Angriff von Rechts -
der PDS-Krimi in hundertzweiundzwanzigster(?) Folge

Die Aufregung in Deutschlands linkester Parlamentspartei ist mal wieder
groß. Aber ist sie auch berechtigt ? Und wird sie diesmal zu irgend etwas führen, außer zu aufgeregten Leserbriefen und individuellen Austrittsdrohungen ?

Seit Jahren dominiert eine kleine Gruppe von Leuten, die auf „klassischen“ sozialdemokratischen Positionen stehen oder zu ihnen hinwollen, die veröffentlichte Meinung in der PDS. Als ihr Vorreiter gilt gemeinhin Andre´ Brie. Das wäre an sich belanglos, wenn nicht diese Leute über den Parteivorstand direkt und indirekt den gesamten Apparat der Partei und damit auch die Mehrzahl der Abgeordneten beeinflussen würden. Und dies ist beileibe keine Einbahnstraße, denn Apparat und Abgeordnete aller Ebenen sind selbst stark daran interessiert, im Geschäft zu bleiben, d.h. ihre materiellen Pfründe zu behalten oder auf
brieanisch „anzukommen in der Bundesrepublik“. Wer auf diesen
Interessenzusammenhang hinweist wird von Gregor Gysi seit Jahr und Tag beschimpft, andere in der Partei „zu denunzieren“. Nun ist es die unangenehme Eigenschaft der Linken seit Lenins Zeiten, den objektiven Prozeß der Verbürgerlichung in sozialistischen Parteien als solchen zu „denunzieren“ und auf seine sozialen Wurzeln hinzuweisen.

Daß etwas dran sein muß am Vorwurf  der „Verbürgerlichung“, beweist nicht nur die heftige moralische Empörung der Gysi-Brie-Pau-Bartsch-Zimmer-Gruppe, sondern auch die Form, wie die rechten Angriffe auf die „sozialistische Identität“ der PDS vorgetragen werden. Denn es wird selten offen gesagt, das man den sozialdemokratischen Platz einnehmen möchte, den die SPD mit ihrer „Politik der Mitte“ freigemacht hat, nein die Verschiebung von programmatischen Positionen und praktischer Politik nach rechts erfolgt nur Schritt für Schritt.

Es gibt fast schon so etwas wie ein Ritual: als erstes gibt es ein Papier
aus dem Hause Klein-Doppelbrie, das irgendein populärer Parteipromi bei irgendeinem Anlaß (aber natürlich nicht vor einem abstimmungsberechtigten Gremium, etwa einem Parteitag) vorträgt -  auf den voraussehbaren Sturm der Entrüstung von der Basis (vorzugsweise mit Leserbriefen, die vor allem in „junge Welt“ abgedruckt werden) und den eher zahmen Protestnoten der offiziell als Opposition anerkannten Gruppen (Kommunistische Plattform, Marxistische Forum) folgt ein halbes Dementi, das aber ein paar Tage später durch eine noch frecheres Interview eines der Autoren in einer großbürgerlichen Zeitung selbst wieder dementiert wird. Daraufhin verschwindet das unter Beschuß geratene Papier in der Versenkung, um einige Monate später unter verändertem Titel und in leicht veränderter Form, eine glorreiche Wiederauferstehung zu feiern. So ist es in den letzten Jahren gelungen, die PDS langsam, aber deutlich nach rechts zu drücken.

Daß die intellektuell und wissenschaftlich eher dürftigen Elaborate aus dem Hause Klein-Doppelbrie in schöner Regelmäßigkeit in der Versenkung verschwinden, zeigt daß die Kräfteverhältnisse in der PDS in den letzten Jahren grundlegend gleich geblieben sind. Die Pole dieses Verhältnisses werden nicht durch die Parteilinke auf der einen Seite und die nach rechts driftende Führung auf der anderen Seite bestimmt, sondern durch den Gegensatz zwischen der Führungsschicht der PDS und der Parteibasis. Denn diese Führungsschicht will nicht nur ihre materiellen Privilegien erhalten, sondern sich auch als Bündnispartner von SPD und Grünen empfehlen und endlich Verantwortung in und für dieses System übernehmen.

Der Preis der Machtbeteiligung im Kapitalismus ist u.a. der Abschied vom Projekt Sozialismus, die unterschiedslose Distanzierung von der DDR und die Bereitschaft zur Führung von NATO-Kriegen. Dem steht die PDS-Basis immer noch im Wege, denn sie beharrt trotzigerweise immer noch auf der mehr oder weniger fundamentalistischen Ablehnung des Kapitalismus und der Schärfung eines oppositionellen Profils der Partei, einschließlich des außerparlamentarischen Kampfes.

Die SPD fordert deshalb von der PDS-Führung zumindest den Nachweis, das sie ihre Basis im Griff hat. Daher das heftige Aufjaulen von Gregor & Co. auf dem Münsteraner Parteitag. Denn es gelang nicht nur kein Nachweis der Allmacht des Apparates über die aufmüpfigen Mitglieder, sondern die Niederlage ausgerechnet in der Kriegsfrage, war der beste Beweis dafür, das die PDS noch nicht „regierungsfähig“ ist.
In guter alter SED-Manier wurde nun versucht, diesen Riß auf dem Cottbusser Parteitag durch eine verbesserte „Regie“ zu kitten. Wer aber Konflikte bürokratisch überspielen will, wird immer auf ´s Neue von den realen Widersprüchen eingeholt. Der neuen Führung fiel nicht Dümmeres ein, als nach der gelungenen Kontrolle der Delegiertenwahl und dem folglich harmonischen Parteitag das Tempo der Rechtsentwicklung zu verschärfen, gewissermaßen als Versuch, sich selbst zu überholen.

Die Entschuldigungsadresse an die SPD und eine in Geheimkonferenzen an der gewählten Programmkommission vorbei entstandener Programmentwurf aus den bekannten Federn haben nun wiedereinmal zu Protesten an der Basis geführt, in Berliner Wohngebietsorganisationen bis zur Androhung von Massenaustritten. Schon wenige Tage danach rudert die Parteiführung (unter Hilfestellung von „Neues Deutschland“) verbal zurück. Hier offenbart sich das strategische Dilemma der PDS-Führung: obwohl sie den Apparat unter Kontrolle hat, obwohl sie bei Bedarf in der Lage ist, Parteitage zu manipulieren, obwohl sie der innerparteilichen Opposition alle materiellen Ressourcen vorenthält,  muß sie ihrer Basis Konzessionen machen. Denn nur wenn es ihr gelingt, alle Flügel und Strömungen
in der Partei zu halten, kann sie ihr parlamentarisches Überleben auf
Bundesebene (5%-Hürde) sichern. Ohne Bundestagsmandat hat sie auch als Regionalpartei im Osten längerfristig keine Chance. Dies ist übrigens auch der Grund, weshalb aus dem Hause Klein-Doppelbrie immer nur schwammige Phrasen mit pseudo-marxistischer Tünche geliefert werden. Denn ein solcher Wahlkampfverein des taktischen Kompromisses braucht nur ein Programm „für alle und keinen“. Jeder
soll aus dem Programm das herauslesen können, was er sich wünscht, ohne daß die Parteiführung auf irgend etwas festgelegt wird.

Dieser wahlstrategische „Sachzwang“ ist auch der Grund, weshalb die
PDS-Führung die oppositionellen Gruppierungen in der Partei geduldet hat. Ungeduldig wird sie, wenn Klartext gesprochen wird, ungeduldig wird sie, wenn ihre strategischen Absichten und ihre Rechtsdrift beim Namen genannt werden. Empört reagierte deshalb die Brandenburger PDS-Führung darauf, das die Kritiker sich selbst als „Linke“ bezeichnen. Sie meint, niemand in der PDS stehe rechts, die PDS stehe vorn; was immer dieser Unsinn bedeuten soll.

Die bisherige Übermacht der Führung darf für die Linken in der PDS kein
Grund sein, weiter in der passiven Opposition zu verharren. Es könnte sich einiges ändern, wenn es nun endlich einmal gelänge, aus der Wut der Basis zur konkreten Aktion zu kommen. Bisher ist der Unmut leider zu oft wirkungslos verpufft, weil taktische Rückzüge von A. Brie & Co. mit Niederlagen verwechselt wurden. Die Kommunistische Plattform, das linken Feigenblatt der PDS, hat sich immer geweigert, ihrem inhaltlichen Protest irgendwelche wirksamen organisatorischen Strukturen folgen zu lassen, mit denen allein ein offener politischer Kampf gegen die Partei-Rechten möglich ist. Diese Feigheit der KPF gegenüber der eigenen Parteiführung ist ebenso ein Erbe des Stalinismus, wie manche ihrer Positionen. Der hoffnungsvolle Ansatz des Marxistischen Forums mutierte schon nach kurzer Zeit zum medienwirksamen Prügelknaben der Führung, anstatt zum breiten Sammelbecken der Unzufriedenen zu werden.

Es ist fünf vor zwölf und wann, wenn nicht anläßlich eines undemokratischen Manövers, die Richtung der Partei durch Revision des Programms nach rechts zu verschieben, sollte der beste Zeitpunkt für das einheitliche und entschlossene Handeln der Linken sein ?

Peter Feist/Dieter Wilhelmi