Paul Levi:

Was ist das Verbrechen?

Die Märzaktion oder die Kritik daran?

Berlin 1921

Vorwort

Es ist jetzt gerade einen Monat her, daß meine Broschüre “Unser Weg” erschienen ist. Der Erfolg ist bereits einigermaßen zu übersehen.

Der eine Erfolg, der nach außen hin fast als der einzige erscheint, ist der, daß jeder Gassenjunge glaubt, an der Spitze der deutschen Revolution zu marschieren, wenn er mich einen Verräter oder sonst noch wer weiß was schimpft. Dergleichen revolutionäre Helden gönne ihr so beschaffenes Heldentum, und ich will kein Wort über sie verlieren.

Der andere Erfolg aber, das kann ich heute schon sagen, ist der: In der Sache hat meine Auffassung schon heute gesiegt. Nicht nur ist keine Rede mehr davon, die “Leviten” aus der Partei hinauszuwerfen, die hohe Zentrale, die sich bereits als Sternkammer etabliert hatte, .ist heute froh, als Sekretärkollegium weiterwursteln zu dürfen, der Feldherrnhügel, von dem herab man die “Offensive” zu kommandieren wähnte, ist verlassen, und man gewinnt allmählich sogar Zeit, über der Hetze gegen mich auch die Schäden zu besehen, die die Märzaktion der Kommunistischen Partei zugefügt hat. Es sind inzwischen Leitsätze angenommen, die einer Köpfung jener Zentrale gleichkämen, die die Märzaktion “gemacht” hat, wenn es nicht ein Widerspruch in sich selbst wäre, von Köpfung zu reden, wo kein Kopf ist.

Nach außen aber freilich brüstet sich die Zentrale mit dem Sieg, den sie über mich erfochten hat; mein Skalp, denkt sie, lenkt der Gläubigen Blick von dem Rückzug der Zentrale in der Sache ab. Und wo für die Kommunistische Partei alles verloren ist, muß wenigstens das Prestige derer gewahrt werden, die die Verantwortung für den Verlust zu tragen haben. Die Sprünge, die einige dies- und jenseitige Götzen und Götzchen erlitten haben, sollen von außen nicht gesehen werden. So drückt sich die Zentrale und drücken sich die anderen Verantwortlichen von dem Bekenntnis ihres Fehlers, dem einzigen, was sie der Kommunistischen Partei noch geben können. Sie meinen, je mehr sie gegen mich. tobten, um so eher hätten sie die Möglichkeit, um dieses Bekenntnis herumzukommen. Sie mögen sich gedulden: jene eherne Notwendigkeit, .die über allem politischen Handeln und zumal über allen politischen Fehlern waltet, wird auch ihnen es nicht ersparen, ihr Prestige auf dem Altar der Partei zu opfern, an der sie so viel gesündigt haben, daß sie zu größeren Opfern verpflichtet sind als nur dem des Prestiges. Und jeder Tag, an dem die Zentrale diese im tiefsten Innern unehrliche, ja verlogene Existenz weiterführt, vergrößert ihre Schuld, weil sie den Schaden der Partei vergrößert.

Es wäre ein Unrecht nicht anzuerkennen, daß in all der Misère dieser Tage nicht auch Lichtblicke gewesen sind. Viele Genossen, zumal die vom alten Spartakusbund, haben der Sache die Treue bewahrt, für die sie mehr als andere so lange Zeit gekämpft haben. Ich habe auch aus ihrem Munde kein Klagen und kein Zagen gehört. Wir alle wissen, daß die Sache der Deutschen Kommunistischen Partei bald wieder an sie, die Triarier[1], kommen wird, und die schwere Aufgabe wird uns alle wieder so zusammenfinden, wie sie ehedem uns fand.

15. Mai 1921.

Paul Levi.


Genossen und Genossinnen!

Sie haben von mir nicht erwartet, und ich bin auch nicht gesonnen, hier eine Verteidigungsrede in dem Sinne des Wortes zu halten. Ich habe heute nicht das Gefühl, daß ich gezwungen sei, mich zu verteidigen; wenn etwas nötig ist, so ist das eine Auseinandersetzung. Denn mir scheint das Resultat schon festzustehen, daß wir auseinandergehen werden, und es ist nicht mehr wie Pflicht von beiden Seiten, daß, wenn man eine Zeitlang. und mit manchen Genossen solange Zeit, zusammengelebt hat und dann die Ehe löst, man die bestehenden Güter auseinandersetzt. Ich bin aber auch der Meinung, daß nicht nur aus diesem Grunde es notwendig ist, auf das Sachliche der Broschüre einzugehen.

Genosse Pieck sagte, sachlich wollen wir über die Märzaktion nicht sprechen. Es handelt sich einzig und allein um den “Disziplinbruch”. Und ich sage, es handelt sich allein um die Frage: “Ist die Märzakt’ion richtig?”

(Zwischenruf: Ja!) Dann gehöre ich herausgeworfen.

Oder aber ist die Märzaktion ein Fehler, ein so verhängnisvoller Fehler, wie ich und viele meiner Freunde glauben, daß sie sei? Dann ist noch viel mehr entschuldigt und gerechtfertigt als das, was ich in meiner Broschüre getan habe und so ist, glaube ich, durchaus keine andere Möglichkeit als die, sachlich darüber klar zu werden: wie ist die Märzaktion zu beurteilen?

Bevor ich nun diese Frage erörtere, möchte ich eine andere kurz streifen: Welches Geschick hatte die Broschüre in der Partei? Das eine gebe ich zu: sie hatte nicht das Geschick, das ich ihr zugerechnet hatte, und ich werde auf diesen Punkt des weiteren noch später eingehen. Ich hätte aber jedenfalls erwarten können, daß man sich mit ihr in Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit abgegeben hätte und nicht etwa in der Weise, für die ich Ihnen nur ein einziges Beispiel erwähnen will. Der Genosse Meyer in der Roten Fahne vom 15. April schreibt folgendes:

“. ..Nach der Manier eines sozialdemokratischen Parteikassierers und Gewerkschaftsbonzen ist Levi vollkommen dadurch befriedigt, daß die Zahl der organisierten Kommunisten seit dem November I9I8 von ein paar Tausend auf 500000 im Frühjahr I92I gestiegen ist: “Das hat noch keine Klasse der Welt bisher geleistet.”

In meiner Broschüre sagte ich wörtlich folgendes:

“In Deutschland aber, in dieser Revolution, entwickelten sich die revolutionären Kräfte nahezu Schritt haltend mit der Entfaltung der Konterrevolution. Das kommt in zweierlei zum Ausdruck. Die Stärke einer revolutionären Klasse, des Proletariats, wächst proportional mit der Stärke und Zahl ihrer klarsten, bewußtesten und entschiedensten Vorkämpfer. Die Kommunisten in Deutschland nun, im. November I9I8, bildeten eine Gruppe, und nicht einmal eine große. Die Kommunisten des Februar 1921 bildeten eine Schar von 500000 Mann. Die andere Erscheinung, in der die bisher wachsende Stärke der revolutionären Kräfte zum Ausdruck kommt, ist die: die deutsche proletarische Klasse hat in den 2 ½ Jahren der deutschen Revolution schon furchtbare Schläge erhalten. Sie hat Blut in Strömen verloren, sie sank ein-, zwei-, dreimal schwer getroffen dahin und hat sich doch nach kurzem schon immer wieder mit neuen Kräften erhoben, riesengroß und riesenstark. Das hat noch keine Klasse der Welt bisher geleistet.”

Ich glaube, ich kann durch keine Tatsache. als durch die Gegenüberstellung dieser beiden Zitate beweisen, wie von Genossen, denen es ernst sein sollte mit der Beurteilung der aufgeworfenen Frage, ohne Ernst und ohne Ehrlichkeit herangegangen wurde an die Erledigung so schwerer Probleme, daß heute sogar die Kommunistische Internationale schreibt, sie müßten auf dem nächsten Weltkongreß erörtert werden. Sie waren noch nicht einmal imstande, ehrlich die Zitate wiederzugeben.

Und nun wird mir vielleicht gesagt: ja, du hast auch Protokolle veröffentlicht und auch nur auszugsweise. Ich möchte aber doch zwei Punkte dem entgegenhalten. Zunächst wird mir ein Vorwurf daraus gemacht, daß ich Protokolle aus einer Sitzung des Zentralausschusses überhaupt auf eigene Faust veröffentlicht habe. Darüber besteht nun in keinem Kreise der Partei irgendein Zweifel, daß diese Sitzung des Zentralausschusses vom I7. März die schwerwiegendste Sitzung irgendeines deutschen Zentralausschusses gewesen, und daß noch nie in solch einer Sitzung - mag es zum guten oder zum schlechten sein -.eine Entscheidung getroffen worden ist, die so sehr das Leben und das Wesen der Partei betrifft, wie in jener Sitzung.

Und da sage ich, eine solche Entscheidung, bis heute noch von der Zentrale der Mitgliedschaft geheimgehalten, das ist ein Unding. Es ist absolute Notwendigkeit, über so schwerwiegende Entscheidungen ein völliges Protokoll sofort der Mitgliedschaft zur Verfügung zu stellen, ihnen, den Mitgliedern, zu sagen, was vorgeht, sie, die ja die Entscheidung auszuführen haben, vertraut zu machen mit dem, was kommt Und so ist es kein Vorwurf gegen mich, sondern ein Vorwurf gegen die Zentrale, wenn ich es gewesen bin, der gezwungen wurde, die entscheidenden Stellen den Mitgliedern der Kommunistischen Partei bekanntzugeben.

(Zwischenruf: Warum nicht früher?)

Das will ich dem Genossen genau sagen. Ich bekam die Protokolle am ersten Tage meiner Rückkehr von einer Auslandsreise, als die sogenannte Aktion schon längst begonnen hatte.

Ich sage aber weiter: mit der Veröffentlichung von Protokollen, selbst aus geheimen Sitzungen - die vom 17. März war es gar nicht - in Fällen, wo die Partei in Not ist, bin ich in guter Gesellschaft. Die Genossen, die vertrauter sind mit russischen Verhältnissen, werden sich der Vorgänge erinnern, die der Machtergreifung der Bolschewiki vorangingen.

Am 21. Oktober (3. November 1917), also sechs Tage vor dem Aufstand, veröffentlichte Lenin eine Broschüre, “Brief an die Genossen”, um sie von der Notwendigkeit des sofortigen bewaffneten Aufstandes zu überzeugen[2]. Um seinen Beweisgründen den nötigen Nachdruck zu verleihen, führte er in dieser Broschüre alle jene Gründe an, die seine Parteigegner unter Führung Sinowjews gegen den bewaffneten Aufstand geltend machten. Lenin stellt in der Broschüre ausdrücklich fest, über welche Informationen und von welchem Datum er verfügt, und schreibt in der Einleitung, daß er “am Montag, dem 16. Oktober, morgens einen Genossen traf, der am Tage vorher an einer sehr wichtigen bolschewikischen Sitzung in Petersburg teilgenommen hat”. In dieser geheimen Sitzung nahmen zwei Genossen eine negative Stellung ein. Lenin schreibt:

“Die Motive, die diese Genossen vorbrachten, sind derartig unzulänglich, diese Motive stellen einen so krassen Beweis der Haltlosigkeit, der Hilflosigkeit und des Zusammenbruches aller Grundideen des Bolschewismus und des revolutionär-proletarischen Internationalismus dar, daß es einem schwer fällt, für derart schmähliche Schwankungen eine Erklärung zu finden. Aber die Tatsache steht fest, und da eine revolutionäre Partei nicht berechtigt ist, in einer so ernsthaften Frage Schwankungen zu dulden, da diese paar Genossen, die ihrer Prinzipien verlustig gegangen sind, immerhin eine gewisse Verwirrung stiften können, so tut es not, ihre Motive zu untersuchen, ihre Schwankungen zu enthüllen und zu zeigen, wie schmählich sie sind.”

Und auf Grund dieses ihm von einem Genossen aus einer geheimen Sitzung überbrachten Materials baute Lenin seine flammende Anklageschrift gegen die “Zauderer”, zeigte den “Abgrund der Charakterlosigkeit”, in den diese zwei Genossen verfallen waren.

Die Genossen, gegen die sich Genosse Lenin wendet, das sind die Genossen Sinowjew und Kamenjew, und er hat sein Material erhalten von einem Genossen, der bei einer geheimen Sitzung dabei war.

Wenn die Partei in Not ist, - und ich weiß nicht, ob die Bolschewiki damals in größerer Not waren als die deutsche Kommunistische Partei heute -, dann ist es Pflicht zu reden. “ Ich frage aber weiter: Weswegen habe ich diese Stellen veröffentlicht, nicht andere und eben nur die, und weshalb habe ich sie veröffentlicht, ohne zuvor zu den einzelnen Rednern zu gehen und sie zu fragen, ob die Stellen stimmen.

Und so komme ich schon näher an den Kern der Frage, wie die Aktion entstand. Ende Februar oder in den ersten Tagen des März dieses Jahres - ich nehme an, daß Sie das wissen - kam in Deutschland ein Genosse an, der bisher noch nicht in Deutschland gearbeitet hatte. Er hat, ich glaube am 10. März, mit der Genossin Klara Zetkin eine Unterredung gehabt, die auf die Genossin Klara Zetkin einen so niederschmetternden Eindruck gemacht hat, daß sie in einer gewissen Bestürzung zu mir kam und mir von dem Inhalt der Unterredung Mitteilung machte, und indem sie zugleich sagte, daß sie es künftig ablehnen werde, mit diesem Genossen ohne Zeugen zu konferieren.

Ich hatte dann am 14. März mit demselben Genossen eine Unterredung, und in dieser Unterredung hat der Genosse nicht nur mir dasselbe gesagt, was er nach der Erzählung der Genossin Zetkin ihr gesagt hatte, sondern - es tut mir leid, den Genossen, die jene Ausführungen auf der Sitzung vom 17. März machten, den Ruhm der Originalität wegnehmen zu müssen - wörtlich das, was in den Stellen stand, die ich auszugsweise aus dem Protokoll des Zentralausschusses veröffentlicht habe bis auf die eine Stelle von dem drohenden Krieg zwischen England und Amerika; die ist Original des betreffenden Redners. Aber bis auf diese eine Stelle ist mir alles, aber auch alles, und mit der Stelle von der Provokation, und nicht nur mir, sondern auch .der Genossin. Klara .Zetkin, ausgeführt worden; auch die zwei bis drei Millionen, die in einer “Angriffsaktion” für uns kämpfen werden, waren schon da.

Ich habe meine Auffassung von der Provokation, genau wie die Genossin Klara Zetkin die ihre dem Genossen klar und deutlich gesagt, und nun, Genossen und Genossinnen, werden sie mir zugeben: am 10. März dieses Jahres hört Genossin Klara Zetkin diese Ausführungen von der Aktion, die jetzt gemacht werden müsse, wenn es not tut, durch eine Provokation. Am 14. März höre ich sie, diese Theorien, von denen wir ja einig sind, daß sie uns allen fremd und bis dahin von niemand in unserer Partei vertreten worden waren. Am 17. März treten Leitung mit Zentralausschuß zusammen und stellen dieselbe Theorie auf. Habe ich da ein Recht oder nicht zu sagen, daß hier ein kausaler Zusammenhang sei zwischen jenem Autor und diesem Genossen? Ich sage da bestimmt und heute noch, das kann und sollte auch von jenen Genossen nicht geleugnet werden: der erste Anstoß zu dieser Aktion in der Form, wie sie erfolgte, kam nicht von deutscher Seite.

Und nun, Genossen und Genossinnen, wird weiter gesagt, die Aktion sei von Hörsing ausgegangen, und Genosse Pieck, der zwar gesagt hat, es seien in meiner Broschüre drei unwahre Behauptungen, von denen ich aber aus seinen Anführungen nur zwei entnehmen konnte, -- also Genosse Pieck hat gesagt, die erste Unwahrheit sei die, daß ich zu Unrecht behauptet hätte, diese ausgebrochene Aktion, das sei die Aktion, die die Zentrale mit ihren Beschlüssen im Auge gehabt habe.

Das habe ich mitnichten gesagt. Ich habe das Gegenteil gesagt. Ich habe in meiner Broschüre das Folgende gesagt:

“Es ist der Zentrale zunächst erspart geblieben, die neuerworbene theoretische Grundlage in die Praxis umzusetzen. Hörsing kam ihr zuvor. Er rückte ins Mansfeldische ein und hatte damit bereits einen Erfolg für sich: den geeigneten Zeitpunkt. Mit der Gerissenheit eines alten Gewerkschaftsbureaukraten suchte er sich die Woche aus, die Ostern voranging, wohl wissend, was die viertägige Schließung der Betriebe von Karfreitag bis Ostermontag bedeutet. Damit war die Zentrale schon von vornherein die Gefangene ihrer eigenen Parolen geworden.”

Ich habe mitnichten gesagt, daß diese Aktion eben die sei, die die Zentrale gewollt habe, sondern ich habe klar und deutlich gesagt, die Zentrale war die Gefangene ihrer ParoIen , sie konnte nicht mehr mit freien Händen die jetzt von Hörsing geschaffene Situation ausnutzen.

Und dann habe ich nur noch einen Punkt weiter zu erörtern, das ist einer, von dem vielleicht die Mitglieder der deutschen Zentrale weniger wissen, als ich. Es ist die Frage: besteht zwischen dem Hörsingschen Einmarsch und zwischen der Gesamtaktion ein kausaler Zusammenhang? Und wie ich das meine, die Gesamtaktion, Genossen und Genossinnen, das will ich Ihnen deutlicher machen.

(Der Redner setzt hier auseinander, daß ein Unterschied sei zwischen dem, was die Zentrale als Körperschaft angeordnet und politisch und juristisch zu vertreten habe und dem Gesamtkomplex von Erscheinungen, die die Aktion begleiteten, die außerhalb des Willens oder auch nur Wissens der Zentrale lagen, die aber politisch doch mit den Entschlüssen der Zentrale eine Einheit bildeten. Er kommt zu dem Schluß, daß möglicherweise der Hörsingsche Einmarsch zu dieser Zeit und an diesem Ort auch nur die Folgeerscheinung von Ereignissen sei, die in diesen, außerhalb des Wissens und Willens der Zentrale liegenden, Gesamtkomplex gehörten.)

Er fährt dann fort:

Wenn nun die Zentrale in ihrem Aufruf, in dem sie zum Generalstreik aufgerufen hat, sagt, nachdem auch Attentate vorlagen, die jedenfalls nicht durchweg Spitzelmache waren, sondern .von denen auch die Zentrale in ihren Leitsätzen über die Märzaktion (Internationale Nr. 4) sagt, daß sie "ein Pol der Verzweiflung am revolutionären Massenkampf" seien, wenn angesichts dieser Dinge die Zentrale sagt:

"Wie 1914. Damals erfand man die Nachricht vom Abwurf von Fliegerbomben auf Nürnberg und Brunnenvergiftung durch die Franzosen. Heute sprengt man Eisenbahnzüge und Amtsgebäude in die Luft und will damit eine kommunistische Hetze entfachen,"

so sage ich, Genossen und Genossinnen: Wer wie ich zehn Tage zuvor mit aller Deutlichkeit aus dem Munde eines legitimierten Genossen die Theorien von der Provokation gehört hat, die Theorie von der Provokation dann weitergegeben wird in der Sitzung des Zentralausschusses, und dann die Polizei marschiert, da muß ich sagen, Genossen und Genossinnen, dann gehört ein großer Optimismus dazu, noch immer anzunehmen, daß eines mit dem anderen nichts zu tun habe, und daß man sich hinstellen könne und sagen: wie 19 I 4, wo gar keine Fliegerbomben überhaupt da waren und wo alles nur vom W. T .B. und vom Generalstab erfunden war. Nein, Genossen und Genossinnen, das war eine falsche Einleitung, und ich weiß, man wird auch das zum Menschewismus rechnen und mich zu den Menschewisten tun, aber ich sage trotzdem: Es gibt auch gewisse moraIische Größen, die nicht verletzt werden dürfen. Eine Zentrale, die oben nicht felsenfest überzeugt ist von ihrem Recht, die im Hinterhalt hat den Gedanken: Du mußt provozieren, du mußt also etwas scheinend machen, was nicht ist, die hat, Genossen und Genossinnen, die moralische Kraft - ich will nicht vom Recht reden -verwirkt, politische Massen in den Kampf zu führen.

Und so, Genossen und Genossinnen, war mir ganz klar und ist mir ganz klar, daß es eine moralisch und politisch ganz falsche Einstellung war, wenn man den Gedanken verließ, die Massen durch etwas anderes zum Kampf zu gewinnen als durch das, was eben ist, wenn man mit dem Gedanken der Provokation spielt und dann schließlich sich auf den Standpunkt stellt: "Wie 1914. Es ist alles gelogen".

Und nun, Genossen und Genossinnen, was hat die Zentrale mit dieser ihrer Haltung und ihrer politischen Führung gewollt?

Da kam ich zu dem Punkt, der ja zu den schwerwiegenden Vorwürfen gehört - wie Genosse Pieck sagt -die gegen mich erhoben werden: was hat sie gewollt?

Ich nehme mir vor den Aufruf der Zentrale zum Generalstreik. Sie hat zur Parole folgendes:

"Brecht mit Gewalt die Gewalt der Konterrevolution!

Entwaffnung der Konterrevolution, Bewaffnung, Bildung von Ortswehren aus den Kreisen der Arbeiter!

Bildet sofort proletarische Ortswehren!

Sichert euch die Macht in den Betrieben! Organisiert die Produktion durch Betriebsräte und Gewerkschaften!

Schafft Arbeit für die Arbeitslosen!

Sichert die Existenz der Kriegsopfer und Rentenempfänger I

Kämpft für die Beschlagnahme der Wohnungen der Reichen und schafft Wohnungen für die Obdachlosen!

Verhindert Transporte von Truppen und Waffen!"

Von all dem Mischgemüse von Forderungen, die die Zentrale aufgestellt hat als durch den Generalstreik zu verwirklichen, war ungefähr die letzte die einzige von allen Parolen, die einen Sinn hatte.

Und nun, Genossen und Genossinnen, weiter. Nun wird der große Vorwurf gegen mich erhoben: Du hast der Zentrale bewußt falsch in die Schuhe geschoben, sie habe die Regierung stürzen wollen oder: ich muß mich verbessern, "sie habe die Diktatur des Proletariats aufrichten wollen!"

Genosse Frölich hat in der Nr. 4 der "Internationale" das in der Tat zum Mittelpunkt seiner Angriffe gemacht. Er nimmt aus meiner Broschüre heraus den Satz:

"Wer unter diesen Umständen jetzt, in dieser Situation, eine Aktion beginnt, um die Staatsgewalt zu erobern, der ist ein Narr, und wer der Kommunistischen Partei vorerzählt, sie, die Kommunistische Partei, brauche nur zuzugreifen, der ist ein Lügner."

Und Frölich fährt dann fort:

"Hier haben wir die Grundlage für Levis Kritik, und diese Grundlage ist in der Tat eine Narretei und eine Lüge. Es wird Levi nicht gelingen, auch nur eine Tatsache anzuführen, durch die seine pathetisch aufgestellte Behauptung bewiesen würde."

Doch, Genossen und Genossinnen, ich habe solche Tatsachen, und von solchen Tatsachen führe ich zunächst an den Artikel des Genossen Frölich in Nr. 3 der "Internationale":

"Seit zwei Jahren gab es keinen Zeitpunkt, wo die Regierung so geschwächt war wie jetzt. Diese Regierung kann durch einen einigermaßen starken Stoß gestürzt werden, und jede neue Regierung, wie sie auch aussehen mag, wird für die Revolution von Vorteil sein, weil sie eindeutigere Verhältnisse bringt. Besteht aber die Möglichkeit zu solchem Stoß, dann muß eine revolutionäre Partei ihn führen. Unter diesen Umständen beschloß die V.K.P.D. die Offensive zu ergreifen."

Ich lasse hier zunächst ganz dahingestellt die Theorie, die auch im Kapp-Putsch seligen Angedenkens eine erhebliche Rolle spielte, die Theorie, daß jede andere Regierung besser sei, daß selbst eine Regierung Kapp-Lüttwitz besser sei, weil sie "eindeutigere Verhältnisse schaffe".

Ich lasse also diesen Punkt vollständig daneben und ergreife den Punkt: die V.K.P.D. ginge in die Offensive, um die Regierung zu stürzen.

(Zwischenruf Pieck: Gewiß!)

Und nun sagen die Genossen: Gewiß, wir wollten die Regierung stürzen, aber wir wollten nicht die Diktatur des Proletariates, nicht die Herrschaft der Arbeiterklasse erkämpfen, und das ist zweierlei. Und deswegen frage ich zunächst weiter: womit hat die Zentrale der V.K.P.D. den Sturz der Regierung betrieben?

Die Zentrale verwahrte sich dagegen, daß sie ihn betrieben habe durch den bewaffneten Aufstand, sie habe diesen nicht gewollt, sie sagt, weiter als bis zum Generalstreik sei sie mit den Parolen absichtlich nicht gegangen.

Das ist doch Ihr Gedanke, Genosse Pieck?

Und nun komme ich zurück darauf: Ist die Zentrale der V .K.P .D. für den bewaffneten Aufstand, der in Mitteldeutschland ausbrach, politisch verantwortlich oder nicht?

Ich erkläre, daß es keine böswillige Verleumdung der Zentrale durch mich ist, wenn ich behaupte, in einem gewissen Stadium hat man die mitteldeutschen Arbeiter als Disziplinbrecher hingestellt, die durch ihre Schuld, ihren Disziplinbruch, den Schaden angerichtet hätten.

(Zwischenruf: Wer?)

Jawohl, das tat in meiner Gegenwart und öffentlich in der Berliner Funktionärversammlung Eberlein.

Ich sage also: Ist die Zentrale verantwortlich oder nicht? Es wird nun niemand leugnen, daß für die Rote Fahne die Zentrale in jedem Fall verantwortlich ist. Die Rote Fahne hat da am 18. März I92I geschrieben:

"Ein jeder Arbeiter pfeift auf das Gesetz und erwirbt sich eine Waffe, wo er sie findet !"

Am I 9. März schrieb die Rote Fahne:

"Die Orgeschbande trumpft auf mit dem Schwert. Sie führt die Sprache der offenen Gewalt. Die deutschen Arbeiter wären Hundsfötter, wenn sie nicht den Mut und die Kraft fänden, den Orgeschbanden in ihrer kIaren Sprache zu antworten."

Am 20. März schrieb die Rote Fahne:

"Das Beispiel der Arbeiter im Bezirk Halle, die auf die Herausforderung Hörsings mit dem Streik antworten werden, muß nachgeahmt werden. Die Arbeiterschaft muß sich sogleich wappnen, um dem Feind gerüstet gegenüberzustehen."

Am 2I, März schrieb die Rote Fahne:

"Nur das Proletariat kann die schändlichen Absichten der Orgeschbanden zu schanden machen. Es kann dies nur tun, wenn es sich einig zusammenschließt zur Aktion, wenn es den sozial verräterischen Schwätzern den Laufpaß gibt und die Gegenrevolution schlägt, wie sie allein geschlagen werden kann mit der Waffe in der Hand,"

Und, da sage ich, Genossen und Genossinnen: da bedurfte es keiner Reise des Genossen Z. nach dem Mansfeldischen mehr; für das ganze Reich schaffen diese Aufrufe der Roten Fahne genug, um der Zentrale die politische Verantwortung für die Geschehnisse aufzuerlegen.

Ich sage also weiter, es ist kein Quatsch, sondern ein unerhörtes Unrecht den Arbeitern gegenüber, wenn man auf Grund dieser Zeitungsschreibereien, für die man verantwortlich ist, nicht die ganze Verantwortung freudig auf sich nimmt, sondern versucht, den Arbeitern sie aufzuladen und die, die sich geschlagen haben, auch noch mit der Schuld zu beladen.

Und nun, Genossen und Genossinnen, freue ich mich: Die Zentrale der V.K.P.D. hat mit diesem ihrem Ruf zur Waffe einen Kritiker gefunden, den ich ihr gönne. Es ist die Kommunistische Arbeiterzeitung, die am 21. März 1921 folgendes schreibt:

"Wir rufen den Arbeitern zu: seht ihnen nicht aufs Maul, seht ihnen auf die Finger. Zeigt den V.K.P.-Leuten all die schamlosen Frechheiten, die sich das Unternehmertum täglich leistet, fordert aufs neue von ihnen den solidarischen, rücksichtslosen Abwehrkampf gegen diese Frechheiten, fordert von ihnen aufs neue die revolutionäre Zerstörung des kapitalistischen Wirtschaftsaufbaus, fordert aufs neue die revolutionäre Solidarität mit den Arbeitslosen, denen erst der Ruin der kapitalistischen Schandwirtschaft neue Hoffnungen eröffnen kann und kämpft Tag für Tag gegen den legalen Betriebsräteschwindel, für die Zusammenfassung in revolutionären Aktionsausschüssen.

Es ist schon recht, die Arbeiter zur Selbstbewaffnung aufzurufen. Der wirkliche Kampf aber beginnt in den Betrieben: dann erst kommt die Straße dran und der Schießprügel.

Ihr V.K.P.-Leute: seid ihr bereit, das Letzte zu wagen? Dann zeigt auch, daß ihr bereit seid, das Nächste zu tun."

Abgesehen von dem Blödsinn mit der "Sabotage der Produktion", der hier noch immer durchspielt, ist diese ganze Stelle ein Riesenmaß von politischer W eis h e i t gegenüber dem Verhalten der Roten Fahne und der Zentrale, die für die Haltung der Roten Fahne verantwortlich ist. Und wenn gegenüber alledem immer wiederholt und gesagt wird: Ja, den Sturz der Regierung wollten wir nicht!, dann muß ich sagen, dann hat die Zentrale bei allen ihren Aufrufen zu den Waffen offenbar überhaupt nichts gedacht, und ich möchte der Zentrale - ich weiß nicht, ob noch einmal Fälle dieser Art kommen - ein Wort von Sorel mit auf den Weg geben:

"Wer sich mit revolutionären Worten an das Volk wendet, muß seine Aufrichtigkeit einer genauen Probe unterziehen. Denn die Arbeiter verstehen diese Worte in dem Sinne,. wie sie sich in ihrer Sprache darstellen und geben sich nicht mit Deutungen ab."

Ich glaube, das hätte beherzigt werden müssen.

Und nun noch weiter. Wollte die Zentrale die Eroberung der Macht oder wollte sie das nicht?

(Zwischenruf: Natürlich!)

Da will ich der Zentrale folgendes wiederum vorlesen aus der Kommunistischen Arbeiterzeitung. Die Kommunistische Arbeiterzeitung schreibt in ihrer Nr. 187, leider ohne Datum, folgendes:

"In der Morgenausgabe der Roten Fahne vom 15. April wird in einem Artikel, betitelt: "Levis Weg zur U.S.P." die Abrechnung mit dem gefallenen Engel vollzogen. Dabei passiert Ernst Meyer, dem Verfasser jenes Artikels, das Malheur, daß er gegen Levi einen Vorwurf erhebt, der, weil er ein Vor w u r f ist, nicht so sehr den ,Schandbuben' trifft, als die jetzige Zentrale der V.K.P.D. Ernst Meyer schreibt wörtlich: ,Er (Levi) unterstellt der Zentrale und dem Zentralausschuß, daß ihre Beschlüsse kurz vor und in der Märzaktion die Absicht hatten, die Staatsgewalt zu erobern, d. h. also die Räterepublik Deutschlands zu verwirklichen.

In Wirklichkeit war vor und während der Aktion bei keinem Parteigenossen von solchen Absichten die Rede.'

Nebenbei gesagt - fährt die Kommunistische Arbeiterzeitung fort - eine furchtbare, Unterstellung'.”

(Zwischenruf: Ist das auch Ihre Ansicht?)

Ich komme darauf, Genosse Urban, ich werde nichts verschweigen.

“Nebenbei gesagt: eine furchtbare, Unterstellung'. Als ob die revolutionären Arbeiter Deutschlands heute zu den Waffen greifen würden, ohne das Ziel der Eroberung der politischen Macht im Auge zu haben! Paul Levis Anklageschrift gegen den Putschismus scheint auch seinen Gegnern vom ,linken Flügel' solches Entsetzen eingejagt zu haben, daß sie offenbar ihre eigenen Parolen vergessen haben. Die Rote Fahne scheint außerdem vergessen zu haben, daß sie vor kaum acht Tagen erst in einer Artikelserie die Märzaktion mit hoher Genugtuung als den Beginn einer revolutionären Offensive' bezeichnet hat. Hat beispielsweise die deutsche Heeresleitung im März 1918 die Offensive ergriffen, um einige verwüstete Quadratkilometer an der Somme zu erobern, oder dachte sie nicht vielmehr daran, den Gegner vernichtend zu schlagen? Kann man sich von irgendeinem Offensivkampf Erfolg versprechen, wenn man von Anbeginn an entschlossen ist, diesen Kampf nur bis zu einer bestimmten Etappe zu führen? Oder wird nicht gerade die Erreichung einer Etappe erst dadurch ermöglicht, daß man das Ziel so weit steckt, als nur irgend möglich? Wer sich vornimmt, den Kampf nur bis zu einer gewissen Linie zu führen, erreicht nicht einmal diese. geschweige denn jemals das Endziel. Die Abgrenzung des Offensivfeldes ist das Ergebnis des Kampfes selbst, nicht sein Ziel. Sonst rückt das Endziel in unendIiche Feme.

Wenn die Rote Fahne sich jetzt also gegen den ,Vorwurf' zur Wehr setzen muß, daß die Märzaktion die Errichtung der proletarischen Diktatur zum Ziel gehabt hätte, so wäre es besser, sie würde den Gedanken einer ,revolutionären Offensive' überhaupt ad acta legen. Noch besser freilich wäre es, darauf zu achten, daß nicht in derseIben Nummer der Roten Fahne das Gegenteil von dem behauptet wird, was E. M. im Leitartikel leugnet und verleugnet. In einem Bericht über die von der V.K.P.D. am 13. April veranstalteten Arbeitslosenversammlungen in Berlin wird nämlich eine Resolution veröffentlicht, in der es unter anderm heißt:

Die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit kann daher nur erfolgreich durch Ablösung der kapitalistischen und Einführung der sozialistischen Wirtschaftsordnung auf Grundlage der Diktatur des Proletariats geschehen. Auch der letzte von der V.K.P.D. zu diesem Zweck proklamierte Generalstreik war auf diese Richtung eingestellt. Welche Lesart soll nun gelten? Ist der Leitartikel maßgebend oder das Beiblatt?"

Und nun, Genossen und Genossinnen, fragt mich Genosse Urban durch wiederholte Zwischenrufe, ob dies auch meine Auffassung sei. Und da muß ich Ihnen gestehen, Genossen und Genossinnen: Wenn man einmal zu dem rein militärischen Begriff "Offensive" und "Defensive" übergeht in der Politik, dann muß man auch auf diesen militärischen Begriff militärische Begriffe anwenden. Und dann ist absolut richtig, was die Kommunistische Arbeiterzeitung schreibt. Eine Offensive, so wie Sie sich die Offensive vorgestellt haben: die Umstellung eines großen Parteikörpers auf den Angriff, eine solche Offensive, geschaffen durch den Willen der Partei und Parteileitung, eine solche Offensive ist, darüber werde ich später noch sprechen, politisch eine Unmöglichkeit. Sie ist eine anarchistische Spielerei. Aber wenn Sie überhaupt politisch gedacht werden kann, dann ist sie freilich nur möglich mit dem Endsieg, mit der Eroberung der politischen Macht als unmittelbarem Siegespreis. Aus psychologischen Gründen ist das nicht anders möglich. Die Kommunistische Arbeiterzeitung hat ganz recht: was 1918 die müden Soldaten noch einmal aus dem Graben herausbrachte, war die Hoffnung auf den entscheidenden Sieg. Was sie 1914 auf die Beine brachte, war die Hoffnung auf den Endsieg in sechs Wochen.

Es hat während des Krieges ein militärischer 'Schriftsteller bei den Kriegszieldebatten vollkommen mit Recht gesagt: Wer will, daß jemand einen Meter springt, darf das Sei! nicht 95 cm legen, sondern muß das Seil 1,05 cm legen.

Von der anarchistisch-syndikalistischen Idee des kraft Beschlusses der Organisation herbeigeführten Generalstreiks oder Generalaufstandes ist der Gedanke des unmittelbar mit diesem Generalangriff verbundenen "Endsieges" gar nicht zu trennen. Dieser Ausgangspunkt und dieses Endziel charakterisieren die "direkte Aktion". Und worin ich mich von der K.A.P.D. und von dieser jetzigen Einstellung der V .K.P .D. absolut und völlig unterscheide, das ist eben das, daß ich diesen anarchistischen Wunderglauben ablehne und sage: Es ist eine Unmöglichkeit, ein Unding, auf Grund eines Beschlusses der Partei und auf Grund des Beschlusses einer Parteiinstanz. oder irgendeines Genossen, der sich für wunder wie genial hält, von heute auf morgen überzugehen von. einer Defensive in die 0ffensive, von der Passivität in die Aktivität, und wie die Dinge alle heißen.

Und damit, Genossen und Genossinnen, komme ich ja wohl zum Kernstück des "Menschewismus", wie die neueste Lesart und Deutung lautet. Also: die Partei ist von der Defensive in die 0ffensive übergegangen und kämpft jetzt im Angriff, um "die Entwicklung der Revolution zu zwingen".

Wenn dem so ist, dann muß die Zentrale und müssen die, die solch ein Unternehmen machen, nach meiner Meinung auch nach außen hin und vor den Massen, die sie doch gewinnen wollen, diesen siegverheißenden Gedanken auch verkünden.

Und da ist nun der Zentrale ein merkwürdiges Ungemach passiert. Im ersten Moment der ersten Aktion auf der "neuen Linie" der "Offensive" gibt die Zentrale einen Aufruf heraus und sagt da unter anderem folgendes:

"Die Gegenrevolution hat den Kampf jetzt vom Zaune gebrochen...."

"Der Kampf ist uns aufgezwungen…."

"Erhebt euch mit uns," heißt es weiter, "zur gemeinsamen Abwehr des Schurkenstreiches".

Also aus der gloriosen Fanfare wird im ersten Augenblick, in dem man ja schon sah, wie schief die Sache ging, die Schamade. Kein Mensch bekennt sich mehr zur glorreichen Offensive.

Die Zentrale sagt: ich habe es nicht gewollt; die Exekutive sagt: ich habe es nicht gewollt; die Vertreter der Exekutive sagen: wir haben es nicht gewollt und so sind - und mögen die Genossen wieder von der "Sentimentalität" reden - es offenbar und letztes Endes die Arbeiter, die das gewollt haben, die die These vom Bezwingen der Revolution und vom Übergang von der "Defensive" zur "Offensive" ausgegeben haben.

Und nun weiter. Ich sage, die ganze Einstellung von der "Aktivität" und der "Passivität", von der "Offensive" und der "Defensive", vom "Übergang von der Agitation in die Aktion« sind eitel künstlich gemachte Unterscheidungen und vollständig unpolitische Deutereien und Wortspielereien.

Ich habe den Genossen und Genossinnen vor zwei Monaten - so schnell ändern sich die Zeiten - vor zwei Monaten in diesem Zimmer einen Satz verlesen von der Genossin Rosa Luxemburg und habe von keiner Seite Widersprüche gehört, und der heißt folgendermaßen:

"Grundverschieden sind die Bedingungen der sozialdemokratischen Aktion. Diese wächst historisch aus dem elementaren Klassenkampf heraus. Sie bewegt sich dabei in dem dialektischen Widerspruch, daß hier die proletarische Armee sich erst im Kampfe selbst rekrutiert und erst im Kampf auch über die Aufgaben des Kampfes klar wird. Organisation, Aufklärung und Kampf sind hier nicht getrennte, mechanisch und auch zeitlich gesonderte Momente wie bei einer blanquistischen Bewegung, sondern sind nur die verschiedenen Seiten desselben Prozesses."

Hier haben Sie die Gründe, warum ich sage, daß der ganze Gedanke vom Übergang von der Offensive in die Defensive kraft eines Beschlusses der Zentrale oder kraft einer noch höheren himmlischen Erleuchtung unmarxistisch ist, unpolitisch ist und vernünftigerweise zu keinem anderen Resultate führen kann, als zu dem jämmerlichen Zusammenbruch, des Zeuge wir sind.

Ja, Revolutionen kann man nicht machen. Das ist ja wohl die These, die dem Wortlaut nach heute noch in diesem Kreise vertreten wird, und über die wir uns am Ende gar alle einig wären.

Sie winken, Genosse SchmidtI Dann will ich Ihnen sagen, als ich diesen simplen Satz seinerzeit dem Genossen sagte, der mir die ersten Offenbarungen über die "neue Taktik" machte, da gab der mir lächelnd zur Antwort: "Das sagen Sie? Sie sind ein ElementaristI"

Ich sage also, Revolutionen kann man nicht machen. Was soll es also heißen, wenn Genosse Frölich Ihnen sagte, wir müssen jetzt darangehen, "das Schicksal der Partei und der Revolution zu zwingen"?

Das ist kein anderer Gedanke als der, daß man unter Umständen Revolutionen doch machen könne. Und Genosse Meyer hat in einem Artikel in der Roten Fahne vom 15. April 1921 gesagt, für das, was er unsere Passivität heiße, sei es falsch, sei es eine Kühnheit, sich auf die Autorität von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu berufen. Es fehlten ihm, dem Genossen Meyer, die von mir so reichlich verteilten Schimpfworte dafür.

Genossen und Genossinnen, mich freut, daß die Rote Fahne doch wenigstens den Toten gegenüber noch einige Objektivität und Diskussionsfreiheit duldet, und mich freut es, daß die Rote Fahne am I. Mai dieses Jahres als zeitgemäß - und in der Tat sehr zeitgemäß - einen Artikel der Genossin Rosa Luxemburg hat erscheinen lassen. Sie sagt dort:

“Die anscheinend wunde Stelle der wirklichen sozialistischen Politik im Kriege liegt darin, daß sich Revolutionen nicht auf Kommando machen lassen. Dieses Argument soll sowohl für die Haltung des Proletariats beim Ausbruch des Völkermordens wie für seine heutige Stellung zur Friedensfrage als Entschuldigung und als Deckmantel der sozialistischen Selbstpreisgebung dienen. Jedoch der scheinbar durchschlagende ,praktische' Einwand ist nichts als eine Ausflucht. Freilich lassen sich Revolutionen nicht auf Kommando machen. Dies ist aber auch gar nicht Aufgabe der sozialistischen Partei. Pflicht ist nur, jederzeit unerschrocken auszusprechen, was ist', d. h. den Massen klar und deutlich ihre Aufgaben im gegebenen geschichtlichen Moment vorzuhalten, das politische Aktionsprogramm und die Losungen zu proklamieren, die sich aus der Situation ergeben. Die Sorge dafür, ob und wann die revolutionäre Massenerhebung sich daran knüpft, muß der Sozialismus getrost der Geschichte selbst überlassen. Erfüllt er in diesem Sinne seine Pflicht, dann wirkt er als mächtiger Faktor bei der Entfesselung der revolutionären Elemente der Situation und trägt zur Beschleunigung des Ausbruchs der Massenaktionen bei. Aber auch im schlimmsten Falle, wenn er zunächst als Rufer in der Wüste erscheint, dem die Massen ihre Gefolgschaft versagen, schafft er sich, wie es sich am Schluß der Rechnung stets und unweigerlich herausstellt, eine moralische und politische Position, deren Früchte er später, wenn die Stunde der geschichtlichen Erfüllung schlägt, mit Zinseszinsen einheimst. .."

Die Sorge dafür, ob und wann die revolutionäre Massenerhebung sich daran knüpft, muß der Sozialismus getrost der Geschichte überlassen

(Zwischenruf: Sehr richtig!)

(Zwischenruf: Wann schrieb Rosa Luxemburg das?)

1917 aus dem Gefängnis in Wronke.

(Zwischenruf Meyer: Sehr gut, ich habe den Artikel ins Blatt hineingegeben.)

Ich anerkenne ja diese Unparteilichkeit gegenüber den Toten.

Ich sage also, wo ist in dieser Gedankenwelt irgend ein Platz für den Gedanken, daß man Revolutionen machen könne, daß man "das Geschick der Revolution und der Partei zwingen" könne, wenn nötig mit einer Provokation. Keine Spur von diesem Gedanken! Und Sie können uns nicht sagen, daß wir in diesem Sinn, in dem Sinne jener Gedanken, jemals in die Passivität verfallen seien. Es gab nicht ein Moment, und ich sage Ihnen, Genosse Meyer, das werden Sie eines Augenblickes selbst erkennen: passiver in dem Sinn, als sie die Forderungen des Tag es nicht aussprach, war die Zentrale der Kommunistischen Partei nie, als in Ihren Tagen, wo sie den Mund vollnahm und durch alle Gassen ihre Aktivität brüllte.

Kein Mensch wird sagen können, es seien früher keine Fehler vorgekommen, daß in früheren Zeiten, ehe man noch nicht, wie der Genosse Frölich sich ausdrückt, den vollkommenen Bruch mit der Taktik der Partei durchgeführt hatte, alles fehlerlos gewesen sei - wir alle sind fehlbare Menschen, aber daß die Partei ihre Pflicht in so schwerer und katastrophaler Weise verletzt, so ihre eigenen Grundsätze mit Füßen getreten hätte: das war früher nicht.

Ich sage also, Genossen und Genossinnen, der ganze Gedanke von dem auf BeschIuß stattfindenden Übergang von der "Defensive in die Offensive" ist ein Gedanke, der unmarxistisch und unpolitisch ist und zu keinem politischen Resultat führen kann. .Und nun, Genossen und Genossinnen, weiter. Wir leben nun einmal in Westeuropa in etwas anderen Verhältnissen. Sie wissen, daß ich damals, anschließend an jene Sätze der Genossin Rosa Luxemburg erörtert habe die völlig verschiedenen Umstände, unter denen wir in Westeuropa gezwungen sind, kommunistische Parteien zu bilden.

Die Kommunistische Partei in Rußland vor der Revolution mußte sich ausbilden in einem gesellschaftlichen Körper, in dem die Bourgeoisie überhaupt nicht entfaltet war, sie mußte sich ausbilden in einem Gesellschaftskörper, in dem der eigentliche, natürliche Antipode des Proletariats, die Bourgeoisie, erst in Andeutungen existierte, und wo ihr als großer Feind gegenüberstand der agrarische Feudalismus. In Westeuropa sind die Verhältnisse völlig anders. Hier steht das Proletariat vor einer völlig entfalteten Bourgeoisie und steht gegenüber den politischen Folgen der Entfaltung der Bourgeoisie, der Demokratie, und unter der Demokratie, d. h. dem, was unter der Herrschaft der Bourgeoisie unter Demokratie zu verstehen ist, nimmt die Organisationsform der Arbeiter andere Formen an als unter der Staatsform des agrarischen Feudalismus, unter dem Absolutismus.

Und so kann in Westeuropa die Organisationsform keine andere sein, als die der nicht geschlossenen Massenpartei, jener nicht-geschIossenen Massenparteien, die also niemals bewegt werden können auf Befehl eines Zentralkomitees, auf Befehl einer Zentrale, die bewegt werden können einzig und allein in dem unsichtbaren Fluidum, in dem sie stehen, in der psychologischen Wechselwirkung mit der gesamten übrigen proletarischen Masse. Sie bewegen sich nicht auf ein Kommandowort; sie bewegen sich in der Bewegung derselben proletarischen Klasse, deren Führer und Leiter sie dann in der Bewegung sein müssen. Sie sind von ihnen abhängig wie jene von ihnen, und deswegen, Genossen und Genossinnen, war es ein verhängnisvoller Fehler, und ich komme darauf noch später zu sprechen, daß die Zentrale nach dem Zusammenbruch dieser Aktion den gar nicht revolutionären Versuch unternommen hat, in ein paar Instanzen die ganzen aufgeworfenen Fragen zu "erledigen".

Aber ich komme auf etwas anderes zu sprechen. Diese Tatsache, daß wir hier in Westeuropa in einem ganz anderen gesellschaftlichen Körper leben, die hat uns eine Erscheinung gebracht, die neuartig ist. Vor der Revolution in Deutschland spielte sich das Leben der Arbeiterschaft im wesentlichen ab in einer Organisation. Es war eine Organisation, die der feste Kern innerhalb der proletarischen Klasse war; was außerhalb dieser Organisation lag, war indifferent oder erst im Dämmerzustand des Sichbewußtwerdens. Das hat nunmehr in Deutschland und hat in Westeuropa eine grundlegende Umstürzung erfahren. In Deutschland und in Westeuropa ist ein überwiegend großer Teil von Proletariern vereinigt in Arbeiterorganisationen, die bereits bestehen.

Und nun, Genossen und Genossinnen: diese Tatsache allein bringt die große Gefahr mit sich -schon an sich durch ihr Bestehen -, daß die Arbeiterschaft in ihrer Mitte auseinanderbricht, daß zwei Schichten, etwa die Organisierten und die Unorganisierten, etwa die kommunistische Organisation und die nicht- kommunistische Organisation nicht nur als politisch getrennte Körperschaften einander gegenüberstehen, sondern in gewissem Sinne als sozial getrennte Wesen sich scheiden, daß die eine Organisation andere proletarische Schichten umfaßt als die andere Organisation, daß also eine kommunistische Partei nicht ist, was sie sein muß, zwar die Organisation eines Teiles des Proletariates, der Vorgeschrittensten, aber eines Teiles durch das ganze Proletariat hindurch, sondern wird ein Teil des Proletariates vertikal geteilt nach sozialen, differenzierenden Momenten.

Und, Genossen und Genossinnen, welche Bedeutung das Verhältnis der Kommunisten zu diesen Arbeiterorganisationen hat, das freue ich mich, Ihnen noch beweisen zu können mit einem Satz des Genossen Radek, der in seiner allerneuesten Broschüre schreibt:

"Es ist klar, daß, falls diese Masse nicht in Bewegung gebracht wird durch irgendwelche sie vollkommen erschütternde äußere Ereignisse, man in DeutschIand auf keine spontanen unorganisierten Bewegungen rechnen kann."

Dies ist absolut und vollständig richtig gesehen. Ohne die schwere organisierte Masse werden wir, von ganz besonderen Glücksfällen, mit denen man nicht rechnen soll in seiner täglichen Arbeit, zu großen Bewegungen nicht kommen. Unser Verhältnis zu jenen Arbeiterorganisationen wird unser Wesenskern. An diesen entscheidet sich unsere Existenzberechtigung: einerseits müssen wir unsere Eigenart und unser Wesen als Kommunisten behalten, andererseits in die engste Verbindung mit diesen Arbeiterrnassen kommen.

Und nun, Genossen und Genossinnen: der Weg, wie wir als Kommunisten mit jenen Arbeitermassen auf diese Weise in eine Verbindung kommen wollen, der muß von uns in Deutschland zum ersten Male gefunden werden. Er hatte zwei Voraussetzungen. Die eine Voraussetzung war, daß wir rein zahlenmäßig zu einer Stärke kamen, die es uns erlaubt, rein mechanisch die Kräfte zu entwickeln, deren man zur Beeinflussung so großer Arbeitermassen bedarf.

Die zweite Voraussetzung war, daß wir nunmehr auch politisch in irgendeine Verbindung mit jenen Organisationen traten, daß wir versuchten, politisch Einfluß auf sie zu gewinnen.

Wir haben diesen Weg beschritten mit dem "Offenen Brief": Er war der erste Versuch. Und es soll gar nicht gesagt werden, ob er geglückt ist oder nicht geglückt ist, ob er hätte besser oder schlechter durchgeführt werden können. Aber er war ein Versuch aus dem richtigen Gefühl heraus: man komme an organisierte Arbeitermassen nur heran, wenn man nicht nur gegen sie kämpft, sondern wenn man auf ihre eigenen, wenn auch irrenden Gedanken eingeht und ihnen so hilft, durch ihre Erfahrung den Irrtum zu überwinden. Wir müssen ihnen helfen in dem, was sie verstehen und dürfen sie nicht zwingen zu etwas, was sie nicht verstehen.

Und dieser Gedanke, den ich nach wie vor für richtig und den einzig möglichen halte, dieser Gedanke, er wurde in seinem Innern geknickt durch diese Aktion der Kommunistischen Partei im März 1921. Ja, man hat darüber gelacht und böse Worte dafür gefunden, als ich sagte, der Kampf im März 1921 sei der Kampf geworden von einem Teil des Proletariats gegen einen anderen Teil des Proletariats, und, was noch schlimmer ist, der Kampf einer Schicht des Proletariats gegen eine andere Schicht des Proletariats. Man hat darüber gelacht. Nun, die Rote Fahne findet manchmal, wenn auch selten, den Mut zur Wahrheit, und so hat sie in diesen Tagen den Bericht über eine Verhandlung in Moabit veröffentlicht, in dem es heißt:

"Vor dem Sondergericht des Landgerichts Berlin I wurde unter dem Vorsitz des Landgerichtsrats Braun gegen fünf arbeitslose Kommunisten verhandelt, die zum Teil in die Betriebe von Ludwig Loewe, zum Teil in die A.E.G. hineingegangen waren, um ihre proletarischen Brüder zur Arbeitsniederlegung aufzufordern. Einige hatten sich auch darauf vorbereitet, wegen der Unaufgek1ärtheit eines Teiles der Arbeiterschaft durch energische Maßnahmen die Betriebe stillzulegen. Sie hatten zu diesem Zweck einige Handgranaten mitgenommen. Der Staatsanwalt kündete an, daß die fünf Angeklagten, die am Mittwoch abgeurteilt werden sollten, nur aus einer größeren Menge gefangener arbeitsloser Kommunisten herausgegriffen worden seien und noch zwei- bis dreihundert Personen in gleicher Weise verfolgt und abgeurteilt werden sollen."

Genossen und Genossinnen, klingt das nicht wie blutiger, bitterer Hohn auf alle politischen Gedanken, wie eine von einem Pamphletisten geschriebene Satire auf den Gedanken von der proletarischen Solidarität? Und das steht in der "Roten Fahne" als die ruhige, gelassene Wiedergabe oder, wie sie wohl denkt Beschönigung der Vorgänge in jenen Märztagen.

Und ich habe einen anderen Fall gestern gehört, und die Zentrale kann vielleicht ihre Unternehmungen auch auf diesen Fall ausdehnen. In Zschornewitz, wo sich das große Elektrizitätswerk befindet, war der "Befehl" gegeben worden, das Kraftwerk zu sabotieren. Die Arbeiterschaft hatte auf einem Wege, den ich nicht weiter erörtern will, von diesem "Befehl" Kenntnis erlangt. Die Arbeiterschaft war fast durchweg kommunistisch. Diese kommunistischen Arbeiter haben Posten aufgestellt, um das Werk zu sichern, und wenn die Sabotagekolonne an das Werk herangekommen wäre, wäre sie nicht von proletarischen Klassengenossen nur, sondern von ihren eigenen Parteigenossen mit Maschinengewehren und mit Prügeln empfangen worden.

Und, Genossen und Genossinnen, das sind doch keine einmaligen Entgleisungen, das sind doch Fälle, die Sie typisch hören aus allen deutschen Gegenden, und sie führen in den Kern der Verfehltheit dieser ganzen Märzaktion. Sie war eine Aktion eines kleinen TeiIes des Proletariates ohne Rücksicht auf den anderen großen Teil.

Und, Genossen und Genossinnen, da müssen wir uns wieder fragen: was hat man sich eigentlich gedacht, als man eine solche Aktion auf eigene Faust und auf eigene Kraft unternahm, "um das Schicksal der Partei und der Revolution zu zwingen"?

Auf den einen Gedanken habe ich bereits hingewiesen. Es war der Gedanke, man könne durch Akte des Terrors und der Gewalt Situationen schaffen, die dem Proletariat die Notwendigkeit des Kampfes vorspiegelten, statt weiter in dem Versuch fortzufahren, den Massen die Notwendigkeit des Kampfes aus den bestehenden objektiven Verhältnissen ohne Mogeleien, deren sie gar nicht bedürfen, zu erweisen.

Das war der eine Gedanke. Der war bei denen vorhanden, die an die Wunderwirkung der Provokation glaubten.

Der andere Gedanke, das ist nun der Gedanke, den ich in irgendeiner Publikation der Zentrale bisher nicht gehört habe, der mir aber um so häufiger bei meinen Unterhaltungen mit Mitgliedern draußen entgegengehalten wurde. Die Genossen haben meistens die Aktion so aufgefaßt: ja, wir Kommunisten sind dazu berufen, den Massen ein Beispiel zu geben, ihnen voranzugehen und sie so mit in den Kampf hereinzureißen.

Das ist nicht nur nahezu wörtlich, wie ich's aus dem Munde der Genossen gehört habe, nein, es ist auch die klassische blanquistische Formel von der entschlossenen Minderheit. Dieser Ge- danke hat auch mit logischer Notwendigkeit geführt zu dem Resultat, zu dem diese Thesen und Parolen nur führen können, in einem Lande mit starken Arbeiterorganisationen, die bewußt reformistisch sind, zu dem Resultat, daß diese starke Arbeiterorganisation als geschlossene Front steht gegen jene Minderheit, die ihr die Revolution "vormachen" will.

Und da schreiben die Genossen, die dieser Sorte von Revolution anhängen, von unserem Opportunismus. Ei, der Opportunismus ist in Wirklichkeit wo ganz anders zu suchen. Ich möchte Ihnen darüber etwas vorlesen:

"In Wirklichkeit hat der Zusammenhang zwischen dem sozialistischen Opportunismus und der revolutionären Abenteurerlust des Terrors seine Wurzeln viel tiefer. Der erstere wie der letztere legen der Geschichte die Rechnung vor dem Zahlungstermin vor. In dem Bestreben, die Geburt künstlich zu beschleunigen, bringen sie es zu Fehlgeburten - des Millerandismus oder ... der Asewwirtschaft. Sowohl die terroristische Taktik als der parlamentarische Opportunismus übertragen den Schwerpunkt von der Masse auf die repräsentativen Gruppen, von deren Geschicklichkeit, Heldenhaftigkeit, Energie oder Taktgefühl der ganze Erfolg abhängt. Hier wie dort sind breite Kulissen notwendig, die die Führer von der Masse trennen. An dem einen Pol die in Mystik gehüllte ,Kampforganisation'; an dem anderen die geheimen Verschwörungen der Parlamentarier, um die blöde Parteimasse zu beglücken, wider ihren Willen."

Und wer diese Worte gegen diese Art von Politik geschrieben hat, wird den Genossen bekannt sein. Es ist der Genosse Leo Trotzki.

Und nun, Genossen und Genossinnen, weiter. Teilaktionen sollen sein. Ich habe über Teilaktionen in meiner Broschüre einige Worte verloren, und der Genosse Frölich hat diese Worte sogar unter Anrufung des himmlischen Vaters auf ihren teuflischen Inhalt hin exorziert. Er hat nämlich gesagt, ich verstünde unter Teilaktionen etwas ganz anderes als das, was die Exekutive unter Teilaktionen verstehe und verstanden wissen wolle. Er und sie meinten Teilaktionen nach Teilzielen, und ich hätte Teilaktionen gemeint nach räumlicher Abgrenzung.

Da muß ich sagen, allerdings. Und wenn Genosse Frölich sich die Sache etwas reiflicher überlegt hätte, hätte er wohl erkennen können, daß ich gezwungen war, gerade über diese Art von Teilaktionen zu reden; denn diese letztere Form von Teilaktion, die Teilaktion nach geographischen Abgrenzungen, das war die Form, die uns in Deutschland bisher die größten Sorgen machte, das war die Form, an der sich die große Bewegung von 1918/19 verblutet hat, als geographisch Bezirk um Bezirk in den Aufstand trat und Bezirk um Bezirk niedergeschlagen wurde.

Und Teilaktionen waren es wiederum jetzt, wo die Zentrale einen Bezirk, unsere beste Organisation, in den Schlund warf und nicht sah und nicht darauf achtete, ob das übrige Deutschland imstande sein würde, der Aktion zu folgen.

ch hatte also notwendig, von einer Teilaktion in diesem Sinne zu sprechen, zumal es ja an den Theoretikern, die auch jetzt wieder diese Art von Teilaktion verteidigten, trotz dem "himmlischen Vater" nicht gefehlt hat.

Und nun, Genossen und Genossinnen, noch weiter. Etwas muß man sich doch gedacht haben. Es sei die Verpflichtung - sagt man jetzt - der Avantgarde, die Aktion zu machen, um "die Revolution zu beschleunigen".

Ich habe hier einen Satz, der folgendermaßen lautet:

"Die proletarische Avantgarde ist ideell erobert, das ist die Hauptsache. Ohne diese kann man auch nicht den ersten Schritt zum Siege machen. Aber von hier bis zum Siege ist es noch sehr weit. Mit der Avantgarde allein kann man nicht siegen. Die Avantgarde allein in den entscheidenden Kampf werfen, bevor die ganze Klasse, bevor die breiten Massen die Position entweder der direkten Unterstützung der Avantgarde oder wenigstens der wohlwollenden Neutralität in bezug auf dieselbe und der vollen Unfähigkeit, ihren Gegner zu unterstützen, eingenommen - das wäre nicht nur eine Dummheit, sondern auch ein Verbrechen."

Der Mann, der dieses schrieb, hat Glück, daß er nicht auch schon bei den "Leviten" ist, hat aber alle Chance, noch dahin zu kommen. Es ist Lenin.

Und nun, Genossen und Genossinnen, haben wir erlebt: es ist die Kommunistische Partei allein und losgelöst von den Massen in die Schlacht gestürzt worden. Wir haben's gesehen: unsere besten Organisationen sind in das Verhängnis gegangen. Die besten Organisationen sind zerschlagen und ganze, große Organisationen konnten überhaupt nicht bewegt werden. Es war einfach ein Trauerspiel, das hier vor sich ging. Fast in ganz Deutschland, mit Ausnahme von Hamburg, war es unmöglich, die Organisationen in Gang zu bringen. Sie konnten einfach einem blödsinnigen Beschluß nicht gehorchen, so wenig wie auf Befehl das Wasser bergaufwärts fließt.

'Und da, Genossen und Genossinnen, zu sagen, die Partei habe die Aktion glänzend überstanden, nur die Broschüre sei schuld an dem Mißerfolg, das ist eine Kinderei und eine Unwahrhaftigkeit den Genossen gegenüber.

(Zwischenruf Von Pieck!)

Ach, Genosse Pieck, wie bescheiden sind Sie geworden! Mögen die Schäden, Genosse Pieck, im Augenblick groß oder klein feststellbar sein, das überlasse ich getrost Ihren größeren Fähigkeiten auf diesem Gebiete. Aber ich glaube, Genosse Pieck, die Fähigkeit kann ich in gewissem Sinne für mich in Anspruch nehmen, daß ich die Tendenz sehe, die vorliegt und einigermaßen die Folgen ermessen kann, wohin sie führt.

(Zwischenruf Pieck: Sie sehen zu schwarz!)

Wohin sie führt, Genosse Pieck? Ich brauche nicht meine Phantasie walten zu lassen. Ich werde Ihnen wieder etwas vorlesen:

"Im Bestreben, den Einfluß über die aktiven Elemente der Arbeiterschaft zur Zeit des Niederganges der Massenbewegung nicht zu verlieren, sanktionierte ein Teil der Bolschewiki im Namen der marxistischen Lehren die Taktik des Freibeuterkrieges, der Expropriationen usw., in der sich doch nur die anarchische Auflösung der revolutionären Psychologie äußerte. Auf dieser Basis gelangte jener Verschwörerzug, der der Partei in der Zeit vor der Revolution besonders der Fraktion der Bolschewiki eigen war, zur vollen Entfaltung. Hinter dem Rücken der Partei werden Dinge vollbracht, die mit dem politischen Leben der Massen nichts gemein haben und ihrem ganzen Wesen nach der Parteikontrolle nicht unterliegen können. In die Parteiorganisationen dringen abenteuerliche Elemente ein.

Verantwortliche ParteisteIlungen wurden nicht selten Personen anvertraut, die ihre organisatorische Fähigkeit in einer Sphäre bekundeten, die außerhalb der Parteibewegung liegt. Die Unabhängigkeit von jeglicher Arbeiterorganisation, heroisches Spekulieren auf ,gut Glück', Unternehmungen, die vor. den Parteigenossen ,zweiten Grades' geheim gehalten werden - das alles entwickelt einen zügellosen Individualismus, Verachtung gegen die ,Konventionalitäten' des Parteistatuts und der Parteimoral, kurz - eine politische Psychologie, die der Atmosphäre der Arbeiterdemokratie innerlich vollständig fremd und feindlich ist. Während der Hamlet des menschewistischen Kritizismus, bedrängt durch die Widersprüche der politischen Entwicklung, die Existenzfrage der Partei mit seinem liquidatorischen ,nicht Sein!' beantwortet, ist der autoritär-zentralistische Bolschewik unter dem Drucke des SeIbsterhaItungstriebes bestrebt, die Partei von der Klasse, die Fraktion von der Partei, das Zentrum seiner Fraktion von ihrer Peripherie loszulösen, und er gelangt mit fataler Notwendigkeit dazu, seine ganze politische Praxis in die Stirnersche Formel ,der Einzige und sein Eigentum' einzuzwängen.

Je tiefer die Welle der Massenerregung sinkt, je mehr die Desorganisation in den Reihen der Bolschewiki durch den unaufhaltsamen Rückzug der Intelligenz fortschreitet, desto schärfer das Mißtrauen einiger Elemente im Bolschewismus gegen alles, was außerhalb ihrer Fraktion liegt, desto deutlicher äußert sich die Tendenz, die Arbeiterorganisationen durch Verordnungen, Zurechtweisungen, Ultimativforderungen ,im Namen der Partei!' in Subordination zu erhalten.

Diese Elemente, die sogenannten UItimatisten, kennen nur eine Methode, die Dumafraktion oder die legalen Arbeiterorganisationen dem Einfluß der Partei zu unterstellen: die Drohung, ihnen den Rücken zu kehren. Die boykottistische Tendenz, die durch die ganze Geschichte des Bolschewismus geht - Boykottierung der Gewerkschaften, der Reichsduma, der Gemeindevertretungen usw. - das Produkt der sektiererischen Furcht vor dem ,Aufgehen' in den Massen, der Radikalismus. ,der unversöhnlichen Enthaltsamkeit!' -, verdichtet sich zur Zeit der Dritten Duma zu einer besonderen Strömung innerhalb des Bolschewismus, die ihrerseits verschiedene Schattierungen aufweist: von vollständiger, anarchistisch gefärbter Ablehnung jeder parlamentarischen Tätigkeit bis zu einer gewissen verächtlich nachlässigen Duldung dieser Tätigkeit."

Dinge, die Sie in Andeutung - Genosse Pieck, das werden Sie nicht leugnen - heute schon sehen, und der sie beschrieb, war wiederum der Genosse Trotzki.

Und nun, Genossen und Genossinnen, wird weiter gesagt oder gesagt werden: Ja, aber die Bolschewiki, die stehen doch oder das Bureau der Exekutive, das steht doch nach den Veröffentlichungen gegen mich hinter der Sache; sie kann also so falsch nicht sein.

Ja, in der Tat hat das Exekutivkomitee, wenigstens äußerlich, die Rolle des lieben Herrgott am sechsten Tage der Schöpfung angenommen: er sah an alle Werke, die er gemacht und siehe, da war alles gut. Und er segnete sie. Und über diese Tat des lieben Herrgott vom sechsten Tage der Schöpfung hinaus, sandte das Exekutivkomitee auch gleichzeitig und mit wendender Post seinen Fluch gegen die, die nicht das gleiche Wohlgefallen fanden an diesen Werken.

Äußerlich sieht es so aus. Und doch ist kein Zweifel, Genossen und Genossinnen, daß diese Geschichte, die hier gemacht wurde, nicht ein einziger Bolschewik deckt. Es ist gar kein Zweifel, wer zwischen den Zeilen lesen kann: "selbst wenn Paul Levi recht hätte. .."

Ach, ich kenne die Taktik, den alten Trick. Im Augenblick, in dem man sich gegen unbeliebte Kritiker wehren will, haut man doppelt scharf auf die Kritiker, damit man es nicht merkt oder die Dummen es nicht merken sollen, wie in der Sache der Kritiker recht hat.

Und ich bin mir auch vollständig klar, weswegen das Exekutivkomitee die letzte Entscheidung über diese Probleme des praktischen Anarchismus, die gar nicht so neu sind wie das Exekutivkomitee sich stellt, dem III. Weltkongreß vorbehalten will. Ganz einfach deswegen, weil man annimmt, die deutsche Partei, die die Dummheit gemacht habe, sei am Ende auch imstande, die Dummheit zu sanktionieren.

So will man also die sachliche Entscheidung selbst in Händen behalten, und das wird nicht zum Schaden der sachlichen Erledigung der Angelegenheit sein.

Aber, Genossen und Genossinnen, prinzipiell ist diese ganze Methode, die Entscheidung in so schwerwiegenden Parteifragen von einer Instanz an die andere Instanz, oder einem Konventikel an ein anderes Konventikel zu verschleppen, das wiederhole ich, vollständig der Grundanschauung entsprechend, aus der heraus die Aktion gewachsen ist, daß man so, wie man die Eseleien im Konventikel macht, auch die Korrektur der Eseleien im Konventikel vornehmen könne.

Wenn aus dieser Märzaktion überhaupt irgend etwas kann gelernt werden, dann kann es nur gelernt werden, wenn die Massen im breitesten und freiesten Rahmen die Fehler kennen lernen und erörtern.

(Zwischenruf Könen: Das haben Sie verhindert I) .

Nein, Genosse Könen, das haben Sie nicht gewollt. Das konnten Sie machen auch neben der persönlichen Hetze gegen mich; die stand der sachlichen Debatte nicht im Wege.

(Zwischenruf: Wie Sie mit Radeks Brief in Heidelberg I)

Ich weiß nicht genau, was dieser Zwischenruf soll, aber ich will darauf antworten. Ich habe den Brief Radeks, der seinerzeit in Heidelberg verlesen wurde, von der Genossin, die hier sitzt, eine halbe Stunde vor Beginn des Parteitages, und - also vor seiner Verlesung erhalten. Das bezeugt die Genossin selbst. Ich weiß auch ganz genau, wie es zu deuten ist, wenn Radek, der zwei Jahre lang mit dem Heidelberger Parteitag als seinem Ruhmesblatt in der Weltgeschichte herumoperierte, plötzlich von Heidelberg nichts mehr wissen will in dem Augenblick, wo die KAPD. hoffähig wird. Ich habe ihm seine Ruhmesblätter, die er sich zulegte, solange es Ruhm war, immer gegönnt, wie ich auch jetzt ihm gerne die Feigenblätter liefere, hinter denen er verdecken mag, was immer er für zu decken nötig hält.

Also, Genossen und Genossinnen, ich komme zurück zu dem, wovon ich ausging; denn die auch in der Liquidierung der Märzaktion eingeschlagene Methode bedeutet, daß die Partei ihrer Grundeinstellung, die unmarxistisch und anarchistisch ist, treu bleiben will. Und daß sie das will, Genossen und Genossinnen, entnehme ich aus einem anderen. Ich hatte das Gefühl schon lange, und, Genossen aus der Zentrale, dazu bin ich zulange mit euch zusammengewesen, um das nicht zu wissen, daß euch bei der Geschichte nicht wohl war. Und wenn dieses mein Gefühl einer Bestätigung brauchte, dann ist es mir bestätigt worden durch die Leitsätze, die gestern vorgelegt und auch angenommen sind. Denn wie Ihr die Märzaktion mit diesen Leitsätzen, die mir zu opportunistisch sind, vereinbaren wollt, ist mir ein Rätsel. Jeder Satz dieser Leitsätze schlägt eure Märzaktion auf den Kopf.

Die Leitsätze sprechen ganz klar, und wenn man über euer Inneres Stimmen hört und schon lange hörte, dann waren es die, daß .Ihr euch sagtet: Wir haben ein mal die Sache gemach!, wir müssen jetzt das Prestige als Zentrale wahren. Ein zweites Mal wird so eine Geschichte doch nicht gemacht werden.

Und die, die so rechnen, die machen die Rechnung ohne den Wirt. Man kann in einen Fehler hineinstolpern, man kann aber nicht, auch wenn man es will, aus einem Fehler, aus so einem katastrophalen Fehler, wie er begangen worden ist, sich herausmogeln wollen, indem man einerseits Leitsätze annimmt, in denen man schwört, fest und treu auf der eingeschlagenen Linie zu verharren - um das Prestige zu wahren - und andererseits Leitsätze, die diese Aktion verneinen - um der Vernunft Geltung zu verschaffen - und dann denkt: "Zeit gewonnen, alles gewonnen; die Sache wird nicht mehr gemacht werden."

Nein, Genossen, die Geister, die ihr gerufen habt, die werdet (zur Zentrale) ihr überhaupt nicht mehr loswerden, und die wird die Partei nicht mehr loswerden, wenn sie nicht die Kraft findet, ganz klar, eindeutig und scharf die Fehler, die begangen worden sind, durchzusprechen, zu kennzeichnen, alles zu sagen, bis aufs letzte.

(Zwischenruf: Ohne Sie!)

Ohne mich. Ich freue mich, Genosse Könen, daß - in besserer Form als ich - Sie der Mann sein werden, der schonungslos die Fehler aufdeckt. Ich freue mich für Sie.

Aber, Genossen und Genossinnen, damit komme ich zu der Frage, warum ich die Broschüre geschrieben habe.

Zunächst eines. Da wird gesagt, der Zeitpunkt der Veröffentlichung sei der denkbar ungeeignetste gewesen.

Ich möchte da zunächst eines nur richtigstellen. Die Zentrale macht mir den Vorwurf, daß ich über ihre Reden im Zentralausschuß vom 17. März berichtet hätte, ohne die Mitglieder der Zentrale zuvor zu fragen.

Ein kleines Mißgeschick ist der Zentrale nun auch hier passiert. Sie ist in ihrem Ausschlußdokument zu einer öffentlichen Diffamierung eines Genossen übergegangen, ohne erst den Genossen zu fragen, was er dazu zu sagen hat.

Sie haben nun, Genosse Pieck, in Ihrer heutigen Rede gesagt, ich hätte die Broschüre geschrieben in einem Zeitpunkt, als die Kämpfe noch im Gange gewesen seien und in Ihrem Ausschlußdokument sogar gesagt, in Druck gegeben, als noch gekämpft wurde.

Das ist nicht richtig. Der Kampf ist abgebrochen worden, offiziell am 31. März abends

(Zwischenruf)

schön, also am 1. April, aber der Beschluß war mir schon am 31. abends bekannt.

Ich sage also, am 1. April ging der Aufruf zum Abbruch der “Aktion" ins Land. Ich habe die Broschüre geschrieben am 3./4. April, und es ist wohl keine kleine Oberflächlichkeit, wenn der Genosse Pieck — ja wohl der Verfasser des Ausschlußdokumentes — “geschrieben” und “in Druck gegeben” einander gleichsetzt. Am 7. April war die Zentralausschußsitzung

(Zwischenruf)

Ich konstatiere, daß damals ein Antrag, mich mit meiner Kritik zu hören, zweimal durch Abstimmung abgelehnt wurde; man wollte und brauchte keine Kritiker. Und einen Tag danach, als ich das katastrophale Ergebnis hörte, daß Zentrale und Zentralausschuß in einer Resolution auf ihrem Fehler beharrten, habe ich die Broschüre in Druck gegeben, und sie ist erschienen am 12. April, als die Broschüre erschien, waren keine Kämpfe irgendwo im Deutschen Reich mehr im Gange.

(Zwischenruf: Die Aktion der Konterrevolution war noch im Gange!)

Ja, Genosse Könen, die wird noch lange im Gange sein.

Also, die Broschüre ist erschienen am 12. April. Damals waren alle und jede Kämpfe vorüber, und man konnte nicht warten, bis der letzte Mann im letzten Winkel des Deutschen Reiches abgeurteilt war. Dazu sah ich und sehe ich die Gefahr zu groß. Wenn solch katastrophale Fehler, wie sie begangen worden sind, nicht rasch und scharf repariert werden, dann fressen sie sich ein.

Und da werden mich die Genossen fragen: Ja, die scharfe Zuspitzung gegen die Zentrale, war die nötig?

Da möchte ich doch ein Wort festhalten, nicht weil es grundsätzlich von so großer Bedeutung wäre, aber weil es den Geist immerhin zeigt, aus dem heraus dieses Ausschlußdokument gewachsen ist. Der Genosse Pieck sagte wörtlich:

"Das Schlimmste aber ist: Levi hat Mißtrauen gegen die Zentrale und gegen die Vertreter der Exekutive gesät."

Ja, das habe ich getan, und dieses Majestätsverbrechens bekenne ich mich schuldig. Und ich sage sogar weiter, ich bin bewußt in meiner Broschüre weitergegangen als nur Mißtrauen zu säen

(Zwischenruf: Hört!)

- ich verheimliche nichts, ich verteidige mich nicht -: die Partei hatte ihr alten Wege verlassen, war in ein Verhängnis gerannt, es gab nur eine einzige Reparatur, die imstande war, die Krankheit mit einem Schlag an weiteren Ausbrüchen zu hindern, man sagt medizinisch: zu coupieren, und diese eine Methode war nicht, Mißtrauen gegen die Zentrale zu säen, sondern das ganze politische Verbrechen, den ganzen Verrat an den bisherigen Grundsätzen der Partei rücksichtslos aufzudecken und zu brandmarken:

das war die Coupierung der Krankheit, und das gebe ich ruhig zu, getan und versucht zu haben.

(Zwischenruf Meyer: Sie haben auf die Führung freiwillig verzichtet!)

Jawohl, Genosse Meyer, das habe ich schon getan bei der Gründung der Partei. Ich habe immer gesagt, vielleicht habt ihr die besseren Gedanken, und ich wünsche, daß Ihr linker Flügel, der sich als linker Flügel aufmacht, mit besonderer Auserlesenheit aufmacht, die Führung übernehme. Daraus macht ihr mir jetzt einen Vorwurf? Was wollt ihr mit einer Opposition, die nicht stolz darauf ist, und sich dieses Tages freut, an dem sie ihre Gedanken in die Praxis umsetzen und für ihre Praxis die Verantwortung übernehmen kann? Ich verachte diese saubere Art der Opposition, die sich darüber beschwert. Ich weiß, weshalb ihr euch beschwert. Ihr wolltet, daß wir die Esel seien, auf denen diese Opposition überhaupt einmal erst reiten lerne, und für diese Rolle gebe ich mich nicht her.

(Zwischenruf Könen: Das haben Sie jetzt mit uns versucht!)

Nein,. das werde ich nicht machen, obgleich, Genosse Könen,. die Rolle, die dabei Ihnen zufällt, vielleicht richtig gesehen wäre.

Ich sage also, da war die Krankheit! Dem Versuch, die Krankheit zu coupieren, muß sich selbstverständlich mit Gewalt entgegen stemmen, der keine Krankheit sieht. Und das ist deswegen der Kernpunkt, über den wir uns streiten. Und weil ich absolut keine Aussicht sehe, daß jetzt in diesem Augenblick irgendeiner von euch hier sieht,. daß das eine Krankheit ist oder es sehen will wie es der Verderb der Partei ist, weil Sie das nicht sehen, deshalb haben Sie recht, daß Sie ausschließen. Dann sollen Sie aber auch nur, Genosse Pieck, ruhig sich solche Mätzchen schenken, wie: am 3./4. in Druck gegeben -am 7. der U;S.P. zugänglich gemacht; diesen und anderen Schwindel mag man getrost sich sparen.

Und man soll sich auch all die anderen schönen Dinge sparen, wie die "Freude der Gegner". Genosse Pieck, die habt Ihr mir schon einmal eingewendet. Im Kapp-Putsch habe ich den bekannten Brief aus dem Gefängnis an die Zentrale gerichtet, der auch nicht milder war in der Form als meine Broschüre jetzt. Ihr wißt, der Brief ist seinerzeit gegen meinen Willen in der Kommunistischen Internationale veröffentlicht worden. Ich habe damals in Petersburg, als ich von der beabsichtigten Veröffentlichung hörte, sofort widersprochen und gesagt, der Brief war nicht für die Öffentlichkeit. Damals war es Sinowjew, der sagte, wenn eine Partei so katastrophale Dummheiten macht wie die deutsche im Kapp-Putsch, dann ist die Kritik daran nicht eine Privatangelegenheit. Und So ward der Brief gegen meinen Wunsch veröffentlicht, und die Exekutive hat darüber geschrieben:

"Der leidenschaftliche Ton der Briefe - insbesondere im Brief des Genossen Levi, der im Zellengefängnis schrieb - ist nur zu begreiflich. Unsere Feinde werden natürlich über die Unstimmigkeiten im Innern der K.P .D. frohlocken. Mögen sie nur I Wir Kommunisten haben uns nie vor Selbstkritik gefürchtet."

Ihr von der Zentrale habt damals drei Monate den Druck der Nummer hintangehalten vor lauter Sorge um euer Prestige und um die "Freude der Gegner", und die Exekutive hat gesagt: Wir pfeifen auf eure Sorgen; die Kritik muß 'rausI und hat jene! Nummer der Kommunistischen Internationale auf eigene Faust veröffentlicht.

Und glaubt ihr, Genossen, wenn die Exekutive nicht jetzt eine besondere Stellung hätte, aus anderen Gründen, gegen die Kritiker und gegen mich im besonderen, und wenn sie die Kritik billigte, wie ich glaube, daß sie sie billigt, glaubt einer, daß das Exekutivkomitee gegen die Veröffentlichung der Broschüre dann ein Wort eingewendet hätte? Ach, Lorbeerkränze hätte es verteilt, wenn es Lorbeerkränze zu verteilen hätte.

Und nun ist mir weiter eingewendet worden, die Haltung von Rosa Luxemburg damals, im Januaraufstand 1919, die sei doch anders gewesen. Ja, das erkenne ich auch an, ich vergleiche mich nie mit Rosa Luxemburg. Aber was ist hier der Unterschied? Man sagt, auch Rosa Luxemburg sei damals gegen die Aktion gewesen, und doch hätte sie Artikel und Aufrufe geschrieben. Doch Sie wissen, Genosse Meyer, daß auch ich damals der Bewegung ablehnend gegenüberstand, und daß auch ich damals Flugblätter und Artikel schrieb. Und warum so? Aus dem ganz anderen Gesichtspunkt heraus, daß dort große Massen irrten und nicht ein kleines Konventikel von Führern nichtirrende Massen in das Verderben jagten, und daß damals eine wirkliche, große, gewaltige, spontane Massenbewegung war, daß damals im Berliner Tiergarten mehr Arbeiter auf einmal standen als diesmal in ganz Deutschland auf die Beine kamen.

Und, Genosse Meyer, Sie waren, glaube ich, nicht mehr zugegen, aber ich denke, Genosse Pieck war bei jener Sitzung in der Puttkamerstraße, als wir mit Karl Liebknechts Haltung in Widerspruch kamen Sie erinnern sich, wie Karl Liebknecht widerspenstig war, und Sie erinnern sich, wie Leo Jogiches damals es war, der den Vorschlag machte, noch jetzt, während der Aktion eine scharfe Erklärung in der Roten Fahne zu veröffentlichen, die von Karl Liebknecht ganz deutlich abrückte, die einfach erklären sollte: Karl Liebknecht vertritt den Spartakusbund nicht mehr bei den revolutionären Obleuten. Sie wissen genau, wie ablehnend Rosa Luxemburg dem Verhalten Karls gegenüberstand und wissen, wie scharf ihre Kritik war; und sie wäre im Augenblick, In dem die Aktion zu Ende war, mit ihrer Kritik gekommen, sie hätte auch nicht gewartet bis in den Juni, wo der letzte Gefangene des Januaraufstandes abgeurteilt war.

Und ich glaube, Genosse Pieck, Sie werden es auch wissen, daß die Genossin Rosa Luxemburg damals sogar den Gedanken hatte, es könne nicht mehr lange gehen mit Karl Liebknecht zusammen, so scharf lehnte sie sein Verhalten damals ab. Sie hat nicht mehr geschrieben, nicht weil sie der Auffassung war, daß. die Kritik Sache der Geschichte und nicht des politischen Kampfes sei, sie hat nicht mehr geschrieben, weil ihr der Tod die Feder nahm.

Und nun, Genossen und Genossinnen, noch ein paar Worte über die Internationale. Das kann ja auch kein Zufall sein, daß der Fall Levi eine gewisse Wirkung gehabt hat in der ganzen Internationale und daß ohne jede Verbindung, daß ganz spontan da und dort und fast in jedem Lande Genossen sich mit mir solidarisch erklärt haben. Und das kann ich sagen, daß es nicht überall die schlechtesten Köpfe waren, die das getan haben. Wie, auch das kann ich ja getrost sagen, es in Deutschland nicht eben die schlechtesten Köpfe sind, die meinen Weg teilen.

Und so ist ganz klar, die Krise gegen den Anarchismus, die jetzt in Deutschland eingetreten ist, wird jetzt die Kommunistische Internationale Im ihrer Gesamtheit zu überwinden haben, und so wird das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale gehalten sein, einmal über seine eigene politische Tätigkeit nachzudenken, das uns deutschen Kommunisten Passivität vorwirft.

Ja, wie hat denn das Exekutivkomitee gearbeitet? Es konnte einem das Herz weh tun, wenn man in diesen letzten Wochen der größten europäischen Krise, die seit 1914 bestand, die Zweite Internationale täglich auf dem Damm sah, mit falschen Worten, mit reformistischen Aufrufen und Litaneien. Aber sie hat sich gezeigt, sie trat auf die politische Bühne.

Und die Kommunistische Internationale? Sie hatte Zeit, mich einen infamen Lügner zu schimpfen, und Radek hatte Zeit, eine Broschüre über mich zu schreiben, in der er haarklein beweist, daß ich der deutsche Serrati bin, und daß die Serratiner und die Leviten die schlimmsten Strolche von allen politischen Strolchen sind und. daß es höchste Zeit ist, daß man vor ihnen warnt und sich von ihnen trennt.

Aber irgendeine Spur von politischer Führung in solch einer schweren politischen Krise haben wir von der "aktiven" Kommunistischen Internationale ebensowenig gesehen, als irgend einmal solange sie existiert. Es bleibt dabei: Aufrufe, die zu spät, und Bannflüche, die zu früh kommen und ein paar übler Nachttöpfe mit Jouhaux gewechselt: das ist die Aktivität der Kommunistischen Internationale!

(Zwischenruf Remmele: Da müssen Sie an die Spitze!)

Nein, nein, Genosse Remmele, ich will nicht an die Spitze, wenn ich vielleicht auch, ohne stolz zu sein, es mit manchem auf. nehme, der heute so die große Rolle spielt. Ich habe noch nie, glaube ich, eine Situation so katastrophal verkannt wie beispielsweise der Genosse Sinowjew die Situation im Oktober I9I7 verkannt, als er die Machtergreifung der Bo!schewiki für einen sinnlosen Putsch erklärte - ich habe noch nie in einer Aktion, die so entscheidend war, wie sie diese Oktoberaktion von I9I7 für die Existenz der Bolschewiki war, mein Parteimandat niedergelegt und nicht mitgemacht wie Sinowjew damals, um nachher als der große Ankläger zu erscheinen wider die "Menschewiki" und die "Disziplinbrecher".

Und diese absolute Passivität der Exekutive seit einem Jahr hat der Sache des Kommunismus mehr Schaden getan als aller "Menschewismus". Erinnern Sie sich doch, wie vor einem Jahr der Glanz der Kommunistischen Internationale strahlte. Und denken Sie doch, was heute ist! Ein gewaltiger moralischer Fonds ist vertan, er hat eben dazu hingereicht, die Abspaltung vom Reformismus durchzuführen, und er droht infolge Passivität und Unfähigkeit, zu Ende zu gehen, wo er den Aufbau kommunistischer Parteien übernehmen soll.

Denn, Genossen und Genossinnen, darüber bin ich mir vollständig klar: diese Krise für die Kommunistische Internationale, die an meinem Fall oder besser am Fall der deutschen Kommunistischen Partei den Ausgang genommen hat, geht durch die ganze Welt, und ich habe Ihnen vorhin Stellen vorgelesen aus der Entwicklung der russischen Revolution in Perioden, die unserer heutigen in Deutschland, das wird keiner leugnen, sehr sehr ähnlich sind. Nur mit dem einen Unterschied, daß diese heutige Krise in Deutschland keine deutsche Krise ist, sondern nicht nur äußerlich und durch Personen mit der Internationale zusammenhängt.

Die russischen Genossen werden also vorläufig jetzt verharren in ihrem Kampf gegen die "Menschewiki", gegen das, was sie nicht immer gutes Glaubens die "Menschewiki" heißen, und ich bin wenigstens froh, daß jetzt noch ganz andere Leute unter den Begriff der Menschewiki fallen, Leute, neben denen man sich sehen lassen darf.

Es ist ganz und gar nicht so,wie Radek in seiner neuesten Broschüre schreibt, daß Rosa Luxemburg einmal in einer Verirrung "bei den Menschewisten gestanden hat"., Ich werde nachweisen können, daß diese Verirrung keine drei bis vier Monate währende Bewußtseinsstörung von Rosa Luxemburg war, sowenig wie es eine momentane Geistesstörung von Klara Zetkin ist, daß sie bei mir steht oder die Folge von persönlichen Beziehungen zu mir, wie Smowjew und Radek den guten Geschmack haben, es auszudrücken!

Die Internationale und die deutsche Partei werden gegen die Zerfallserscheinungen kämpfen müssen, die die typischen Erscheinungen sind einer Periode, in der die Revolution rückläufig geht und die man nicht durch Beschluß der Parteiinstanz umdeuten kann in eine Offensive. Wobei ich eines allerdings ausdrücklich sagen will: daß jetzt in Deutschland die Verhältnisse anders sind als 1906 in Rußland, ist auch die politische revolutionäre Bewegung reflux, so sind die Verhältnisse doch so, daß die ökonomische Weltkrise dauert, stärker wird und kein Zeichen der Überwindung aufweist. Und damit ist auch der Grund vorhanden, daß es nicht nach zehn Jahren Dauer, sondern täglich geschehen kann, daß die Defensive, die Ebbe, umschlägt in die Offensive, in die Flut. Nicht dann durch einen Beschluß der V.K.P.D., daß die Revolution jetzt in die Offensive einzutreten habe, sondern dadurch, daß infolge ökonomischer und politischer Entwicklung und Tatsachen es die Geschichte - und keine Provokation, nur die Geschichte - dahin bringt, daß die Massen kämpfen. Und bis ihr das begreift und dahin kommt, werdet ihr eben euch noch weiter mit solchem Machen der Geschichte die Zähne ausbeißen, bis ihr es dahin bringt, daß ihr die Kommunistische Partei, die berufen war, jene Stunde propagandistisch und organisatorisch vorzubereiten, hoffnungslos kompromittiert und auf einen Anarchistenklub reduziert, während die Massen irre davonlaufen.

Das ist die Erfahrung, die wir aus der russischen Bewegung machen können aus dem Jahre der Ebbe. Aber aus den Lehren, die die Russen uns -nicht durch ihre mehr oder weniger erhebenden Worte - sondern durch ihre Geschichte geben, können die deutschen Massen freilich nicht alles lernen. Es bleibt bei dem, was Trotzki gesagt hat:

"Jedes Land mußte und muß für sich aufs neue den Marxismus erwerben, um ihn zu besitzen. Der internationale Charakter der sozialistischen Bewegung zeigt sich nicht nur darin, daß jedes Land aus den Erfahrungen des fortgeschrittenen Landes Lehren zieht, sondern auch darin, daß es dessen Fehler wiederholt."

Die Fehler der Russen, die sie selbst damals als Fehler erkannten und dann ausmerzten, die haben wir jetzt reichlich wiederholt. Es gibt freilich Genossen, die glauben, die Dosis der Dummheiten sei noch nicht groß genug, es müßten neue und stärkere Dosen kommen. Ihr werdet heute beschließen, zu tun, was das Gesetz und die Gesetzgeber befahlen und meinen Ausschluß dekretieren. Ich werde darüber nicht von der Welt versinken, sondem wir werden sehen, und bald sehen, wer recht hat und auf welchem Weg ihr wieder zurückkommt zu den Theorien und Methoden, dle die des Spartakusbundes, der Kommunistischen Partei wie der Kommunistischen Internationale waren. Ob freilich (zur Zentrale) ihr dann noch dabei sein werdet, das ist eine andere Frage. Denn irren auch die Massen nie ohne Nutzen, so irren die Führer nie ungestraft.

Schlußwort

Genossen und Genossinnen!

Ich werde mich trotz der ausführlichen Entgegnungen, die mir zuteil geworden sind, kurzfassen.

Zunächst ist die Frage an mich gerichtet worden: ja, was hättest du getan, wenn du zu entscheiden gehabt hättest. Ich habe ja auseinandergesetzt, daß die Möglichkeit besteht, daß, als die Aktion von Hörsing einsetzte, dies nicht ohne einen gewissen Zusammenhang mit manchen früheren Geschehnissen war. Ist dem so, dann ist natürlich die Frage so überhaupt nicht zu beantworten, weil ich für diese vorangehenden Ereignisse in keinem Fall auch nur die politische Verantwortung übernommen haben würde.

Gesetzt aber den Fall, der Hörsingsche Einmarsch war eine durch nichts veranlaß te Provokation, dann muß ich gestehen: gegenüber einer Provokation des Gegners bin ich an sich geneigt, auszuweichen, weil ich mir sage: der Gegner provoziert, wenn ihm die Sache paßt, und wenn dem Gegner die Sache paßt, sprechen meistens - es ist keine feste Regel - alle Umstände dafür, daß für uns die Sache nicht paßt und also für mich die Möglichkeit bestehen muß, zur Seite zu treten, damit der Stoß, den er mir in ungünstiger Situation zugedacht, ins Leere treffe oder treffe in einer Situation, wo die Verhältnisse für mich günstiger geworden sind.

Ich persönlich bin der Auffassung, daß, wenn die Hörsingsche Polizeiaktion in Wirklichkeit eine Provokation war, dann die Zentrale in der Situation, die sie selbst beschreibt: acht Tage vor Ostern, die Provokation nicht annehmen durfte.

Und nun weiter, selbst den Fall gesetzt;- daß trotz alledem, ob sie wollte oder nicht, sie die Provokation annehmen mußte - ich bestreite durchaus, daß es so war und steht, ja auch ganz im Gegensatz zur ergriffenen "Offensive" -: also gesetzt diesen Fall, was mußte dann die Zentrale tun? Ja, da hat der Genosse Radek jetzt in seiner dankenswerten Broschüre bereits einige Aufklärungen gegeben:

"Der Aufmarsch mußte erfolgen in Anknüpfung an die bisherige Arbeit der Partei. Die Taktik des "Offenen Briefes", wenn er nicht ein einmaliger Trick war, forderte, bevor wir in die Aktion schritten, vor den Massen festzustellen, daß es nicht unsere Schuld ist, wenn wir genötigt sind, zu einer selbständigen Sonderaktion zu greifen. Die Bedürfnisse des Aufmarsches erforderten also, daß wir uns noch einmal an die Gewerkschaften und an die sozialdemokratischen Parteien wenden und an sie die Frage stellen: ,Wollt ihr zusammen mit uns die Bergarbeiter Mitteldeutschlands verteidigen oder nicht?' Da die Regierungsaktion in Mitteldeutschland von dem preußischen Innenminister, dem Sozialdemokraten Severing ausging, da sie von dem Sozialdemokraten Hörsing auf Geheiß der Bourgeoisie erfolgte, so hatten wir erstens die Aufgabe. die Sozialdemokratie zu nötigen, sich offen zu diesem Schlage gegen die Arbeiter zu bekennen, zweitens, die Unabhängigen zu nötigen, sich vor den Arbeitern in klarer Weise dazu zu bekennen, ob sie in einer Front mit der Orgesch und mit Severing oder mit den Bergarbeitern Mitteldeutschlands stehen wollen."

Das alles wurde unterlassen, und damit ist ein großer Teil er Kritik bereits weggenommen. Und was der Genosse Radek nicht durchschaut hat oder nicht anerkennen will, das ist, ich wiederhole es, daß es einfach nicht wahr ist, daß die Partei gezwungen war, jetzt in die Aktion zu treten, gezwungen, großen kommenden Aktionen voranzutanzen. Die Aktion in ihrer Gesamtheit freilich war nicht geplant von der Zentrale, die Aktion der Kommunistischen Partei war auch nicht geplant dle Woche vor Ostern; ich bleibe aber dabei: die Aktion Hörsings war nur ein Gegenzug im Rahmen einer großen Aktion, die Verantwortung dafür trifft die, die diesen Gegenzug unbesonnenerweise auslösten. Es geht eben nicht, Offensivkraftmeiertum zu spielen und dann vom schmählichen Überfall zu reden; es geht nicht, mit Provokation zu spielen und dann die Folgen nicht erkennen wollen.

(Es folgen hier noch detaillierte Angaben üher diesen Punkt.) Und nun weiter. Es ist mir vorgeworfen worden, ich hätte Liebe für die K.A.P.D., und im selben Atemzug, ich kämpfte dem ganzen Temperament immer nach links.

Ich weiß nicht, wie man die Vorwürfe miteinander vereinigen will, aber etwas Richtiges ist daran. Es ist wahr: ich glaube, daß in der Revolution die K.A.P., d.h. die anarchistischen Strömungen schweren Schaden getan haben, und ich habe sie bekämpft - aber eines erkenne ich an: wenn schon einmal ich K.A.P.- Politik mache, dann ist mir die K.A.P.D. mit ihrer Lausbubenpolitik zehnmal lieber, weil sie zehnmal echter und ehrlicher ist als die K.A.P .-Politik im Gehrock und mit der Hornbrille auf der Nase.

Es ist nun allerseits gesagt worden, wir müßten aus unsern Fehlern lernen. Da muß ich sagen, da war ich eigentlich gespannt zu hören, welche Fehler nun die der Märzaktion gewesen sein sollen. Es kann ja sein, daß diese etwas delikate Frage in einem auserwählteren Kreise erörtert wird, als in dem, zu dem ich zugelassen wurde, aber Genosse Schmidt hat ja bereits rekapituliert; die Lehren sind: wir müssen lernen schroffste Disziplin und stärkste Leitung. Also, die Fehler, die zum Scheitern der Märzaktion geführt haben sollen, sind rein organisatorische: eine straffere Disziplin, eine stärkere Leitung und dann wird das nächste Mal alles wie am Schnürchen gehen.

Da kann ich dem Genossen Schmidt gleichfalls wieder zu seiner Belehrung vorlesen das, was die Kommunistische Arbeiterzeitung schreibt. Sie schreibt in Nr. 191:

"Damit ist die Praxis, die auf Grund der These über Massenparteien betrieben wurde, durch die Praxis selbst als falsch erwiesen. Damit ist zugleich auch jene übertriebene, ganz äußerliche Vorstellung von den Möglichkeiten der Parteidisziplin als falsch erwiesen, mit der man geglaubt hatte, die Massen als willenloses Werkzeug der Führer heute so und morgen so kommandieren zu können.

Vielleicht sieht jetzt allmählich die Kommunistische Internationale ein, was die K.A.P.D. gemeint hat, als sie stets von einer, wenn auch kleinen, so doch festen und absolut einheitlich zusammengeschweißten Partei sprach. Nämlich nicht eine Partei, die so klein als möglich sein sollte, sondern eine Partei, die niemals versuchen sollte, auf Kosten der Klarheit und Einheitlichkeit zur Massenpartei zu werden."

(Zwischenruf: Ist das denn Ihre Psychologie?)

Ja, Genosse Schmidt, das ist die Psychologie von Leuten, die sich klar sind, daß man entweder eine poIitische Partei aufbaut auf das Prinzip der. individuellen Auswahl, dann werden Sie eine kleine, das sage Ich hundertmal wieder, hingebende, alles freudig opfernde Partei bekommen, aber keine Partei, sondern eine Sekte. Die kann und wird, in ihrem kIeinen Rahmen, militärische Disziplin, Kadavergehorsam wahren können. Wenn Sie aber Massen in einer Partei haben wollen, dann können Sie sie nie und nimmer bewegen nach Kommandoworten einer militärischen Führung, auf Geheiß einer Zentrale, und weil ein Führerkonventikel es beschlossen hat, sondern Sie können sie nur bewegen nach politischen Prinzipien, weil sie ein politischer und kein militärischer Körper ist. Und wenn Sie deswegen aus der Märzaktion nichts Gescheiteres gelernt haben, als daß man die "Disziplin" ausbessern, verstärken soll, so zeigen Sie, daß Sie aus der Märzaktion nichts gelernt haben.

Genosse Schmidt hat mit außerordentlichem Scharfsinn auseinandergesetzt, daß meine Situation in der Partei bereits bei deren Gründung unhaltbar gewesen sei.

Ja, an mir hat es nicht gelegen, daß ich damals in die Zentrale gekommen bin. Vielleicht, das gebe ich zu, habe ich damals einen Fehler gemacht, daß ich, der ich mich bis zum letzten Augenblick sträubte, in die Zentrale zu gehen, dem Druck anderer und des Genossen Schmidt nachgegeben habe. Vielleicht hätte ich damals, als Brandler aufstand und den Ausschluß gegen mich beantragte für den Fall, daß ich die Wahl in die Zentrale nicht annehme, das Lokal verlassen und sagen sollen, daß ich auf die Drohung hin hier nichts mehr zu suchen hätte.

Aber was war die "unhaltbare Situation"? Das ist ganz klar, dazu brauchte man kein politisches Genie zu sein, um das nicht erst heute, sondern schon damals so klar zu sehen, wie ich es sah. Wie Sie alle wissen, stand ich schon in Moskau in einem gewissen Gegensatz zur Exekutive, und wie ich in manchen anderen Dingen abwich, so war ich auch gegen die 21 Bedingungen.

Warum das? Deswegen, weil ich sagte: werden diese Massen von der U.S.P. losgelöst, auf Grund einer rein organisatorischen Bestimmung, so wird der Loslösungsprozeß eine organisatorische Katzbalgerei und kein politischer Schulungsprozeß. Und es war mir eine, wenn auch nicht freudige, Genugtuung, daß selbst Sinowjew in seiner Hallenser Rede als erstes feststellen und bedauern mußte, daß die Auseinandersetzung so ganz organisatorisch und gar nicht politisch war.

So kamen die großen Massen der U .S.P. ungeschult zu uns. Ich wollte ihnen schärfere Bedingungen stellen als die 21 Punkte, aber politische Bedingungen und nicht organisatorische, und weil so die Massen keine klaren politischen Vorstellungen in der Auseinandersetzung hatten, kamen diese Massen der US.P. zu uns mit falschen Hoffnungen, sie kamen zu uns mit der Hoffnung: jetzt sind wir bei Moskau, Moskau macht jetzt alles, jetzt ist eine große zentralisierte Leitung über uns: jetzt muß die Revolution in Deutschland vorangehen.

Das war ganz klar eine K.A.P .-Stimmung, und der Genosse Schmidt wird nicht bestreiten wollen, daß ich sie damals schon in Gesprächen mit ihm erkannte, und daß er und ich uns über die Gefahren einig waren. Meine Stellung zu jenen Strömungen war klar, ich habe mir m unseren langen Erfahrungen auch meine Meinung gebildet. Ich bin fest überzeugt gewesen: wir hätten die K.A.P.-Strömung in der Partei überwinden können dann, wenn wir alle, die diese Erfahrungen gemacht, einig, geschlossen und fest geblieben, zumal wenn der alte Spartakusbund geistig beisammen geblieben wäre.

Der alte Spartakusbund ist aber bereits damals - und das soll gegen niemand ein Vorwurf sein - auseinander gefallen. Die Konkurrenz um den höheren Grad von "Revolutionarismus" hatte begonnen, und so waren es, und das gestehe ich, nicht nur Stimmungen, die mich veranlaßten, mich dem Amt des Vorsitzenden "entziehen zu wollen, sondern es war der klare Wille, sich an dieser Konkurrenz nicht beteiligen zu sollen. Mir war in Moskau jeden Tag von der Passivität der Partei geredet worden; was ist da verständlicher als der ehrliche Wunsch, die "Aktiveren" an die Leitung kommen zu lassen. Aber die Aktiven spielten schon damals, na, ich will kein scharfes Wort gebrauchen, das ungewöhnliche Spiel, das sie auch heute spielen. "Es war verhängnisvoll für die Partei", sagte heute der Genosse Schmidt, daß wir im Februar gegangen seien, und daß die Linke an die Spitze getreten sei.

Ja, entweder hat man eine bestimmte Vorstellung von dem, was man will, wenn man vom "linken Flügel" redet, dann muß man auch durch Taten zeigen, was man will, oder aber, man muß schweigen.

Aber wie können Sie, Genosse Schmidt, und wie kann irgendein Genosse sagen, daß wir im Unrecht seien, wenn wir die “Linken" ans Ruder ließen. Es gibt doch keine politische Strömung, die das Privileg für sich hätte, sich immer nur in Worten der Opposition erschöpfen zu können; die Krone jeder Opposition ist doch die Leitung; die Opposition, die dem Gegner einen Vorwurf macht, daß er ihr die Leitung überlassen hat: ja, ist eine saubere Opposition. Ja, es ist schon so, wie Ich vorhin sagte: ihr hättet gern gewünscht, daß ich das Tier sein sollte, auf dem der linke Flügel reiten lernt.

Und nun, Genossen und Genossinnen, sagt Genosse Schmidt weiter, ich sei Vertreter der Internationale in Italien gewesen. Erstens ist das nicht wahr. Die Exekutive, Genosse Sinowjew, hat abgelehnt, .mich als Vertreter nach Italien zu senden, und ich war und bin nicht unglücklich darüber: Aber was hat man mit der italienischen Frage ein Geschrei gemacht, weil wir wollten, daß man nicht die Brücke abbreche nach der Gruppe Serrati hin.

Und was ist jetzt geschehen, nach allem Geschrei? Man hat sie zum Kongreß nach Moskau eingeladen! Und was wird man in Moskau mit ihnen machen? Man wird in Moskau mit den Arbeitern sprechen und versuchen, sie für die Internationale und für den Bruch mit den Reformisten zu gewinnen, und wenn Sie meine sämtlichen Artikel und Reden lesen, so werden Sie überall nur immer eben diesen Gedanken finden. Um das zu tun, brauchte man nicht das Geschrei, das man über uns erhoben hat, das konnte man billiger haben, wenn man auf uns hörte. Es ist auch hier nur dieselbe Taktik von Moskau: hat man einen Fehler gemacht, dann dreimal draufhauen auf den, der den Fehler rügt und ihm in der Sache dann Genüge tun. Es ist die Taktik, mit der man seine eigene Unfehlbarkeit hochhält, und die vielleicht sogar noch Leute findet, auf die sie wirkt.

Und nun weiter. Genosse Schmidt verkündet uns: man spuckt in Moskau auf unsere Bündnisparole! Ach, man hat heute schon sehr viel gespuckt. Das Spucken war ja auch in der Märzaktion eine beliebte Sache. Man hat ja jeden anderen Tag den Mehrheitlern und Unabhängigen, die man für die Aktion brauchte, "in die Augen gespuckt".

Ja, Genossen und Genossinnen, es kann sein, daß die Genossen in Moskau auf unsere Bündnisparole spucken. Der Genosse Schmidt muß das ja wissen. Die Parole war aber viele Wochen lang die Parole der deutschen Partei; wir hatten sie schon im "Offenen Brief" und haben mit der Zuspitzung der auswärtigen Verhältnisse uns immer mehr auf diese Parole konzentriert. Es ist nun ja sicher: Wir sind sündige Menschen und haben vielleicht in diesem Punkt sehr viel gesündigt und schwer geirrt, so schwer, wie es bei berufeneren Köpfen nie vorkommt. Aber dann war es nicht Aufgabe des Exekutivkomitees, auf uns zu spucken, sondern dann war es die Aufgabe der Kommunistischen Internationale, selbst die Initiative zu ergreifen, um etwas von dem erleuchteteren Geiste des kleinen Bureaus uns zu übermitteln, auf daß wir unsere Sünden erkennen, und das Exekutivkomitee hatte selbst mit seinen Anschauungen in Westeuropa herauszutreten. Uns ist nicht gedient mit Spucken auf unsere Parolen in Moskau, sondern uns ist gedient, wenn uns dann die Kritik ruhig und sachlich gesagt wird, und, was wir besser machen sollen.

Nun noch einen Punkt, den ich nachtragen wollte.

Weswegen habe ich die Broschüre veröffentlicht? Da muß ich den Genossen Schmidt an eines erinnern. Der X. Kongreß der Kommunistischen Partei Rußlands fand, wenn ich nicht irre, am 6. März dieses Jahres statt, und am 15. März hatte man schon die Berichte in Europa, worin Sinowjew erklärt: "Wir haben den Kampf gegen Levi eröffnet".

Wenn die russischen Genossen Kämpfe ansagen, dann bin ich nicht kindlich genug, um nicht zu wissen, was das bedeutet. Und ich bin mir auch klar gewesen, daß, als in Deutschland die Aktion abgebrochen wurde, es kein falscher Zungenschlag eines Vertreters der Exekutive gewesen war, als er schon während der Aktion sagte, wenn sie zur "Säuberung" der deutschen Partei vom "rechten Flügel" führt, dann sei die Aktion gerechtfertigt. Und die Zentrale damals hat das auch bestätigt, indem sie "organisatorische Maßnahmen" bei Abbruch der Aktion beschloß.

Und dann wurde die Aktion abgebrochen "mit organisatorischen Maßnahmen" und am selbigen Tag bereits lädt man den Genossen Richard Müller und den Genossen Wolf vor das hohe Synhedrion[3] und hat sie zunächst von ihren Ämtern abberufen. Ich bin doch nicht einfältig genug, um nicht zu wissen, was das heißt. Ein paar Tage später hätte man sie ausgeschlossen, und, nachdem Müller und Wolf ausgeschlossen waren, hätte man ein paar andere Genossen ausgeschlossen, dann hätte man den Genossen Däumig ausgeschlossen auf Grund seines Briefes. Und dann wären wieder ein paar ausgeschlossen worden, und nach nicht gar langer Zeit auch ich.

Verehrte Genossen, solch ein Spiel mache ich nicht mit. Ich habe frank und frei gesagt: Wollt ihr die "Leviten" rauskriegen, dann bin ich Manns genug, mit meiner Visitenkarte und meiner politischen Anschauung mich vor die "Leviten" zu stellen. Wenn ihr reinigen wollt, so lasse ich mich auch von euch nicht auf Grund eines organisatorischen Paragraphen ausschließen. Dann wollen wir wissen, warum wir auseinandergehen, das bin ich euch und mir schuldig. Und das ist kein In-den-Rücken-Fallen; es ist die allerhöchste revolutionäre Pflicht, wenn eine Partei so fehlt wie die, daß einer die Wahrheit sagt, und ich wünsche der Partei nicht, daß sie noch einmal solche Fehler macht wie jetzt, aber wenn, daß einer sich findet, der das gleiche tut.

Und nun ist noch gesagt worden: aber nicht in der Öffentlichkeit. Was ist das für eine Einstellung! Ich habe schon ausgeführt, daß für mich ein anderer Weg gar nicht existierte. Der Zentralausschuß, in seiner Unfehlbarkeit, hat es abgelehnt, mich zu hören. Ich war gar nicht eingeladen und nicht aufgefordert, und ein Antrag, mich zu hören, wurde von den Genossen in ihrer Gottähnlichkeit abgelehnt. Aber davon ganz abgesehen. Es ist eine vollständig falsche Einstellung, als könnten die Kommunisten ihre Fehler im stillen Kämmerlein unter sich abmachen. Die Fehler und Irrtümer der Kommunisten sind genau so ein Bestandteil des politischen Erlebens der proletarischen Klasse wie ihre Vorzüge. Sie können und dürfen weder das eine noch das andere den Massen vorenthalten. Haben sie Fehler gemacht, so haben sie sie nicht für die Partei gemacht, und selbst wenn die Partei drüber zugrunde ginge: wenn das der einzige Weg ist, auf dem das Proletariat die Lehren aus Ereignissen ziehen kann, so müßte es sein, weil die Partei um des Proletariates willen da ist und nicht umgekehrt.

Und immer wieder der Vergleich mit Rosa Luxemburg. Gewiß hat Rosa Luxemburg keine Broschüre gegen den Putschismus geschrieben. Sie kam nicht mehr dazu. Aber bei einem ähnlich katastrophalen Zusammenbruch der alten sozialdemokratischen Partei hat Rosa Luxemburg eine Broschüre geschrieben, die nicht gelinder war als jetzt die meine

(Zwischenrufe!)

und der Vergleich stimmt bis aufs Ietzte. Genau denselben katastrophalen Fall in den Opportunismus hat die alte Sozialdemokratie erlitten 1914, wie die jetzige jetzt in den Anarchismus.

Und noch ein Wort. Genosse Pieck hat vorhin gesagt, der Bankrott der Partei, das sei eine Sache, -die er sich überhaupt nicht vorstellen könne. Ich freue mich über diesen Optimismus. Ich will hier nur eine Stelle vorlesen:

"In der Konspiration wie in der Duma verrichtet die russische Sozialdemokratie die gleiche Arbeit: sie klärt die Arbeiter auf und vereinigt sie. Sie kann das besser oder schlechter tun, jedoch eines steht fest: auf diesem Wege können wohl Fehler begangen werden, aber auf diesem Wege gibt es keinen Bankrott."

Und damit ist es der Genosse Trotzki, der andeutet, daß, wenn der Weg des Kommunismus verlassen ist, wenn die Partei vom Anarchismus erfaßt wird, das Ende der Bankrott ist und sein muß.

Und ich werde nicht in die vielen Prophezeiungen verfallen, mit denen die letzte Stunde gefüllt war: Wir werden das Ende des Weges, den ihr gegangen seid, noch sehen und wollen des Ends erwarten.


[1]Triarier (lat. triarii die Dritten) waren die Elite der römischen Legion.
[2]W.I. Lenin, Werke, Bd.26, 182 ff
[3]Synhedrion oder Synedrium (συνέδριον; etwa: Gemeinschaft Zusammensitzender) bezeichnete ein antikes griechisches Beratungs- und Beschlussgremium (Ratsversammlung).

Cross references: