Wir haben noch große
und schwere Aufgaben vor uns
Rede von Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Partei DIE LINKE
(Auszug, die theoretisch interessanteste Stelle, ausgew. von P. Feist)
Marx und Engels haben in der »Deutschen Ideologie« einen entscheidenden Hinweis gegeben, warum das so schwierig ist. »Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken. Das heißt, die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.« Diese Analyse der Vordenker der Arbeiterbewegung hatte Goethe schon seinem Faust vorweg genommen. »Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln.« Will man also, liebe Freundinnen und Freunde, linke Politik machen, dann muss man den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes ohne Führung eines anderen zu bedienen. Einfacher gesagt: Man darf nicht vor der Wirtschaft und vor den die Interessen der Wirtschaft vertretenden Zeitungen und Medien einknicken. Das ist oft leichter gesagt als getan. Man muss sogar den Mut haben, seine eigene Sprache zu sprechen.
Und nun ein weiteres interessantes Zitat: »Es gehört zum heillosen Zustand, dass auch der ehrlichste Reformer, der in abgegriffener Sprache die Neuerung empfiehlt, durch Übernahme des eingeschliffenen Kategorieapparates und der dahinter stehenden schlechten Philosophie die Macht des Bestehenden verstärkt, die er brechen möchte.« Das schrieben Horckheimer und Adorno schon in der »Dialektik der Aufklärung« 1947. Mit anderen Worten, die Herausforderung an DIE LINKE ist folgende: Wer die Sprache der Herrschenden spricht, verfestigt die bestehenden Zustände. Und, liebe Freundinnen und Freunde, das ist eine große Herausforderung.
Ein Standardbeispiel für diesen Mechanismus ist der Begriff Lohnnebenkosten. Alle mit uns konkurrierenden Parteien wollen die Lohnnebenkosten senken. Das heißt, sie wollen das Geld, darauf ist Lothar bereits eingegangen, für Rentner, Arbeitslose, Kranke und Pflegebedürftige kürzen. Ein einziger Begriff, nicht die Politikerinnen und Politiker, ich sage das jetzt sehr zugespitzt, ein einziger Begriff bestimmte ganz wesentlich die Politik der letzten Jahre. DIE LINKE muss ihre eigene Sprache finden, besser noch zur Dialektik zurückkehren. Dialektiker sein heißt, den Wind der Geschichte in den Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst ist, sie setzen zu können. Das ist das entscheidende. — Soweit Walter Benjamin.
Wir, DIE LINKE, haben Begriffe gesetzt: den Mindestlohn, Hartz IV muss weg, wir wollen eine armutsfeste Rente und die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan. Und wir haben den Wind der Geschichte in unseren Segeln. Das macht unseren Erfolg aus, liebe Freundinnen und Freunde.
Ist diese von Walter Benjamin vorgegebene Aufgabe in Angriff genommen und hat man ein Bild von einer neuen Gesellschaftsordnung, dann gilt es, die Veränderungsmöglichkeiten der Gesellschaft zu prüfen. Marx sagte dazu: »Eine Gesellschaftsordnung geht nie unter, bevor alle Produktionskräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.« Leben wir, liebe Freundinnen und Freunde, in einer solchen Zeit des Übergangs? Was wird heute im Schoße unserer Gesellschaft ausgebrütet? Wer einen modernen linken Politikentwurf präsentieren will, muss sich mit dem Kapitalismus im neuen Gewande, dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, auseinandersetzen, denn dies ist die entscheidende Frage unserer Zeit: Wie begegnet Politik dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus? Unsere Vorschläge zur Regulierung der Finanzmärkte sind bekannt:
Das weltweite Finanzvermögen ist seit 1980 etwa dreimal so schnell gewachsen wie das Weltsozialprodukt, nämlich von 12 auf 170 Billionen Dollar oder auch 170.000 Milliarden Dollar. Das Weltsozialprodukt stieg im gleichen Zeitraum von 10 auf 50 Billionen Dollar.
Nicht Unternehmer und Manager sind in erster Linie die Hauptakteure des heutigen Kapitalismus, sondern die Finanzinvestoren. Vorbei die Zeit, in denen einer der Gründer des Hauses Siemens, Werner von Siemens, sagte: »Für den augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.« Das kann man umdrehen. Heute ist es so, dass für den augenblicklichen Gewinn die Zukunft verkauft wird. Und genau dies muss Politik ändern, wenn sie auf den Punkt kommen will.