Aufbau der revolutionären Partei und Klasse heute

1.

Die vielgestellte Frage nach der Verankerung der marxistischen Organisation in der Arbeiterklasse stellt sich für die Marxistische Initiative vorrangig als Problem der Verankerung des revolutionären Programms und der Strategie zu seiner Durchsetzung in der Arbeiterklasse und erst in zweiter Linie als organisatorisch-technisches Problem im Sinne der Frage nach der richtigen "Zielgruppe". Sie ist für uns keine Frage nach der thematischen Schwerpunktsetzung unserer Arbeit. Sie wirft zunächst das Problem der Selbstbewußtwerdung der Arbeiterklasse auf und davon abgeleitet die nachrangige Frage nach der Entwicklung der organisatorischen Verbindungen der marxistischen Organisation mit der Arbeiterklasse insgesamt.

Die Arbeiterklasse entwickelt nicht spontan revolutionäres oder sozialistisches Klassenbewußtsein - das ist vielmehr Resultat sowohl wissenschaftlicher Erkenntnis als auch der spezifischen Verarbeitung der im Klassenkampf gemachten Erfahrungen. Die aktuellen Entwicklungsmöglichkeiten einer marxistischen Organisation sind daher erst einmal bestimmt durch das aktuelle Entwicklungsstadium des Klassenkampfs. In einer nichtrevolutio-nären Situation kann keine revolutionäre Massenpartei entstehen.

Die Möglichkeiten eines marxistischen Kerns sind zum anderen natürlich auch maßgeblich durch seine eigenen Fähigkeiten bestimmt: Dadurch, wie realistisch und korrekt seine Gesellschaftsanalyse und sein Verständnis der treibenden Kräfte der gesellschaftlichen Entwicklung ist, durch seine Fähigkeit zur Strategieentwicklung, seine taktische Flexibilität, die subjektiven Fähigkeiten seiner Mitglieder und seine personellen Möglichkeiten, sich in entstehende Massenbewegungen von Teilen der Klasse zu integrieren und dort Beiträge zum Kampf für die proletarischen Interessen und Ziele (das revolutionäre Programm) sowie für seine Strategie zu gewinnen.

Der Aufbau einer Kampfpartei kann daher - unabhängig von der Größe einer marxistischen Organisation und gleichgültig, ob es sich um eine kleine Propagandainitiative oder um eine schon größere Organisation handelt - nicht losgelöst vom Klassenkampf erfolgen. Selbst Propaganda ist in dieser Hinsicht nur effektiv, wenn sie nicht abseits direkter politischer und theoretischer Auseinandersetzungen und Kämpfe erfolgt. Sie sollte Instrument und Ausdruck des Ringens um realen politischen Einfluß sein.

2.

Die Arbeiterklasse kann sich erst im Verlauf von Klassen-kämpfen bzw. im Verlauf eines revolutionären Prozesses mehrheit-lich zu einer subjektiv revolutionären Klasse entwickeln. Anders als zu Lenins Lebzeiten muß das sozialistische Bewußtsein, das nach wie vor in erster Linie das Ergebnis wissenschaftlicher Analyse und Erkennnis der Klassenverhältnisse insgesamt ist, jedoch nicht "von außen" in die Arbeiterklasse hineingetragen werden.

Fähig dazu sind längst nicht mehr nur dem Kleinbürgertum oder gar der Bourgeoisie entstammende Intellektuelle. Ganz im Gegenteil hat die objektive Verproletarisierung in den entwickelten kapitalistischen Ländern dazu geführt, daß die sozialistischen Intellektuellen in diesen Ländern in aller Regel Lohnabhängige sind. Sie sind als Lohnabhängige, als Nichteigentümer von Produktionsmitteln selbst Angehörige der Arbeiterklasse.

Wenn sich Gruppen sozialistischer Intellektueller deswegen, weil sie eine höhere Bildung als der Durchschnitt der Arbeiterklasse erworben haben, nicht als Bestandteile der modernen Arbeiterklasse sehen, dann ist das in der Regel nur ein Anzeichen für eine völlig veraltete, unzureichende Klassenanalyse und damit für ein Analyse- und Theoriedefizit im Grundlagenbereich marxistischer Parteiauf-baustrategie.

3.

Das Problem der Verankerung einer marxistischen Organisation, sprich: des Aufbaus einer revolutionären Partei mit Masseneinfluß, ist dadurch nicht leichter geworden.

Jede Organisation mit marxistischem Anspruch hat sich aber zunächst Rechenschaft abzulegen über die Veränderungen der Klassenstrukturen insgesamt und natürlich speziell im eigenen Land. Dazu gehört selbstverständlich, daß die enormen Veränderungen innerhalb der Arbeiterklasse zur Kenntnis genommen werden.

Wir haben an der DKP und ihren Ideologen wiederholt kritisiert, daß sie mit einem statischen Begriff der Arbeiterklasse herumhantieren, daß sie Industriearbeiterschaft und Arbeiterklasse gleichsetzen, ohne die Veränderungen des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktionsweise während der letzten 100 Jahre in Rechnung zu stellen.

Diese Gleichsetzung, die vor 100 Jahren aus politischer Sicht noch völlig unproblematisch gewesen ist, führt heute in politische Sackgassen.

Marx und Engels bestimmten die Klassen der kapitalistischen Gesellschaft grundlegend nach ihrem Verhältnis zum Eigentum an Produktionsmitteln. Hieraus ergibt sich sinnvoll ein soziologischer Klassenbegriff: Arbeiter, Angestellte, Staatsbedienstete, Kinder, Jugendliche, Hausfrauen, Kranke, Arbeitslose und Rentner gehören, sofern sie eigentumslos und damit von Lohnarbeit abhängig sind, der Arbeiterklasse an.

Wer die Frage danach, was die Klasse "an sich" ist, nicht beantworten kann, wird am Problem scheitern, dazu beizutragen, diese Klasse "an sich" zur Klasse "für sich" werden zu lassen. Wer Marx in dieser Grundfrage meint, verbessern zu müssen, wird sich hoffnungslos im Gestrüpp theoretischer Ungereimtheiten verheddern und dabei landen, das ganze marxistische Theoriegebäude ins Wanken zu bringen.

Während der Kapitalismus weltweit für die Verproletarisierung der werktätigen Massen gesorgt hat und inzwischen die Mehrheit der Weltbevölkerung in Proletarier verwandelt hat, faseln (post-) stalinistische Theoretiker davon, daß der Anteil der Arbeiterklasse an der Gesamtbevölkerung abnimmt. - was sie zwingt, alle möglichen neuen Zwischenklassen zu erfinden und über Klassen-bündnisse zu sinnieren, wo es um die Aufgabe geht, die verschiedenen Abteilungen und Schichten der Arbeiterklasse insgesamt gegen die Bourgeoisie zu mobilisieren und so im Kampf zu vereinheitlichen..

4.

Veränderungen der Klassenstruktur sind in der BRD - verglichen mit der Lage vor dem letzten Weltkrieg - extrem augenfällig: Die Klasse der Junker ist im Wesentlichen verschwunden. Die Bauern-schaft ist extrem geschrumpft. Das klassische Kleinbürgertum im Handel und im produzierenden Gewerbe ist ebenfalls bis auf kleine Reste zusammengeschmolzen. Soweit letzteres noch besteht, handelt es sich größtenteils um von Großkonzernen abhängige Zulieferer.

Die neuen Selbständigen im Dienstleistungsbereich sind im Hinblick auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung weit davon entfernt, die verschwundenen Teile des klassischen Kleinbürgertums zu ersetzen - wenn es sich nicht ohnehin um Scheinselbständige handelt. Die weiter bestehenden Handwerksbetriebe sind nicht zuletzt im Rahmen der Versorgung der Arbeiterklasse (Service und Dienste) aktiv.

Die Arbeiterklasse umfaßt (zumindest in der BRD und fast allen imperialistischen Metropolen) nicht nur die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, sondern hat sich entsprechend den Struktur-veränderungen des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produk-tion und Konsumption tiefgreifend verändert. Es gibt eine ganz andere Qualifikationsstrukur als früher. Einerseits ist im Berufsleben eine in der Regel deutlich höhere Grund- und Allgemeinbildung erforderlich als es vor 100 Jahren der Fall war. Andererseits hat die Entfaltung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung dazu geführt, daß viele Berufe, die komplexe Kenntnisse verlangten, in eine Vielzahl von neuen (Teil-)Berufen aufgesplittert wurden.

Nicht zuletzt gilt das auch für eine Vielzahl von klassischen Arbeit-geberfunktionen des frühen Kapitalismus, die auf ursprünglich privilegierte Angestellte übertragen wurden. Später, mit der Entwick-lung des Fordismus, wurden auch diese Angestelltentätigkeiten mehr und mehr dequalifiziert, immer weiter zerstückelt und damit auch verproletarisiert. Hiervon ist kein Bereich ausgenommen, ob Forschung oder Verwaltung, ob Arbeitsvorbereitung, Planung, Koordination und Logistik, Verkauf, Distribution oder Kundendienst. Kein Bereich entkommt der Verproletarisierung, der Standardisierung und Vereinfachung der Tätigkeiten, d.h. den Konsequenzen der sich vertiefenden Arbeitsteilung und damit auch der Entstehung neuer, spezialisierter Kapitalanlagesphären.

Die Folge ist nicht nur, daß einstmals ländlich und kleinbürgerlich geprägte Gebiete wie in der BRD große Teile Baden-Württembergs und Bayerns nach dem Krieg nachholend industrialisiert und damit in gesellschaftlicher Hinsicht proletarisiert wurden, sondern auch, daß das "klassische" Industrieproletariat nur noch eine Minderheit der Arbeiterklasse repräsentiert.

Neben ihm entstanden, zum Teil regional von alten Industriege-bieten getrennt, völlig neue, den Traditionen der alten, sozialdemo-kratisch dominierten Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung fremd gegenüberstehende Abteilungen und Schichten der Arbeiterklasse.

Dies war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, daß die sich immer offener verbürgerlichende Sozialdemokratie auf diese neu proletarisierten Schichten keine Anziehungskraft mehr ausübte und ihnen die Notwendigkeit einer Klassenorganisation auch nicht mehr vermitteln konnte (und wollte). Diese neuen Teile der Arbeiterklasse wurden soziokulturell durch den Nachkriegsboom der imperialistischen Wirtschaft, das "Wirtschaftswunder", geprägt und halten einen kleinbürgerlichen Lebensstandard für selbstver-ständlich. Auf ideologisch-weltanschaulicher Ebene sind sie von klassenversöhnlerischen Ideologien geprägt, die aber in aller Regel mit den ideologischen Traditionen der sozialistischen Arbeiterbewegung nichts zu tun haben. Beiden dieser Grundströmungen gefiel es übrigens, das sog. Wirtschaftswunder für den kapitalistischen Normalzustand zu halten.

Aber selbst dort, wo sich Teile dieser neueren Schichten der Arbeiterklasse nach links radikalisiert hatten, wie die Grünen in den achtziger Jahren, sehen sie sich häufig nicht als Teil der Arbeiterklasse sondern begreifen sich als "neue soziale Bewegungen".

Last but not least hat die neoliberale Offensive in ganz Europa dafür gesorgt, daß in den Metropolen des westeuropäischen Imperialismus eine neue industrielle Reservearmee entstanden ist, deren Kern eine aufgrund des Rückbaus der sozialen Sicherungssysteme entstandene, neu marginalisierte Unterschicht der Arbeiterklasse ist, das sog. Prekariat.

5.

Diejenigen, die den kleinen und gesamtgesellschaftlich betrachtet marginalisierten marxistischen Zirkeln vor dem Hintergrund dieser Klassentwicklung eine prioritäre Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit vorschlagen, ignorieren die Realität.

Es gibt für kleine Zirkel und Organisationen derzeit nicht die Möglichkeit, nur oder schwerpunktmäßig über systematische Betriebsarbeit eine in der breiten Öffentlichkeit der Klasse der Lohnabhängigen erkennbare und wahnehmbare revolutionäre Opposition gegen die Herrschenden aufzubauen.

Selbst die Anwesenheit einiger linker Betriebsräte und Vertrauensleute in einigen Betrieben, garantiert nicht, daß diese Kader dort sein werden, wo in der nächsten Zeit oder in den kommenden Jahren vereinzelt Streikbewegungen entstehen. Hinzu kommt, daß die Gewerkschaftsbürokratien der DGB-Gewerkschaften seit Jahrzehnten an der Zersetzung aller Reste von sozialistischem Klassenbewußtsein arbeiten.

Geblieben ist bei denjenigen Teilen der Klasse, die sozialdemokratisch geprägt wurden, eigentlich nur noch ein vages Gefühl dafür, daß eine eigene Interessenvertretung auf politischer und gewerkschaftlicher Ebene gebraucht wird. Das gilt es natürlich zu erhalten und wieder zu vertiefen. Aber die Möglichkeiten dazu werden durch den eisernen Griff der reformistischen Bürokraten über die Gewerkschaften extrem eingeengt. Letzteres wird dadurch begünstigt, daß die bestehende und um sich greifende Unzufriedenheit noch nicht zu einer solchen Radikalisierung geführt hat, daß die wenigen Revolutionäre in den Betrieben kurz- und mittelfristig damit rechnen könnten, in den Gewerkschaften das Kräfteverhältnis zwischen sich und den Reformisten ändern zu können. Das kann auf absehbare Zeit nur sehr punktuell gelingen.

Weil der Stand der Klassenauseinandersetzungen und der Radikalisierung der Arbeiterklasse so ist wie er ist, mußten Parteiaufbauversuche, wie der des RSB stagnieren.

Dessen Vorläuferorganisation, die Gruppe Internationale Marxisten, beschloß in den siebziger Jahren, ihre "kleinbürgerlichen Studenten" zu verproletarisieren und in die Betriebe zu schicken. Dort warteten sie dann vergeblich auf die so heiß ersehnten Klassenkämpfe. Diese Erwartung und das ganze strategische Konzept waren nicht nur auf einer bei weitem zu optimistischen Prognose der zu erwartenden Klassenkämpfe aufgebaut, sondern ebenso auch auf einer falschen Klassenanalyse, einer gehörigen Portion Arbeitertümelei und revolutionsromantischer Vergangenheits-verklärung sowie einer Art trotzkisierender Variante des Ökono-mismus. Klassenkampf wird dabei mit gewerkschaftlichem Kampf verwechselt und es wird gehofft, diesen durch wirtschaftliche Übergangsforderungen radikalisieren, verallgemeinern und so politisieren zu können.

Diese neosyndikalistische Konzeption wirkt sich über ihren falschen Grundansatz doppelt fatal aus, weil sich Revolutionäre in den Betrieben und Gewerkschaften in einer Situation der Halbillegalität befinden und sich in deren partieller Öffentlichkeit gar nicht ohne weiteres als solche präsentieren können. Eine kleine marxistische Organisation, die sich wesentlich auf Betriebsarbeit beschränkt, erscheint unter diesen Umständen niemals als politische Kraft, die durch ihre Stärke und durch ihr Selbstvertrauen auch anderen Vertrauen einflößen kann, sondern immer nur als marginale Sekte.

Der Klassenkampf ist demgegenüber von Anfang an als ein umfassend politischer Kampf zu führen. Wir folgen dabei der Leninschen Tradition.

6.

Das schließt systematische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit dort, wo die marxistische Organisation Kader in Betrieben hat und nach deren und der Organisation Einschätzung Möglichkeiten für eine sinnvolle Gewerkschaftsarbeit bestehen, nicht aus. Im Gegenteil. Aber das kann weder bedeuten, sich auf Albernheiten einzulassen wie die, Studenten und linke Jungakademiker in gering qualifizierte Beschäftigungen zu nötigen, noch kann es bedeuten, daß die kurzfristige Erringung einer maximalen Anzahl von Betriebsrats- oder Gewerkschaftspositionen zum Gradmesser des Erfolgs revolutionärer Politik kleiner marxistischer Zirkel gemacht wird. Aber dort, wo eine solche Arbeit gemacht wird, heißt es grundsätzlich, sich durch eine konsequente, basisorientierte und demokratisch-transparente Interessenpolitik das Vertrauen der Kollegen zu erringen.

Systematisch und bewußt durch die marxistische Organisation geführt muß diese Arbeit werden, weil die Revolutionäre ihren Kollegen beweisen müssen, daß sie nicht nur für "hehre Ziele" der großen Politik kämpfen, sondern alle Interessen der Arbeiterklasse ernst nehmen, auch die, die nur das Leben im Kapitalismus betreffen.

Dies ist um so wichtiger, als im kriselnden Spätkapitalismus die Reformisten gerade auf diesem Gebiet mehr und mehr versagen. Revolutionäre können dadurch bei ihren Kollegen Anerkennung und Wertschätzung erlangen, ohne schon als politische Führungspersonen unumstritten anerkannt zu sein und ohne daß von einer politischen Verankerung der marxistischen Organisation gesprochen werden kann.

Die politische Verankerung der marxistischen Organisation kann auf diese Weise erfolgreich beschleunigt werden. Wir halten es deshalb für bedenklich, daß in These 4 der Thesen der AGM zu revolutionärer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Betriebsratsarbeit von Revolutionären in der jetzigen Etappe der Klassenkampf-entwicklung eher als Gefahr für den Organisationsaufbau gesehen wird.

Systematische Arbeit kann andererseits nicht bedeuten, daß Betriebsarbeit gewissermaßen unabhängig von Zeit und Raum und ohne Rücksicht auf eine konkrete Analyse (sei sie nun vorhanden oder nicht) zum Schwerpunkt der Organisationsarbeit gemacht wird. Damit würden Strategie und Taktik der revolutionär-marxistischen Organisation von der realen Klassenkampfentwicklung entkoppelt.

Für die jetzt vor uns liegende Etappe des Klassenkampfs gilt demgegenüber:

Der Schlüssel zur politischen Verankerung ist die Anerkennung der revolutionären Organisation als ernsthafter, glaubwürdiger politischer Faktor im gesamten politischen und gesellschaftlichen Leben.

Das bedeutet, daß das Hauptterrain der politischen Arbeit nur die allgemeine politische Öffentlichkeit sein kann und sein muß. Dann werden sich an ihr die radikalisiertesten Elemente der Arbeiterklasse orientieren, hier besonders der Jugend und die von der Offensive des Kapitals besonders Betroffenen. Dies ist der Weg, um die politisiertesten und radikalisiertesten Elemente der Arbeiterklasse und speziell auch der Jugend anzusprechen.

Für Veranstaltungen, Demonstrationen können dafür im betrieblichen und gewerkschaftlichen Bereich ansprechbare Kollegen gezielt geworben und mobilisiert werden. Dies wird dort am erfolgreichsten sein, wo Marxisten durch gewerkschaftliche Arbeit Vertrauen gewonnen haben.

Selbst der kleinste marxistische Zirkel muß deshalb alles daran setzen, prioritär "kampagnenfähig" zu werden, die politische Auseinandersetzung mit anderen Strömungen suchen, Hintergründe beleuchten und zeigen, daß er das Potential hat, wichtige Beiträge zur Entwicklung von Bewegungen und Kämpfen zu leisten. In diesem Sinne muß Propaganda praxis- und bewegungsorientiert sein.

Allgemeine historische und theoretische Propaganda, wie sie von der AGM betrieben wird, genügt nicht, wenn man die Aktivisten der verschiedenen Bewegungen von der Notwendigkeit einer marxistischen Organisierung überzeugen will. Hier müssen wir offen bekennen, daß uns trotz der größtenteils guten und sehr Qualität der AGM-Propaganda deren Inhalte nicht ausreichend auf aktuelle Klassenkampfentwicklungen bezogen zu sein scheinen.

7.

Die Bestimmung des Stellenwertes der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit durch die österreichischen Arbeitsgruppe Marxismus, die sie im Jahre 2004 in ihren diesbezüglichen Thesen vorgenommen hat, erscheint uns in mehrfacher Hinsicht unrichtig:

Erstens ist sie nicht abgeleitet aus einer nachvollziehbaren Analyse der Situation der objektiven Lage der Arbeiterklasse, sondern epochenbestimmt, doktrinär und normativ aus der Bestimmung der Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt der künftigen sozialistischen Umwälzung ("...das einzig mögliche Subjekt zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates. Deshalb ist die Verankerung in dieser Klasse ... ein zentrales Ziel für jede revolutionäre Organisation"). Die Bestimmung eines strategischen Zieles besagt jedoch nichts darüber aus, auf welchem Weg und mit welchen Taktiken dieses Ziel erreicht werden kann.

Das Bekenntnis zur Betriebsarbeit ergänzt die AGM durch die (falsche)These, daß das Zwischenziel der Revolutionierung der Gewerkschaften "in der Luft hängen bleiben" muß, solange es sich nicht auf einen "zumindest relevanten politischen Einfluß in Betrieben" stützt - die AGM verkennt, daß eine anlaßorientierte Propaganda für Übergangsforderungen auch ohne eigenen betrieblichen Masseneinfluß möglich und notwendig ist, selbst im kleinsten Umfeld und in Publikationen sowieso. Selbstverständlich sind zudem ad-hoc-Bündnisse mit linkeren Reformisten, die helfen, Forderungen zu popularisieren, immer möglich und notwendig. Gewerkschaftsarbeit ist daher überall dort, wo es noch Strukturen gibt, in denen aktive Basisgewerkschafter zusammenkommen, unabdingbar.

Wir halten es für sehr bedenklich, wenn eine kontinuierliche Intervention mit Hinweis auf das schlechte Kräfteverhältnis zwischen Reformisten, Bürokraten und Revolutionären in Frage gestellt wird. Das wird aller Voraussicht nach noch ein sehr sehr langandauernder Zustand bleiben.

Das Problem der Isolation der AGM von den Resten des traditionellen Arbeitermilieus und der traditionellen Arbeiterbewegung (das wir wie die meisten marxistischen Zirkel als Problem teilen), läßt sich nicht damit lösen, daß abstrakt darüber spekuliert wird, ob "die politische Stimmung" in einer Belegschaft revolutionäre Propaganda möglich macht. Dies hat "vor Ort", von den beteiligten Mitgliedern entschieden zu werden und diese haben dort Propaganda zu machen, wo dies ohne Gefährdung ihrer sozialen und beruflichen Existenz möglich ist.

Daß Gewerkschaftsarbeit und Betriebsarbeit in These 4 in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Etappen projektiert und damit einander entgegengesetzt wird, halten wir für nicht begründbar.

Zweitens findet die subjektive Verfassung der Arbeiterklasse (die für kleine marxistische Gruppen auch ein objektiver Faktor ist und auf einige Zeit bkleiben dürfte), nur in Gestalt einer Einschätzung des sozialdemokratischen Reformismus Berücksichtigung, bleibt aber dem Schein der Oberfläche verhaftet. Diskutiert wird lediglich die Arbeit im traditionellen Industriearbeiter- und Gewerkschaftsmilieu. Übersehen wird, daß dieses Milieu zwar auf gewerkschaftlicher Ebene in aller Regel über ein deutlich besseres elementares Klassenbewußtsein verfügt, aber in politischer Hinsicht zum Teil sogar viel rückständiger ist, als Teile der neu verproletarisierte Sektoren der Arbeiterklasse in den sogenannten neuen sozialen Bewegungen.

Drittens ist bezeichnend, daß in These 5 der AGM bei der Erörterung der Betriebsarbeit im jetzigen Stadium davon ausgegangen wird, daß die Organisation beansprucht, über den Aufbau einer innerbetrieblichen Verankerung und sogar über die Auswahl des Betriebes zu entscheiden, in dem diese Arbeit gemacht wird. Damit verortet sich die AGM tendentiellals Fremdkörper in der Arbeiterklasse: Wenn die Mitglieder einer marxistischen Organisation betriebliche und/oder Gewerkschaftsarbeit machen, arbeiten sie für ihre ureigensten proletarischen Klasseninteressen. Eine Organisation, die sie daran hindert, stellt sich gegen das proletarische Klasseninteresse. Das gilt im Großen und Ganzen ebenfalls für die Arbeitsplatzsuche. Auch hier hat das Eigeninteresse des Mitglieds vorzugehen und von seiner Organisation respektiert zu werden.

Bezüglich des WIE dieser Arbeit setzen wir voraus, daß jeder Revolutionär ohnehin selbst Wert legt auf die kollektive Organisierung seiner Arbeit. Hier ist natürlich die Organisation gefordert. Deren Möglichkeiten hängen wiederum von ihrer numerischen Stärke ab.