43 Jahre Kampf gegen den Flughafen Narita / Japan

Widerstandsbauer Shito in Sanrizuka

Der Kampf um den Flughafen Narita ist bereits Teil der japanischen Zeitgeschichte, aber er dauert an. Die Sanrizuka-Shibayama Union to Oppose the Airport (三里塚・芝山連合空港反対同盟 Sanrizuka-Shibayama Rengo Kuko Hantai Domei) , kurz Oppositionsliga gegen den Flughafen, leistet bis zum heutigen Tag Widerstand.

Der Kampf um Narita begann 1966.

Das Vorgehen der Staatsmacht dabei war außergewöhnlich rücksichtslos. Die Bauern der betroffenen Region waren sehr verärgert.

Sofort* begannen unter Beteiligung verschiedener Fraktionen des japanischen Studentenverbandes Zengakuren und der Neuen Linken die Kämpfe gegen die Vorbereitungsarbeiten zum Bau, die teilweise mal an Begegnungskriege, mal an Stellungskriege erinnerten.

Die Oppositionsbauern fanden Bündnispartner in weiten Teilen der Bevölkerung des Umlandes, so z.B. die Unterstützung der lokalen Lokomotivführer-Gewerkschaft (Doro-Chiba, siehe Querverweis), die vom Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahren wellenweise den Treibstofftransport zum Flughafen bestreikte oder durch "Dienst nach Vorschrift" behinderte.

Der Widerhall der Oppositionsbewegung in der Bevölkerung gegen den Flughafen war sehr groß. Auf der anderen Seite war (ist) die Staatsmacht sehr einseitig, repressiv und brutal. So kam es in der Folgezeit zu beispiellosen harten Auseinandersetzungen im japanischen Klassenkampf.

* Die erste Kundgebung vor Ort fand am 30. November 1967 statt, an der auch SPJ und KPJ teilnahmen.

Aussichtsturm auf dem Hof des Bauern Shito

Hintergründe und Fakten

Das deutsche Wikipedia schreibt dazu:

Der Bau begann 1971, stiess jedoch aufgrund von in Japan unüblichen Landenteignungen auf heftigsten Widerstand der Bevölkerung bei dem sogar Todesopfer zu beklagen waren. So konnte der Flughafen erst 1978 mit nur einer Start-/Landebahn eröffnet werden. Erst 2002 (nachdem die Entscheidung dafur schon 1986 getroffen wurde) konnte eine zweite Bahn in Betrieb genommen werden, auf der jedoch noch keine Jumbo Jets landen dürfen. Diese Bahn konnte allerdings nur teilweise geöffnet werden, da man diesmal auf Landenteignungen verzichtete und ein lokaler Geflügelzüchter sich weigert, die Farm, die auf dem Gebiet der neuen Bahn liegt, zu verlassen.

1966 wurde von der Regierung der Plan ausgearbeitet, 3 Flugbahnen in Narita zu bauen. Dieser Gesamtplan aber scheiterte, insgesamt betrachtet, bis heute. Fertiggestellt wurde lediglich 1978 Flugbahn 1 mit 4000 m Länge und Flugbahn 2 seit 2002 mit 2200 m Länge. Flugbahn 2 soll nun um 300 m nach Süden verlängert werden.

Widerstandstransparent

Es gibt aber noch zahlreiche Grundstücke, Stützpunkte der Oppositionsbauern und ihrer Unterstützer entlang der Startbahn 2. Im Umland gibt es zudem außer den Oppositionsbauern in der engeren Umgebung zahlreiche "normale Leute", die gegen den Flughafen und seinen Ausbau sind, speziell auch in der Kleinstadt Narita.

Am 5.11.2009 besuchten Mitarbeiter der Linken Zeitung im Zuge ihrer Japanreise auch das Gebiet um den Flughafen Narita. Sie befanden sich ca. 5 km vom Flughafen entfernt. Innerhalb 3 km Umkreis des Flughafens ist es per Gesetz verboten zu wohnen. Es gibt allerdings noch "freies" Gelände auch innerhalb dieses Bannkreises, vor allem bewirtschaftetes Ackerland im Besitz von oppositionellen Bauern.

Die Oppositionsbauern der Gegend um Sanrizuka haben nach wie vor eine große Bedeutung. Die Bauern leben dort in ihren Häusern, die Landstrassen sind teilweise von hohen Mauern umgeben.

Alter Bauernweg mitten im Flughafen

Innerhalb des geplanten Flughafen-Gesamtgelandes befinden sich sozusagen noch "freie" Territorien, Gelände, die von den Oppositionellen nach wie vor landwirtschaftlich bewirtschaftet werden. Dazu gehört u.a. auch der Bauernhof des Bauern Shito. Als Kuriositat gibt es auch einen alten Bauernweg, der von Gräben, Starkstromzäunen und Stacheldraht umgeben mitten auf das Flugplatzgelände führt und dort einfach endet. Es ist der Staatsmacht bislang nicht gelungen, alle Widerstandsbauern zur Aufgabe zu zwingen. Der Hof des Bauern Shito ist so gelegen, daß startende Flugzeuge auf Flugbahn 2 einen Bogen um das Gehöft machen müssen.

Von den politischen Organisationen, die den Kampf der Sanrizuka-Widerstandsbauern unterstützen, ist die JRCL (chukakuha=Zentralkern-Fraktion) die stärkste, und sie stärkt auch der militantesten Fraktion der Oppositionsliga, der Kitahara-Fraktion, den Rücken (es gibt zwei weitere andere politische Gruppierungen, die - bei ungebrochener Opposition gegen den Flughafen - für nicht oder weniger militante Widerstandsformen eintreten). Insgesamt handelt es sich noch um mehrere dutzend Bauernfamilien im Umland, die konsequent gegen den Flughafen kämpften.

Mitarbeiter der Linken Zeitung besuchten auch einen Stützpunkt der JRCL (chukakuha) in der Nähe des Flughafens (ca. 5 km entfernt). Das JRCL-Gebäude wurde nach Aussagen unserer Begleiter erst 1991 von ihnen selbst erbaut und stellt in seiner eigentümlichen Konstruktion einen ziemlich stabilen Bau dar.

Stützpunkt der JRCL

Nach einer Rundfahrt mit Aktivisten der Bewegung hatten die Mitarbeiter der Linken Zeitung Gelegenheit, mit langjährigen Aktivisten der Bewegung gegen Narita zu sprechen. Rundfahrt und Teile der Interviews sind in Fotos und Flimclips auf folgenden Youtube-Videos wiedergegeben:


Interview mit JRCL-Aktivisten, die unmittelbar vor Ort die Bauern der Oppositionsliga gegen den Flughafen Narita unterstützen

Der Kampf gegen den Flughafen Narita in den 70er Jahren hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Wir wissen aus verschiedenen Quellen, dass es sich um eine sehr breite Bewegung handelte. Unsere Leser werden sich aber für verschiedene Details interessieren, zumal es auch in Deutschland schon breite Bewegungen z.B. gegen verschiedene Atomkraftwerke, gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens usw.

Kouji KITAHARA: Geschäftsführer der Oppositions-Liga

Was waren die konkreten Gründe für den Widerstand gegen Narita?

Im Anfangstadium unterstützten breite Schichten den Kampf gegen den Flughafen Narita, auch die damaligen Parteien KPJ und SPJ. Die Bauern der Region um die Stadt Narita, wo der Flughafen erbaut wurde, wählten die revolutionär-kommunistische Bewegung als Kampfgefährten, als treibende Kraft des Kampfes.

Der Kampf gegen den Flughafen Narita hat eine Vorgeschichte. In den 50er und 60er Jahren erfolgte eine Erweiterung Militaerflughafens in Tokio Sunagawa. Damals gab es bereits dagegen eine Volksbewegung und einen Kampf. Zengakuren und die revolutionär-kommunistische Bewegung kämpften auch schon gegen den Flughafen Sunagawa und genossen von daher ein großes Prestige. Die Bauern von Sunagawa sagten den Bauern um das Dorf Sanrizuka: Diese Leute (Zengakuren und revolutionare Kommunisten), das sind vertrauenswürdige Leute, mit ihnen an eurer Seite könnt ihr kämpfen.

Anfänglich wollten die Bauern von Sanrizuka nur ihr Land verteidigen. Es ging um die Verteidigung ihres Ackerlandes "bis zum letzten Blutstropfen". Daraus entwickelte sich ein gewaltsamer Massenkampf, in dem die Bauern von Sanrizuka breite Unterstützung aus ganz Japan bekamen. Es entwickelte sich ein Massenkampf mit gewaltsamem Charakter.

Die Staatsmacht wollte damals ohne Gespräche mit den Bauern der Region den Großflughafen durchsetzen. Dies wurde sehr plötzlich, von oben, entschieden. Verhandlungen mit den Bauern wurden gar nicht geführt, sie wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.

Susumu HAGIWARA: Vize-Geschäftsführer der Oppositions-Liga

Die Staatsmacht behauptete, der Flughafen sei nützlich für alle Menschen und nur für friedliche Zwecke bestimmt. Aber die Anwohner der Region begannen schon sehr früh, die militärische Bedeutung des Flughafens Narita zu sehen und zu begreifen.

Wenn in Ostasien ein Krieg ausbricht, dann ist Narita ein Stützpunkt der US-Armee. 1966 war der Höhepunkt des Vietnamkrieges (der zum erheblichen Teil von Japan aus koordiniert wurde).

Damals gab es schon den Großflughafen Haneda. Bauern aus den betroffenen Regionen besuchten damals Haneda und sahen natürlich mit eigenen Augen die vielen Militärflugzeuge (Bomber, Transportflugzeuge) dort. Dem Gerede von der friedfertigen Funktion eines solchen Großflughafens wurde kein Glauben mehr geschenkt.

Normalerweise benutzen Staatsgewalt und Flughafenbetreibergesellschaft Geld und Gewalt, um an das Ackerland der Bauern zu kommen. Die Bauern aber wiesen schließlich alle Gesprächsangebote zurück. Das war wichtig fur die Kontinuität des Kampfes.

Nach Rückfragen unsererseits nach der konkreten Argumentation gegen Narita: Sind die Oppositionsliga und ihre Unterstützer grundsätzlich gegen Flughafen usw?

Panzergraben gegen die Flughafengegner

Allgemein betrachtet gibt es sicherlich die Notwendigkeit von Flughafen, unstreitig. Aber Japan hat schon den Internationalen Flughaven von Haneda in Tokio. Die Passagierzahlen des Flugverkehrs verringern sich kontinuierlich. Trotzdem werden die Flughäfen immer weiter ausgebaut und neugebaut für das Großkapital und für das Überleben des Großkapitals. So etwas ist überhaupt nicht nötig.

Hinzu kommt, dass es über Japan Luftraum gibt, der nur von US-Militärflugzeugen benutzt werden darf. Der Standort Narita wurde ausgewählt auch wegen zahlreichen Problemen der exklusiven US-Militärluftstrassen.

Gibt es oder gab es Kontakte der Oppositionsbewegung gegen den Flughafen ins Ausland?

1982 waren mehrere Leute aus Deutschland (speziell der Umgebung von Frankfurt am Main) und Franzosen zu Besuch bei uns, um sich über den Kampf der Sanrizuka-Bauern zu informieren.

Welche Sektoren beteiligten sich am Kampf gegen Narita?

Gemeinschaftsleben im politischen Kampf

In den 70er haben alle Organisationen der japanischen Neuen Linken teil, nur die Gruppe Kakumaru nicht. Auch die KPJ und die SPJ unterstützten anfangs die Bewegung, zogen sich aber später zurück.

Aber wir von der JRCL und verschiedene Fraktionen von Zengakuren, auch maoistische Gruppen, kurzum die gesamte Neue Linke, alle diese Gruppen nahmen teil - ausgenommen Kakumaru, die den Sanrizuka-Kampf für "kleinbürgerlich" erklärte und behauptete, er hätte mit dem Klassenkampf nichts zu tun. Diese Gruppe trat sogar in verschiedener Weise dem Kampf in den Weg.

Wie entwickelte sich in groben Zügen der Widerstand gegen Narita weiter?

Am 8.3.1983 gab es eine große Spaltung in der Oppositionsliga. Die Kitahara-Fraktion der Bewegung wollte den militanten Kampf fortsetzen, die anderen Strömungen wollen in die opportunistische Richtung gehen und schließlich den Kampf aufgeben.

Kouji KITAHARA

Die Kitahara-Fraktion kämpft weiter bis heute. Die japanische Sektion des Vereinigten Sekretariats der 4.Internationale beispielsweise gehörte einer anderen Fraktion der Bewegung an. Die Strömung von Kitahara wird heute unter anderem unterstützt von

  • Der JRCL (chukakuha), also uns
  • Der Liga der sozialistischen Jugend(kaihouha=Emanzipations-Fraktion) (ehemalige Jugendorganisation der aufgelösten SPJ)
  • Den "Rothelm"-Gruppierungen, einem Überbleibsel von Zengakuren aus den 60er Jahren

Wie ist der heutige Stand der Bewegung?

Die Spaltung vom 8.3.1983 hatte eine große Bedeutung auch fur die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Sie war ein Prüfstein, mit dem jede politische Organisation und jede Gewerkschaft konfrontiert war. Die meisten nicht konsequenten Fraktionen der Bewegung lösten sich langsam auf. Die Kitahara-Richtung der Oppositionsliga aber setzt den Kampf fort bis auf den heutigen Tag und wird ihn auch weiter fortsetzen.

ehemaliger Stützpunkt der Oppositionsliga

Was sind die konkreten Forderungen der Narita - Bewegung heute?

Die Forderungen der Bewegung gegen den Narita - Flughafen sind klar:

  • Abschaffung des Narita Flughafens!
  • Verteidigung des Ackerlandes von Bauer Shito und der anderen Oppositionsbauern!
  • Gegen alle Gerichtsverfahren gegen Flughafengegner!
  • Sieg des Sanrizuka-Kampfes in der Vereinigung (Danketsu) von Arbeitern, Bauern und Studenten!

Haben Sie eine Botschaft an unsere Leser?

Wir wünschen uns, dass die deutschen Leser den Sanrizuka-Kampf kennenlernen. Die Existenz dieser 43 Jahre andauernden Widerstandsbewegung der kämpfenden Bauern von Sanrizuka muß weltweit verbreitet werden. Diese Bewegung hat kontinuierlich gegen die repressive Staatsmacht gekämpft und ihr standgehalten.

Wir wünschen uns internationale Solidarität mit allen Arbeitern und Bauern weltweit, die auch gegen den Neoliberalismus und imperialistische Kriegsgefahr kämpfen.

Der "Asterix" von Sanrizuka, Bauer Shito

Wenn es die Möglichkeit dazu gibt, wünschen wir uns Kontakte und auch konkrete Treffen mit europäischen Bauern im Widerstand. Wenn es Gelegenheit dazu gibt, wäre es wunderbar, wenn wir uns mit europäischen Bauern unterhalten könnten.

FTA und EPA und die damit einher gehende Liberalisierung des Handels bedeutet für die japanischen Bauern die Vernichtung ihrer Existenz. Dadurch will das japanische Kapital auf Kosten der Bauern überleben.

Zwischenfrage: Wie ist Situation der japanischen Bauern?

Das Ackerland der japanischen Bauern ist ziemlich klein, verglichen mit Deutschland, Europa oder den USA. In Frankreich hat ein Bauer durchschnittlich 50mal mehr Ackerland, in den USA 200mal mehr Ackerland als in Japan. Es gibt keinen Nachwuchs für die Bauern, die Söhne und Töchter verlassen das Land, um in der Stadt Arbeit zu finden. Die japanischen Bauern sind durchweg Teilerwerbsbauern.

(Eine Rückfrage ergab, dass es tatsächlich fast keine Vollerwerbslandwirte gibt).

Wir sprachen mit Uotsu, Ohta.

Cross references: