Suphi Toprak:

Das Schicksal eines türkischen Mörders

Der 16 jährige Erdal Eren wurde kurz vor dem Militärputsch 1980 in der Türkei verhaftet. Angeblich hätte er einen Soldat getötet. Diese Behauptung erwies sich als erfunden. Das Militärgericht hatte sein Todesurteil ausgesprochen, obwohl es aus den Reihen der bürgerlichen Justiz Ablehnung gab. Um Erdal Eren hinzurichten, hatten die Putschisten sein Alter auf 18 erhöht. Der oberste General Kenan Evren äußerte sich empört über die Diskussionen um Erdal Eren: ”Statt ihn aufzuhängen, sollen wir ihn ernähren?”

Es blieb nicht nur bei dieser Hinrichtung. Die Gefängnisse waren Folterzentren. Besonders das Gefängnis von Diyarbakir war für seine Folter berüchtigt. Die Gefängniswächter hatten die politischen kurdischen Gefangenen mit lebendigen Mäusen gefüttert. Die Gefangenen wurden vergewaltigt. Der Spruch, den die Gefangenen im Gefängnis von Diyarbakir zu hören bekamen war: “Hier ist eine Militärschule, diese Schule hat nur einziges Ziel, euch zu Türken zu machen.” Im Widerstand gegen die Folter hatten sich in Diyarbakir 34 Gefangene von 1981 bis 1984 entweder selbst getötet, oder sie wurden getötet.

650.000 Menschen wurden festgenommen. 1.683.000 Menschen als Verdächtigte observiert. 14.000 Menschen wurden aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen. Hunderttausende mussten das Land verlassen. 50 Menschen wurden hingerichtet. 419 Menschen haben in dieser Zeit ihr Leben verloren. Der Putsch wollte eine Türkei ohne Arbeiterbewegung schaffen. Der damalige Präsident des Arbeitsgeberbunds Halit Narin sagte; “Bisher haben die Arbeiter gelacht, nun sind wir dran.” Die demokratischen und sozialistischen Vereine wurden verboten. Die Gewerkschaften wurden verboten und damit das Recht auf Streik.

Die damaligen politischen Gefangenen oder ihre Hinterbliebenen klären seit Jahren über diesen Putsch die Öffentlichkeit auf. Zum ersten Mal wurde die Diskussion über die Putschgeneräle in so einem Umfang diskutiert. Seit langem versucht der türkische Staat ihre verbrecherische Geschichte auf einen ausgenutzten Teil seines Apparates auszulegen. Eine Bande von Staatsbeamten, Generälen und Journalisten soll für das ganze Verbrechen der letzten Jahren in die Rechenschaft gezogen werden. Diese Bande soll Ergenokon heißen.

Durch eine Polemik zwischen Regierungspartei AKP und Oppositionspartei kam zustande, dass man auch die Verantwortlichen des Putsches im Jahre 1980 vor Gericht stellen müsste. Nach dem Grundgesetz der Türkei können die Putschisten nicht juristisch zur Rechenschaft gezogen werden. Es bedarf dafür einer Grundgesetzänderung. Der inzwischen 92 Jahre alte Kenan Evren zeigte sich noch einmal empört. Er sagte: “Bevor ich vor Gericht gestellt werde, bringe ich mich selbst um. Hinter dem Putsch war das ganze Militär, das ganze Militär sollte dann vor Gericht gestellt werden. Es war notwendig. Vor dem Militärputsch waren wir alle in Gefahr.” Unterstützung bekam er auch von dem Chefredakteur von der Zeitung Hürriyet, die für ihre nationalistische Linie bekannt ist und auch in Deutschland vertrieben wird.

“Er soll nicht den Held spielen, er soll sich gleich umbringen.”, sagte der Abgeordnete aus Tunceli Kamer Genc. Die Hinterbliebenen und politischen Gefangenen fordern seine Verhaftung. Er soll für seine Taten büßen. Es ist unsicher, ob überhaupt die beiden Parteien ihr Vorhaben ernst gemeint haben. Trotzdem löste dies eine neue Diskussion um die Zukunft der Putschisten in der Türkei aus. Werden sie irgendwann für ihre Verbrechen vor Gericht gestellt, die Antwort würden gern die damaligen politischen Gefangenen und ihre Hinterbliebenen erfahren.

9. Juli 2009