehe u.a. Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, GWUP, www.skeptiker.org)

Bei Beobachtungen zur subjektiv erlebten Nützlichkeit wird ein psychosozialer Hintergrund vermutet, welcher durchaus Aussagen über eine betreffende Person, aber keine Ergebnis-generalisierung zur Esoterik zulässt.

Esoterische Systeme sind meist gnostisch (die Welt ist auch übersinnlich erkennbar) und lehnen sich einerseits an die kulturell und sozial vorliegenden Glaubensmuster an (Bekanntes), betonen aber auch ihre Andersartigkeit (das Fremde, Exklusive). Dabei legen sie einerseits Wert auf ihre Tradition (historisch oder ideengeschichtlich) und andererseits auf ihre Fähigkeit, für die Fragen der modernen Welt exklusive und richtige Antworten parat zu haben.

Das sich nach Außen abschließen, das für sich sein, sich von der Welt bewusst abwenden (eso- = geheim) ist ein weiteres Merkmal esoterischer Lehren und Praktiken. Aus weltanschaulichen Gründen werden ein Eindringen der Profanwelt und die Prüfung der Grundannahmen (Wissenschaft) meist ausdrücklich abgelehnt.

Nun könnten alle diese Punkte durchaus auch für religiöse Gemeinschaften zutreffen. Der Unterschied ist dabei ein transformatorischer: Neben der religiös umfangreichen Glaubensvorstellung der jeweiligen Gemeinschaft oder Kirche, die meist in ihren Kernpunkten zu Dogmen ausformuliert werden und ein Wertesystem vorstellen, tritt der Kult bzw. Ritus. In ihm werden die Dogmen mittels einer mehr oder weniger festgelegten Zeremonie in die Gläubigergemeinschaft auf besonders emotionale Art getragen (feierlich transformiert). Es entsteht eine rituelle Einsetzung bzw. Quasi-Vergegenständlichung der Gesamtideologie. Dadurch wird die Gemeinschaft (das Gefühl der begründeten Zusammengehörigkeit) gestiftet, die als Sammlung Gleichgesinnter den Zusammenhang von Glaube, Dogma, Kult und Zusammensein ermöglicht. Eine Gemeinde oder Kirche von Handlesern ist ebenso wenig vorstellbar wie Gemeinschaften der Kartenleger. Überschneidungen gibt es dennoch. Oft kann nur der Einzellfall bei genauerer Betrachtung Klarheit verschaffen.

Formen der Esoterik

Der Bereich der Esoterik ist ungemein breit und teilweise schlecht zu erkennen. Zu den esoterischen Richtungen und Praktiken gehören zum Beispiel die Aura, die Anthroposophie, die Magie, die Mystik, das Rutengehen, das Handlesen, Kartenlegen, Tarot sowie die Zahlenmystik, aber auch Yoga, Kabbala, Geistheilen, Reiki, die Metaphysik. Aber auch Tantra und der Gnostizismus, sowie Sufismus und Feng-Shui und andere.

Im Grenzbereich finden sich noch Qui Gong, Shiatsu, bestimmte Formen der Psychoanalyse, Akupunktur und eine Vielzahl anderer (nicht-medizinischer)Therapieformen, da deren theoretische Grundlegungen wissenschaftlich-methodische Mängel aufweisen können bzw. offen irrational oder gar antirational sind, ihre praktische Wirksamkeit aber mehr oder weniger nachgewiesen ist.

Sonderformen der Esoterik

Scharnierfunktionen bilden auch spezielle Formen des (Esoterik-)Konsums. Dieser spezielle Konsum zielt dabei auf eine bestimmte schon vorhandene Lebens(grund)auffassung, zu der passgenau ein bestimmtes Produkt bereitgestellt wird.

Devotionalien (Figuren, Kerzen, Räucherstäbchen, Kissen, Schmuck, Kristalle, Steine u.a.) Ratgeberliteratur (Stress, Entspannung, Lebenshilfe, Ernährung, Partnerschaft u.a.) Psycho-Kurse (NLP, Familienaufstellung, Rebirthing u.a.) aber auch Ökologieprodukte (Nahrung, Zusatzstoffe, Kleidung u.a.) Gesundheitsprodukte (Homöopathie, Bachblütentherapie, Schüsslersalze, spezielle Nahrungs- und Zusatzstoffe, Heilsteine, Kristalle, bestimmte Wasserfilter, eine Vielzahl von sogenannten [nicht-medizinischen] Therapien aller Art, Heilmassagen u.a.), und Angebote wie Klosterurlaub oder die Sexualität betreffend (Tantra-Kurse, Orgasmusschule, Kuschelgruppen u.a.).

In dieser Gruppe werden (Lebens-)Bedürfnisse fokusartig mit meist einem Produkt oder einer Produktlinie befriedigt. Die Teilhabe an einem schon vorhandenen System von (Geheim-)Wissen ist aber Voraussetzung zur (exklusiven) Konsumtion. Zielgruppe ist eine zahlungsfähige Mittel- und Oberschicht.

Je höher bzw. niedriger die Bildung bzw. die finanzielle Leistungsfähigkeit der betreffenden Personen sind, je anspruchsvoller oder einfacher ist das Angebot der jeweiligen Lehre oder Praktik. So finden sich soziale Schichten, in den eher Steine oder Astrologie bevorzugt werden (geringe Kosten) und andererseits bildungsbürgerliche Schichten, in denen alle Formen von Therapieangeboten beliebt und gesucht sind (hohe Kosten).

Gerade der moderne Therapiemarkt vermischt anerkannte, weil bewährte therapeutische Ansätze (Erfahrungswissen der Naturvölker, Entspannungsmethoden, Heilkräuter und Grundsätze der Kommunikations- und Beratungspsychologie und anderes) mit esoterischen (irrationalen, obskuren) Praktiken und Theorien. Meist geschieht das beliebig, wobei zu beobachten ist, dass sich am Markt orientiert wird, was sogenannte Modewellen im Therapiemarkt erklärt.

Verändern sich anerkannte medizinische Therapieformen nur mit dem wissenschaftlichen Fortschritt (zum Beispiel die Kariestherapie in der Zahnmedizin), ist bei den (esoterischen) Therapien weder ein einheitliches Therapiekonzept vorhanden, noch die Gewähr, dass das therapeutische Konzept sich am Menschen geschweige denn “am Markt” durchsetzt oder sich wenigstens als Erfahrungswissen bei den Menschen bewahrt. Hier haben wir gleichsam ein weiteres Erkennungsmerkmal: Allein die Bewegungsformen des Waren produzierenden Marktes (Angebot, Nachfrage, Preis, Konkurrenz etc.) bestimmen den Erfolg und die Etablierung der esoterischen Praktik — nicht die versprochene Wirkung.

Dabei etablieren sich auch Markennamen, wie zum Beispiel YOGA. Unter diesem Label gibt es eine Unzahl angebotener Praktiken, die kaum etwas miteinander gemein haben (müssen), so dass oft nur der Name “verbindet”. Yoga kann dabei reiner Sport sein, aber auch religiöses System oder eben eine esoterische Praktik.

Sozio-ökonomische Zusammenhänge

Alle esoterische Lehren sind auf einen wirtschaftlichen Zugewinn ausgerichtet. Sie entsprechen damit der Reproduktion der warenproduzierenden Gesellschaft und sind damit ein Teil von ihr. Das Hand in Hand gehen der materiellen wie ideologischen Produktion geschieht nirgends so offen wie in diesem Bereich. Die gern vorgeführte Gegenwelt der Esoterik (zum Beispiel gegen den Konsumfetischismus) führt seltsamerweise um so zielsicherer in den Hafen der baren Zahlung.

Hier liegt auch der offene Gegensatz zu religiösen Gemeinschaften, wo auch unentgeltlich teilgenommen werden darf und sogar eine karitative Leistung erbracht wird. Dass diese meist staatlich refinanziert ist, sei nur nebenbei erwähnt.

Das Produkt ist immer ein irgendwie geartetes Heilsversprechen, das an reale Bedürfnisse des (hilfesuchenden) Menschen anknüpft (Esoterik hat es in allen Geschichtsepochen gegeben, doch sind die Funktionen der Esoterik in der kapitalistischen Epoche erweitert). Es konnte beobachtet werden: in Umbruchsituationen und Krisen ist der Boden für die Entfaltung von Mystizismus, Irrationalismus und Übernatürlichkeit besonders fruchtbar. Die Menschen suchen von jeher Sicherheit, Sinn, Frieden und ein von Leiden befreites Leben. Diese Suche ist ein natürlicher und nicht unwesentlicher Motor der menschlichen Existenz.

Weltflucht (Leidflucht) und Heilsversprechen (Suche) wirken dabei unabhängig von der sozialen Herkunft und Stellung attraktiv. Die Esoterik hat in der kapitalistischen Gesellschaft eine wichtige ideologische Integrationsfunktion. Eine aktive politische Auseinandersetzung des “Esoterikers” mit der Gesellschaft wird gebremst oder findet nicht mehr statt.

Die vorgespielte Verneinung der kapitalistischen Verwertungslogik, ihrer Konkurrenz und Entsolidarisierung ist dabei doppelt tragisch. Einerseits werden tatsächliche Nöte des Individuums aufgegriffen, andererseits werden individualistische Tendenzen verstärkt und eine weitere Herauslösung der Persönlichkeit aus der sozialen Realität forciert.

Esoterik besänftigt also tatsächliche Konflikte Bedürftiger, wobei der gesamtgesellschaftliche Charakter der menschlichen Existenz verneint und die totale Ichbezüglichkeit kultiviert wird (das Ich als Fetisch).

Die wirtschaftliche Ausbeutung menschlicher Bedürfnisse, wie zum Beispiel gemeinschaftliche Aktivität, Solidarität und Gesundheit mittels geldwerter Ersatzbefriedigungen, stellt, wie schon erwähnt sicher, dass gesellschaftlich notwendige Umbrüche behindert werden. Gerade aber die aktive auf die Gesellschaft bezogene Einflussnahme von Betroffenen (der Leidenden, der potenziell zur Veränderung bereiten Menschen) hat in der Geschichte Änderungen von Strukturen möglich gemacht. Der Einsiedler ist kein Revolutionär.

Damit haftet jeglicher Esoterik eine politisch reaktionäre Wirkung an, die zu den persönlich schädigenden Folgen hinzutreten (Weltabkehr, finanzielle Belastung, der ewig Therapiebedürftige und gleichsam Abhängige, Aberglaube beziehungsweise psychischer Irrationalismus u.a.)

Wissenschaftskritik versus Gesellschaftskritik

Die von immer mehr Menschen geteilte Skepsis gegenüber der Wissenschaft (Schulmedizin, Gentechnik, Kernforschung und andere) findet in der Esoterik großen Widerhall und wird als Bestätigung des eigenen (“sanften”, “ganzheitlichen”) Ansatzes interpretiert.

Dabei ist zu beachten, dass die Wissenschaft selbst als gesellschaftliches Phänomen nichts anderes sein kann, als eine mehr oder weniger offen betriebene Produktion von Wissen. Hier hat sie entscheidenden Anteil an der Entwicklung der Produktivkräfte und der Schöpfung von Reichtum für die Menschen.

Die Wissenschaft ist dabei aber an die konkreten Verlaufsformen der materiellen Produktion gebunden bzw. bestimmt diese auch mit. In der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Wirtschaftsorganisation ist sie dem Ziel dieses Wirtschaftsmodells, Profit um jeden Preis, untergeordnet und bewegt sich darin. Dass die heutige Pharma-Industrie an kranken Menschen wirtschaftlich interessierter ist als an gesunden, leuchtet ein. Davon aber abzuleiten, dass die gesamte “Schulmedizin” zu verdammen sei, ist absurd und gefährlich.

Die Krisenhaftigkeit der heutigen Gesellschaft durchdringt ausnahmslos alle Bereiche, ob Schule, Altenpflege oder die “Umwelt” im weitesten Sinne, sie macht auch vor der Wissenschaft oder der Schulmedizin nicht halt. Das spricht aber nur gegen die Dominanz wirtschaftlicher Privatinteressen gegenüber den gesellschaftlichen Gesamtinteressen und gegen die inhumanen Strukturen eines Profitdiktats bei gleichzeitigem Fehlen demokratische Mitwirkung der Bürger gerade in Fragen der Produktion und Verteilung von Reichtum.

Dass 80 % der Weltbevölkerung in Armut leben, spricht deutlich gegen die heutige Wirtschaftsorganisation. Diese 80 % leben vornehmlich in den Peripherien der modernen Industrienationen und sind zuerst materiell bzw. physisch arm. Die Armut der Menschen in den reichen Ländern ist zumeist eine seelische.

Die Funktion von Esoterik im Kapitalismus

Die Unzufriedenheit auch breiter Schichten in den führenden Industrienationen hat nicht unwesentliche Auswirkungen auf den (florierenden) Esoterikmarkt.

“Armut”, ob physisch oder seelisch hat deformierende Folgen für das Individuum und sein Gemeinleben. Die Esoterik nutzt diese Armut. Was die Reisschale der UNESCO für die hungriger Münder der “3. Welt” ist, ist die Esoterik für unsere seelisch Armen. Der Kapitalismus organisiert, die für ihn typische (totale) Verwertung. Mittels der Esoterik gelingt das doppelt gut: Sie stellt die Leidenden ruhig und hält sie gleichzeitig vom Kampf gegen diese Zustände ab.

Die Unterordnung und Opferung der wissenschaftlichen Freiheit unter das Diktat der Interessen von Banken und Konzernen ist kritikwürdig und zu bekämpfen, aber eben nicht das wissenschaftlich-methodische Vorgehen der sogenannten Schulmedizin!

Der Charakter der Produktion hat nicht unwesentlichen Einfluss auf die gesellschaftlichen Ziele einer Gemeinschaft. In diesem Feld steht auch die Wissenschaft.

Die Medizinforschung hat in ihrer Geschichte einerseits erfolgreich Impfstoffe gegen lebensgefährliche Erreger entwickelt und hat so vielfach Leben gerettet und die Lebensqualität millionenfach verbessert, andererseits war sie mit den gleichen Methoden und anderen politischen Zielen in der Lage, biologische, chemische oder konventionelle Kampfstoffe zu erfinden, die ohne weiteres das Massensterben von Menschen verursacht hat und dies heute leider noch trefflicher könnten.

Noch einmal: Nicht das wissenschaftlich-methodische Vorgehen der Wissenschaft ist kritikwürdig, sondern die lebensfeindliche Ausrichtung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, in die unsere Wissenschaft eingebunden ist. Beides ist deutlich zu trennen.

Der Denkfehler (nicht nur) der Esoterik verwischt hier absichtlich den besonderen Charakter der Wissenschaft, nämlich die Erlangung von Wissen; das Erforschen von Phänomenen zum Nutzen der menschlichen Entwicklung (Fortschritt) unter Beachtung des Allgemeininteresses. Das Allgemeininteresse ist dabei kein Abstraktum, sondern die demokratische Willensbekundung von Bedürfnissen und das Umsetzen dieser.

Die esoterische Tendenz der Gesellschaft

Das Gegenteil dieser Bestrebungen bei gleichzeitiger Ausnutzung menschlicher Grundbedürfnisse können wir Esoterik nennen. Somit erweitern wir aber den Begriff allumfassend: Es kann durchaus sein, dass die heutige Pharma-Industrie der Esoterik eher entspricht als psychologische Beratungsangebote der christlichen Kirchen.

Dass es Esoterik gibt, heißt nicht, dass sie nötig oder gar notwendig ist. Das Vorhandensein von Esoterik ist ein Indikator für die Krisenhaftigkeit unserer Gesellschaft, die den Menschen mehr und mehr aus der Mitte ihrer Bemühungen heraus nimmt und den Profit voranstellt, der selbst nur als Mittel fungiert, um einer Minderheit Reichtum, Privilegien und Macht zu sichern. Nicht der Einzelne bedarf der Therapie, sondern die Umstände. Die Umstände, die Therapien und Heilsteine nötig erscheinen lassen, müssen menschlicher gestaltet werden.

Andy Zyon

August 2008