Partei DIE LINKE: Ratlos in der Krise

Enttäuschende Wahlergebnisse, sinkende Umfragewerte, eine spürbare Wählerwanderung von der Linken zur AfD — und keine überzeugenden Antworten, wie der aktuelle Trend aufgehalten werden kann — so präsentiert sich die Führung der PdL ihrer Basis. Gregor Gysi befindet, die LINKE sei saft- und kraftlos und fordert sowohl die Geschlossenheit der Führung wie gemeinsame Antworten. Aber wo es keine ausreichende Analyse der Ursachen der Malaise gibt, muß es auch an vielversprechenden Antworten auf die Krise fehlen.

Katja Kipping verweist auf den Zusammenhang zwischen Rassismus und Neoliberalismus. Die Umverteilung von unten nach oben, die sich verbreiternde Armut, die sich weiter öffnende Schere zwischen arm und reich sei der Nährboden für den Rassismus und die AfD. Ihr Mit-Parteichef Riexinger fabuliert dann von einer “Revolution für Gerechtigkeit”. Aber das war’s von dieser Seite. Wer mehr erwartete als den abstrakten Appell, Haltung zu zeigen und ein Bollwerk gegen den Rechtspopulismus zu bilden, wartete vergebens. Von einer Strategie für die “Gerechtigkeitsrevolution” war auch keine Rede. Einzig greifbare Perspektive war die vorab und ganz im Sinne Gysis geäußerte Forderung von Klaus Ernst, eine Machtoption mit der Orientierung auf Koalitionen mit der SPD und den Grünen zu verfolgen.

Damit vollbrachten die führenden Politiker der PdL das Kunststück, die Ursachen für das Schrumpfen ihrer Anhängerschaft überall — bei der Politik der Bundesregierung und ihrer rot-grünen Vorgängerregierung, beim Neoliberalismus, dem Rechtsruck und der rassistischen Demagogie zu suchen — nur nicht bei sich selbst. Die erste Frage, die sich die Anhänger der Partei DIE LINKE stellen müssen, lautet: Weshalb haben uns Scharen von Wählern den Rücken zugekehrt und sind sogar zur AfD übergelaufen?

Wer das mit einem latenten Rassismus oder einem Rechtsruck erklären will, erklärt den Rechtsruck mit sich selbst, d.h. gar nicht. Sahra Wagenknecht hofft, daß die Aufklärung der Wähler darüber, daß die AfD ebenso wie die Berliner Regierung eine neoliberale Strategie der sozialen Grausamkeiten verfolgen will, diese zur Umkehr bewegt. Das verkennt nicht nur die aktuellen Möglichkeiten des überalterten Wahlvereins PdL, auf kurze Sicht Massenaufklärung zu betreiben, sondern verweist auf ein totales Unverständnis für das Massenphänomen Protestwähler. Aber auch die Art der Bindung zwischen politischen Parteien und der Masse ihrer Wähler wird von ihr nicht verstanden.

Gewöhnliche Wähler lesen weder Parteiprogramme noch Wahlprogramme. Eine Minderheit liest Zeitungen, in Wahlzeiten manchmal auch Flyer, hört oder sieht Rundfunk- und Fernsehsendungen. Einige sprechen mit Familienangehörigen, Freunden und Bekannten. Alle messen das Gehörte an ihren früher gewonnenen individuellen und kollektiven Erkenntnissen, an ihren Erfahrungen und ihrer aktuellen Lebenssituation und, last but not least, ihren Bedürfnissen. Hieraus ergeben sich teils feste, teils erschütterte Grundüberzeugungen, aber nicht viel mehr.

Es ist ein Aberglaube zu meinen, die Wahl bestimmter Parteien sei Ausdruck der Zustimmung zu deren Programmen. Merkel und die CDU/CSU verschweigen vor den Wahlen systematisch ihre späteren politischen Vorhaben, weil sie wissen, daß ihre Wählerschaft etwas anderes will als sie. Diese Wahlstrategen versprechen ihrer Wählerschaft, daß es ihr weiter gut oder wenigstens nicht schlechter gehen wird. Besonders bei Landtagswahlen und bei Kommunalwahlen macht die SPD es nur in Nuancen anders. Auf diese Weise setzt diese Art von Wahlstrategie auf das Vertrauen saturierter Wählerinnen und Wähler. Zugleich wird gehofft, daß Konkurrenten weniger Vertrauen und damit Stimmen mobilisieren können.

Aufgrund gleichartiger negativer sozialer und politischer Erfahrungen wenden sich aber immer größere Teile der Bevölkerung von ihren bisher vorgezogenen Parteien ab. Viele wenden sich neuen Parteien zu. Die überwältigende Mehrzahl der Wechselwähler kennt auch die Programme und Vorhaben ihrer neu präferierten Parteien nicht. Sie drücken zunächst einmal nur ihr Mißtrauen gegen die alten Parteien aus. Zugleich aber auch ihre Frustration, manchmal ihre Wut, ihre Angst vor weitestgehend unbekannten Veränderungen. Sie sind ungeduldig und haben das Bedürfnis nach Veränderung. Es handelt sich bei ihnen immer um Protestwählerinnen und Protestwähler. Obwohl sich dieser Teil der Wählerschaft in der Regel mehr Gedanken über die politischen und sozialen Verhältnisse macht als der saturierte Teil der Bevölkerung, wird er von den Ideologen der Herrschenden immer als dumm oder von Demagogen manipulierbar dargestellt. Aber es handelt sich grundsätzlich um das Potential, um dessen Gewinnung linke wie rechte Oppositionsparteien sowie manchmal auch rechtspopulistische Regierungsparteien wie die CSU gegeneinander konkurrieren.

Wer dieses Potential mit Herrn Gabriel von der SPD oder Riexinger mit bloßer Gerechtigkeitsrhetorik oder wie Sahra Wagenknecht mit antineoliberaler Aufklärung zurückholen will, wird scheitern. Wer wie die PdL in Brandenburg oder vormals in Berlin in Landesregierungen sitzt, die die neoliberale Misere verwalten und betreiben und den Opfern dieser Politik Geduld predigt, wird von denjenigen, die die Schnauze voll von leeren Versprechungen haben, nicht mehr gehört werden. Wer nicht versteht, daß die Erfolge der AfD und ihr Zulauf bei Wahlen darauf beruhen, daß sie die Ungeduld, Wut und Feindschaft gegen die herrschenden Verhältnisse sowie die sie repräsentierende “politische Klasse” zum Ausdruck bringt, wird auch keinen gesellschaftlichen Kurswechsel nach links zustandebringen. Wer den nicht bewirkt, kann letztlich nicht einmal kleine Reförmchen durchsetzen. Wenn die PdL eine Zukunft haben will, muß sie ihr gesamtes Erscheinungsbild ändern.

Sie muß verbal wie praktisch eine unversöhnliche Feindschaft gegen die herrschende Klasse, ihre Politik, ihr Wirtschaftssystem und das von ihr dominierte Gesellschaftssystem verkörpern. Mit ihrer jetzigen Führung, aber auch mit ihrem jetzigen linken Flügel, wird sie das nicht können. Sie kann niemals zu einer glaubwürdigen, an die Wurzeln der Misere gehenden Oppositionskraft werden. Sie ist als gesellschaftsverändernde Kraft mausetot.

Dieter Elken

31.05.2016