Elsässers Initiative

für eine neue Volksfront

Der linke Publizist Jürgen Elsässer ist dabei, eine “Volksinitiative gegen das Finanzkapital” zu gründen. Im “internationalen Finanzkapital mit seinen Hauptbastionen in den USA und Großbritannien" sieht er den Hauptfeind. Die Krisenanalyse der meisten Linken sei falsch, weil sie vorgeblich das imperialistische Moment sträflich unterschätze:

“Die aktuell einsetzende Depression ist Ergebnis eines bewussten Angriffs des anglo-amerikanischen Finanzkapitals auf den Rest der Welt. Dabei kommen ‚finanzielle Massenvernichtungswaffen’ (Warren Buffet) zum Einsatz, die nicht aus Ausbeutung der Arbeitskraft (‚Überakkumulation’), sondern aus ‚fiktivem Kapital’ (Kapital, Dritter Band) munitioniert sind. Was wir bisher erlebt haben, waren erste Geplänkel mit diesen Waffen - der Hauptstoß steht noch bevor!” Und: ”Die Große Krise ist ein räuberischer Angriff des internationalen Finanzkapitals auf den Rest der Welt”.

.Er wünscht einen “Keynesianismus auf nationaler Ebene, um die zerstörerischen Angriffe der aggressivsten Teile des Kapitals abzuwehren; eine Zusammenarbeit zwischen der Linken und der Arbeiterklasse mit Mittelstand und aufgeklärten Kapitalisten in Form einer Volksfront; eine Koalition der angegriffenen Nationalstaaten unabhängig von ihrer jeweiligen ideologischen Orientierung." Er wünscht sich eine “Volksfront in der Tradition des Bündnisses von Kommunisten, Sozialdemokraten und Bürgerlichen in den dreißiger Jahren, die sich gegen Faschismus und Krieg richtete". [...] "Ein Spektrum von Lafontaine bis Gauweiler ist das, was wir wollen."

In seinen Thesen für die Volksinitative heißt es: “Bei der Abwehr dieses Angriffs spielt der Nationalstaat die entscheidende Rolle.” Und weiter: “In allen Staaten, auch in Deutschland, entwickelt sich ein zunehmender Widerspruch zwischen dem Industrie- und dem Bankkapital. Letzteres, eng mit den angloamerikanischen Angreifern verbunden, erdrosselt ersteres in einer Kreditklemme. Hauptaufgabe der Linken ist der Aufbau einer Volksfront, die das national bzw. ‚alt-europäisch’ orientierte Industriekapital einschließt. Die Reduktion auf Klassenkampf ist sektiererischer Unsinn.” Da darf auch die Absage an eine sozialistische Politik wenigstens für die jetzige Situation nicht fehlen: “Den Sozialismus, also den Stoß gegen das System insgesamt, zur Hauptaufgabe zu erklären, ist linksradikale Kraftmeierei.”

Falsche Analyse

Elsässers These eines wachsenden Gegensatzes zwischen Industrie- und Finanzkapital ist schlicht falsch. Der Imperialismus bleibt gekennzeichnet von einer Verschmelzung des Finanzkapitals mit dem Industriekapital. Diese Tatsache wird auch nicht durch die Aktivitäten von Hedgefonds widerlegt, die in der Regel mit Sitz in Steueroasen und gestützt auf die Kooperation mit imperialistischen Großbanken auf internationaler Ebene operieren und dabei u.a. Industriekonzerne aufkaufen, aussaugen, umstrukturieren und zerschlagen, um kurzfristig Höchstprofite zu erzielen. In einer Phase der kapitalistischen Entwicklung, die seit Jahrzehnten von gigantischen Überkapazitäten in den wichtigsten Industriezweigen gekennzeichnet ist und einer laufenden Überproduktion von Kapital, sind Fusionen bestehender Monopole, Firmenaufkäufe und aggressive Übernahmen ganzer Konzerne sowohl zum Zweck der Realisierung kurzfristiger Extraprofite wie auch als Überlebensstrategie von Großkonzernen bei sich verschärfender internationaler Konkurrenz nahezu unvermeidlich. Elsässers These, Hedgefonds und Private Equity Fonds würden “im Auftrag” von Investitionsbanken Angriffe auf das europäische Industriekapital durchführen, ist schlicht eine Verschwörungstheorie eigener Art, die Entwicklungstendenzen des Kapitalismus in einen bewußten Verschwörungsakt transformiert. Dieser wird noch national kostümiert. Da diese Art Fonds dort zuerst entstanden, wo zuerst konsequent marktwirtschaftlich dereguliert wurde, kann Elsässer den “Hauptfeind” auch gleich im angelsächsischen Raum verorten.

Elsässer vermengt diese Form der gesteigerten Tendenz zur Kapitalakkumulation in der Phase der “Globalisierung” mit den Spekulationsexzessen in Form der sog. Derivate und anderer neuer Finanzprodukte. Im Anschluß an den US-Milliardär Warren Buffett, dessen Analyse er zustimmt, schreibt er: “Diese Waffen schießen mit »fiktivem Kapital«, das nicht aus Wertproduktion und Akkumulation stammt (also auch nicht über die Auspressung der Arbeitskraft geschaffen wurde, wie es in linken Analysen heißt), sondern in Computern generiert wurde - aber dennoch schreckliche Verwüstungen in der Realität anrichtet. (…). Dass hier eine Ablösung von jeder realen Produktion stattgefunden hat, beweist schlagend eine einzige Zahl: Die Summe der Derivate beläuft sich auf astronomische 596 Billionen Dollar, so die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) im Dezember 2007.”

Auch andere Autoren haben behauptet, das internationale Finanzkapital hätte in den vergangenen Jahren eine eigene, von der industriellen Mehrwertproduktion getrennte Welt geschaffen, in der der Profit aus einer völlig neuen, nicht auf Lohnarbeit und Mehrwertproduktion beruhenden Quelle sprudelt. In Wirklichkeit haben wir es bei den kreditinduzierten Spekulationsblasen mit einer Erscheinungsform der permanenten Inflation zu tun, die ein Charakteristikum der jetzigen Phase des Imperialismus ist. Mit dieser maßgeblich durch Kreditschöpfung der Banken generierten Inflation gelang es zwar lange Zeit, den Ausbruch größerer Krisen in die fernere Zukunft zu verschieben, doch wurde zugleich die Voraussetzung geschaffen, die kommende Krise zu einer tiefen Systemkrise zu machen. Mit den sog. neuen Finanzprodukten gelang es für einige Jahre den Anschein zu erwecken, als würde fiktives Kapital selbst neues fiktives Kapital hecken. Das ist eine Illusion. Jede Spekulationsblase — und sei sie noch so aufgebläht — bleibt mit der sog. Realwirtschaft verbunden. Jede Spekulation muß letztendlich darauf abzielen, sich einen Anteil am gesellschaftlich produzierten Mehrwert zu sichern. Die Krisen der sog. Realwirtschaft bringen deshalb noch jede Spekulationsblase zum Platzen. Die Immobilienkreditblase war vermutlich nur der erste Knall. Andere könnten folgen. Die allgemeine Krise verschafft sich dann durch die Pulverisierung des aufgeblähten fiktiven Kapitals im Finanzsektor ihre spektakulärsten Ausdrücke. Es ist aber auch die Entwertung allen Geldkapitals in Form einer galoppierenden Inflation möglich.

Die sog. Kreditkrise als Kriegsakt des bösen, womöglich noch angloamerikanischen Finanzkapitals und seiner hiesigen Verbündeten gegen das vorgeblich gute Industriekapital zu interpretieren, hat viel mit politischer Dummheit und nichts mit Marxismus zu tun. Es ist zwar richtig, daß in halbwegs normalen Zeiten der uneingeschränkte Zugang zu Kreditgeld auch marode Industriekonzerne vor dem Zusammenbruch retten kann — wenn auch um den Preis des Verzichts auf eine Marktbereinigung — aber das gilt nicht in Zeiten eines stark schrumpfenden Weltmarktes. Selbst bei Anlegung normaler Kreditvergabekriterien wird am Beginn einer tiefen Rezession noch jede Geschäftsbank genau die Bonität von Kreditnehmern prüfen. Tut sie das nicht, halst sie sich weitere faule Kredite auf und spielt mit dem eigenen wirtschaftlichen Überleben. Elsässers “Analyse” entpuppt sich als oberflächliche Effekthascherei.

Falsche Schlußfolgerungen

Eine tiefe Krise des kapitalistischen Systems kann durch eine kreditfinanzierte Politik vermehrter Staatsausgaben allein nicht wirklich gelöst werden. Ein vermehrter Konsum wird nur dann eine neue Phase kapitalistischer Expansion und Investitionen auslösen, wenn es vorher entweder eine massive Kapitalvernichtung (Vernichtung überschüssiger und unzureichend produktiver Produktionskapazitäten) gegeben hat und/oder eine drastische Steigerung der Mehrwertrate, verbunden mit einer Ausdehnung der Absatzmärkte. Jeder der denkbaren kapitalistischen Lösungsansätze zur Überwindung der kapitalistischen Krise im Rahmen des Kapitalismus ist mit massiven Angriffen des Kapitals und seiner Regierung auf die Arbeiterklasse verbunden, d.h. mit massiver Lohndrückerei, der Verarmung großer Teile der Lohnabhängigen, der Rentner und des sich vergrößernden Arbeitslosenheeres. Jede ernstzunehmende Politik im Interesse der Klasse der Lohnabhängigen muß daher mit einer Verteidigung gegen die sich verstärkenden Angriffe des Kapitals beginnen.

Jede geschichtliche Erfahrung, insbesondere die Erfahrung der Volksfronten der 30-er Jahre, beweist, daß Bündnisse mit bürgerlichen Kräften nur unter Verzicht auf jeden Klassenkampf von unten zu haben sind. Volksfrontpolitik ist immer auch Burgfriedenspolitik. Folgerichtig wurden die Volksfrontpolitiker zu erbitterten Feinden aller proletarischen Gegenwehr gegen das Kapital — bis hin zur bewaffneten Konterrevolution wie in Spanien.

Auch Elsässer erteilt dem Klassenkampf von unten eine Absage, bevor er noch richtig begonnen hat. Anstatt zu überlegen, wie die passive und devote Politik der Führungen der Gewerkschaften gegenüber dem Kapital überwunden werden kann und wie seine Partei “Die Linke” wenigstens teilweise zu einer aktiven außerparlamentarischen Widerstandspartei gemacht werden könnte, befürwortet Elsässer wenigstens den zeitweisen Verzicht auf Klassenkampf und die Bildung einer Volksfront mit dem “alteuropäisch” orientierten nationalen Industriekapital, in der Perspektive eines “eurasischen Bündnisses”. Hinter diesen verschwiemelten Begrifflichkeiten verbirgt sich die Abwesenheit jeder ernsthaften Analyse. Die deutsche Industrie ist weltmarktorientiert. Sie ist mit dem Bankenkapital fest verbunden. Sie hat zur Zeit keine fundamental anderen Interessen als die der angelsächsischen imperialistischen Staaten. Sie setzt auf eine gemeinsame Durchsetzung imperialistischer Interessen, nicht auf einen Konflikt, der, zu Ende geführt, für sie auf absehbare Zeit nur in einer Katastrophe enden könnte.

Überflüssig zu erwähnen, daß es keinen relevanten Teil der Bourgeoisie gibt, der die Nationalisierung des gesamten Bankenkapitals auch nur als Notmaßnahme zur Rettung des Banksystems fordert. Und eine “demokratische Kontrolle” der Banken erscheint allen Kapitalisten als Teufelswerk.

Elsässers Bündnisprojekt ist deshalb in keiner Hinsicht tragfähig.

Es verkennt zunächst, daß es - inhaltlich betrachtet - das große Bündnis zwischen Gewerkschaftsführungen, Sozialdemokratie, Grünen, der CDU und dem deutschen Kapital längst gibt. “Die Linke” strebt ebenfalls in die “politische Verantwortung” für das Kapital. Er verkennt aber, daß das deutsche Kapital zur Zeit überhaupt keinen Bedarf an einer Allparteienkoalition bzw. einer “Regierung der nationalen Rettung” hat. Der von Elsässer herbeiphantasierte Gegensatz zwischen Industrie- und Finanzkapital wird von niemandem ernstgenommen werden.

Elsässers Berufung auf die angeblichen Erfolge der Volksfrontpolitik der 30-er Jahre geht ebenfalls an den geschichtlichen Realitäten vorbei. Es handelt sich um Dummenfang für Geschichtslose. Die Volksfrontregierungen entzauberten sich schnell und bereiteten reaktionären Regierungen den Weg. Elsässer Geschichtsverdrehungen zielen daher in Wirklichkeit auf frustrierte, von der Arbeiterklasse enttäuschte Linke ohne Geschichtsbewußtsein und Kleinbürger, die nach einem neuen Rezept suchen, den Kapitalismus zu verbessern, ohne die Mühsal des Kampfs gegen ihn in Angriff nehmen zu müssen.

Ein Bauernfänger und seine falschen Freunde

Elsässers abstruse Analyse hat neben der von ihm angepeilten Zielgruppe für seine Volksfront Freunde gefunden, die derlei Abstrusitäten schätzen: Der sächsische NPD-Abgeordnete Holger Apfel verkündete: “Der Gründungsaufruf von Jürgen Elsässer für eine Volksinitiative gegen Finanzkapital ist ein bemerkenswertes Signal. Jürgen Elsässer betätigt sich als Eisbrecher, der auf nationaler Grundlage den Dualismus von Rechts und Links durch die Schaffung einer antiglobalistischen und antiimperialistischen Gerechtigkeitsbewegung überwinden will. Mit den Forderungen, die er in seinem Gründungsaufruf vertritt, hat er sich NPD-Positionen nicht angenähert, nein, er vertritt NPD-Positionen.”

Eine erste Veranstaltung der Volksfrontinitiative wurde auch von Nazis gut besucht. Nach Ende der Versammlung drangen Vermummte in den Raum ein und schlugen einen Zuhörer nieder, der in mehreren Zeitungen, darunter der “Welt”, als der Holocaust-Leugner Gerd Walther bezeichnet wurde. Elsässer hatte diesen Angriff als Angriff auf sein nach seinem Verständnis linkes Projekt gesehen und in einer Presseerklärung erklärt:

“Wir werten diese Attacke als schweren Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Organisationsfreiheit. Offensichtlich maßt sich eine "antifaschistisch" kostümierte Schlägertruppe an, unliebsame linke Organisationsansätze wie die "Volksinitiative" durch physische Gewalt an der Verbreitung und Diskussion ihrer Ideen zu hindern. Dass sich angeblich ein Nazi unter den über hundert Anwesenden befunden haben soll, war nur ein Vorwand für das Rollkommando” (…) “Die "Volksinitiative" wird sich nicht einschüchtern lassen, sondern ganz im Gegenteil ihre Arbeit verstärken. Wir werden eng mit Polizei und Staatsschutz kooperieren, um die kriminelle Vereinigung, die für den Angriff verantwortlich ist, zu überführen - und um unsere künftigen Veranstaltungen zu sichern. Die Volksinitiative, 12. Januar 2009:”

Die Marxistische Initiative hält diese Presseerklärung für skandalös und noch dazu für dumm.

Elsässer hat auf die daraufhin zwangsläufig erhobenen Vorwürfe, er sei dabei, eine Querfont mit Nazis zu schaffen, erwidert, daß es zwischen der Wirtschaftspolitik Roosevelts und Hitlers zwar Parallelen gegeben habe, doch könne man sie deshalb nicht gleichsetzen. Sie hätten sich gesellschaftspolitisch diametral unterschieden. So sei es jetzt auch bei ihm.

Inzwischen räumt er ein, er habe sich womöglich mißverständlich ausgedrückt und damit wider Willen Nazis angezogen. Die ideologischen Parallelen zwischen seiner Einschätzung der Krisenursachen und klassischen Nazitheoremen sind jedoch unübersehbar. Daß Elsässer sie nicht gesehen hat, spricht Bände. Jetzt, wo er Gegenwind verspürt, macht er es sich und seinen Anhängern in mehrfacher Hinsicht zu einfach. Er täte besser daran, seine oberflächliche und impressionistische Analyse zu revidieren, die genauso verquer und oberflächlich ist wie seine (wirtschafts)historische Sicht von New Deal und Volksfronterfahrungen.

Marxistische Initiative, 20.01.2009