Israel - ein Kolonialsiedlerstaat in der Sackgasse

Unter dieser Überschrift veranstaltete das Sozialforum Königs Wusterhausen, unterstützt durch das Kollektiv des Alternativen Projektraums KW sowie die Betreiber des Linken KW-Newsletters am 28.05.10 in der Kantine Erich-Kästner-Straße 12 einen Vortrags- und Diskussionsabend. Veranstalter und Unterstützer verstehen die Veranstaltung als Beitrag zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Der jüngste Akte israelischen Staatsterrorismus - in der Nacht vom 30. zum 31.05.10 überfiel die israelische Armee im Mittelmeer außerhalb israelischer Hoheitsgewässer einen internationalen Schiffskonvoi mit Solidaritätsgütern, tötete 16 Personen, darunter führende israelisch- palästinensische Politiker und verletzte eine noch unbekannte Zahl schwer - unterstreicht die Bedeutung dieses Anliegens. Der Beitrag gibt den Einleitungsvortrag von Dieter Elken (Marxistische Initiative), Autor mehrerer Publikationen zu diesem Thema in gekürzter Form wieder.

Existenz und Politik Israels werden hierzulande gern mit dem Völkermord des deutschen Faschismus an den europäischen Juden begründet und legitimiert. Das Projekt eines jüdischen Kolonialsiedlerstaates entstand jedoch bereits 50 Jahre früher. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in Russland, bedingt durch die Gesellschaftskrise beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus, vermehrt zu antisemitischen Ausschreitungen. In deren Folge wanderten verarmte Juden in großer Zahl nach Mittel- und Westeuropa aus. Hiergegen wandten sich die Mittelklassen in den Aufnahmeländern, deren Situation sich durch die zunehmende jüdische Konkurrenz verschärfte. Jüdische Geldmagnaten wie die Barone Rothschild (Paris) und Hersch (Berlin), die ein Anwachsen des Antisemitismus in ihren Heimatländern befürchteten, gründeten Gesellschaften zum Ankauf von Land in Palästina, um die Auswanderungswelle dorthin zu leiten. Parallel dazu entwickelte sich die Idee des Zionismus, die Forderung nach einem exklusiven Staat der Juden. Dieser sollte nicht unbedingt, aber doch vorzugsweise in Palästina entstehen und dort als Großisrael (Erez Israel) das gesamte Territorium des historischen Palästina umfassen. Zu diesem Zweck führte Theodor Herzl, der damalige Kopf der zionistischen Bewegung, die Siedlergesellschaften 1899 im “Jewish Colonial Trust” zusammen. Die jüdische Kolonialisierung Palästinas hatte — weit vor dem Holocaust — begonnen.

Die jüdische Kolonialisierung Palästinas beinhaltete von Anbeginn die Verdrängung und Vertreibung der palästinensischen Araber. Herzl 1895 in seinem Tagebuch: “Den Privatbesitz der angewiesenen Ländereien müssen wir sachte enteignen. Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihnen in den Durchgangsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Land jederlei Arbeit verweigern. Die besitzende Klasse wird zu uns übergehen. … Die Immobilienbesitzer sollen glauben, uns zu prellen … Aber zurückverkauft wird ihnen nichts.” Noch deutlicher wurde Jabotinsky, Führer der zionistischen Rechten, der 1923 in einem Artikel zur Absicherung der jüdischen Positionen eine eiserne Wand forderte, die von der einheimischen Bevölkerung nicht durchbrochen werden kann. Diese Leitsätze waren und sind bis heute Maßstab zionistisch-israelischer Politik. Bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts traten zionistische Organisationen mit Aufrufen wie “Kauft nicht beim Araber!” hervor. Noch vor der Gründung des Staates Israel am 14.05.1948 begann die erste große ethnische Säuberung, die bis 1949 andauerte. Die Mehrheit der Palästinenser, mehr als 700.000, wurde vertrieben. Über 500 arabische Städte und Dörfer wurden zerstört. Inzwischen sind aus jener Zeit 24 Massaker der jüdischen Armee (Haganah) und diverser zionistischer Terrorgruppen an der palästinensischen Bevölkerung bekannt.

Danach verblieben noch rund 160.000 Araber als Bürger zweiter Klasse in Israel. Sie erhielten besondere Ausweise mit dem Vermerk “B” und wurden zunächst der Militärverwaltung unterstellt. Freizügigkeit wurde ihnen nicht gewährt. Für einen Ortswechsel benötigten sie Passierscheine. Arbeit durfte nur am Wohnort gesucht werden, mit der Folge einer hohen Arbeitslosigkeit. Araber konnten jederzeit unter Polizeiaufsicht gestellt oder in Administrativhaft genommen, ihr Vermögen konnte beschlagnahmt werden. Auch heute noch ist es möglich, ihnen bei einem “Treuebruch gegenüber dem Staat Israel” die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Ihre Enteignung geht weiter. In den 90er Jahren waren 93% des Bodens jüdische-israelisches Eigentum gegenüber 6,6% vor der Staatsgründung. Ziel dieser Politik ist die “Judaisierung” (ein in Israel amtlich verwendeter Ausdruck) der verbliebenen arabisch besiedelten Gebiete, also die Etablierung einer jüdischen Mehrheit möglichst in jeder Gemeine. Arabische Israelis genießen auch heute noch nicht die gleichen Rechte wie ihre jüdischen Mitbürger. 1998 existierten 20 Gesetze, die die arabischen Israelis diskriminieren, 17 davon offen. Die vertriebenen Palästinenser haben kein Rückkehrrecht und kein Recht auf Familienzusammenführung. Zahlreiche arabische Dörfer werden vom Staat nicht anerkannt, die Versorgung mit Strom und Wasser wird ihnen verweigert. Arabische Gemeinden sind finanziell unterversorgt, die pro-Kopf-Zuweisungen des Staates sind für jüdische Gemeinden siebenmal höher als für arabische. Ihnen wird die Ausweisung von Bauland unmöglich gemacht, seit 1948 ist keine neue arabische Wohnsiedlung entstanden. In den meisten Gebieten Israels dürfen arabische Israelis überhaupt kein Land erwerben. Die Arbeitslosenrate beträgt unter Juden 9,5%, unter Arabern 14,5%. Jüdische Arbeiter verdienen 33,5% mehr als arabische. Jedes dritte Kind in Israel ist palästinensisch-arabischer Nationalität, dennoch werden für arabische Schulen nur 7% des Bildungsbudgets ausgegeben. Der Import arabischer Bücher nach Israel wird durch eine Zensurbehörde eingeschränkt. Die meisten Moscheen, arabischen Friedhöfe und sonstigen arabischen Heiligtümer und Kulturstätten wurden entweder zerstört, abgesperrt oder zweckentfremdet und entweiht. Damit ist die Politik Israels gegenüber seinen arabischen Bürgern bis heute offen rassistisch, Noch stärker diskriminiert wird die arabische Bevölkerung in den 1967 besetzten Gebieten Gazastreifen und Westjordanland. Der langjährige südafrikanische Anti-Apartheidsaktivist vom ANC und Exminister Ronnie Kasrils hält die Lage dort für schlimmer als unter dem südafrikanischen Apartheidsregime.

Kann die Zweistaatenlösung, also das Nebeneinanderbestehen eines jüdische- israelischen und eines arabisch- palästinensischen Staates Frieden schaffen? Ihr Zustandekommen ist extrem unwahrscheinlich. Maßgebliche Kräfte der israelischen Führungselite haben das zionistische Projekt Großisrael zu keiner Zeit aufgegeben und diskutieren in diesem Zusammenhang sogar eine “Transferlösung”, also die Vertreibung der Palästinenser aus den besetzten Gebieten. Dieses Großisrael schließt den Gazastreifen und das Westjordanland ein. Nur dort könnte aber ein palästinensischer Staat entstehen. Die israelischen Siedler im Westjordanland würden sich einer Aufgabe ihrer Siedlungen und der damit verbundenen nicht unerheblichen Privilegien vermutlich mit allen Mitteln, bis hin zum Bürgerkrieg, widersetzen. Die Palästinenser schließlich könnten eine Vereinbarung nur schwer akzeptieren, die ein Rückkehrrecht der 1948 Vertriebenen ausschließt und entweder beinhaltet, dass die jetzt noch in Israel lebenden Araber ihre Heimat zu verlassen haben oder dort weiter Bürger zweiter Klasse bleiben. Eine wirkliche Lösung des israelisch- palästinensischen Konflikts ist nach alledem nur im Rahmen eines gemeinsamen, demokratischen und säkularen Staates aller in den Grenzen des historischen Palästina lebenden Menschen möglich, der seinen Bürgern gleiche politische und soziale Rechte garantiert und den vertriebenen Palästinensern die Rückkehr ermöglicht. Dies erfordert allerdings eine egalitäre, demokratische Revolution in Israel. Hierzu fehlt es der israelischen Gesellschaft heute jedoch an einer Kraft und der arabischen Minderheit in Israel an sozialem Gewicht. Hier anzusetzen, gehört zu den Aufgaben der internationalen Arbeiterbewegung.

Die zentrale Lehre aus dem Holocaust besteht nicht darin, die Existenz Israels als eines aggressiven, rassistischen Kolonialsiedlerstaates kritiklos zu unterstützen. Sie bedeutet vielmehr, sich dem Kampf gegen jede Form der politischen und sozialen Unterdrückung und gegen die Vertreibung und Vernichtung von Völkern zu widmen.

Kollektiv des Alternativen Projektraums Königs Wusterhausen