Verfahren abgeschlossen, aber nicht zu Ende -
Kommentar zum Ausschlußverfahren des PDS-Parteivorstandes gegen Gerhard Branstner

Wieso des „Parteivorstandes gegen Branstner“ werden einige fragen?, Michael Brie hat doch den Ausschlußantrag gestellt. Sie fragen dies, um ihre Objektivität zur Schau zu stellen, in Wirklichkeit aber, um das Geschäft der Ausschliesser direkt oder indirekt zu besorgen.

Wer das Gebaren der Gruppe um G. Gysi seit 1990 genauer verfolgt hat und gelegentlich mit Indiskretionen aus diesem Machtzirkel versorgt wurde, kann keinen Zweifel haben, daß dieses eine gemeinsame Aktion der Gysi-Fraktion war.

Natürlich wird das heftig bestritten werden (und ist schon im Laufe des
Verfahrens geleugnet worden), aber niemand wird uns glauben machen können, das ein Mann von Statur M. Bries von alleine auf eine solche Idee kommt und sie dann auch noch allein durchzieht. Ein solch begnadeter ewiger Rückversicherer wie er hat auch diesmal im Auftrag des „Big Brother“ der Partei gehandelt.

Der Stein des Anstoßes war der von G. Branstner geforderte Klartext. Also reden wir Klartext, in manchen vielleicht etwas offener, als es das Parteimitglied Branstner konnte, wobei ich ihm bescheinige, daß ihn bisher niemand in der PDS bei der Klarstellung der ideologischen und politischen Linie der Gysi-Fraktion übertroffen hat. Gerade diese exakte Bloßlegung des ideologischen Verrats der Gysi-Fraktion am (Um-) Gründungskonsens der PDS machte den Fall Branstner für beide Seiten so exemplarisch.

Für die Gysianer war dies der Punkt, von wo aus es endlich möglich wurde, die schwere Niederlage auf dem Parteitag (Nato-Kriegsbeteiligung) in eine Niederlage der noch in der Partei verbliebenen Sozialisten zu verwandeln und zugleich die „Altgläubigen“ wenn nicht rauszudrängen, so doch zumindestens zum Schweigen zu bringen. Selbst wenn dies nicht gelingen sollte, so konnte man doch
endlich mal testen, wie stark die beiderseitigen Bataillone waren. Und für
die Sozialisten in der PDS war das Branstnersche Pamphlet und seine politische Verteidigung die letzte Möglichkeit, nicht nur Flagge zu zeigen, sondern vor allem in der für Sozialisten existentiellen Frage (über die sich in der Geschichte der Arbeiterbewegung die wichtigste Spaltung
-Sozialdemokraten/Kommunisten - vollzogen hat), der Beteiligung an einem imperialistischen Krieg, die letzte Widerstandslinie gegen den Reformismus zu errichten.

Sicher wäre es überzogen, den „anstößigen“ Artikel allein als Ursache der dramatischen Parteitagsentscheidung zu sehen, aber er hat die Partei vor dem Kongreß in außergewöhnlicher Weise für dieses Thema sensibilisiert und zum Teil gespalten. Weil Branstner die scheinbar unverfängliche Frage der Regierungsbeteiligung mit der Kriegsfrage verbunden hat, traf er den Reformismus in sein bürgerliches Herz.

Nun sind die Gysileute solche Bloßstellungen nicht nur von Branstner,
sondern in primitiverer Form, auch von anderen gewöhnt, aber bisher sind solche Attacken ohne Folgen geblieben, nach dem Prinzip: „Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter“. Diesmal hat sich aber ein kleiner Hund dermaßen in der Wade des Leitkamels verbissen, dass die Karawane ins Stocken kam und sogar teilweise umkehren musste, um im Bild zu bleiben. Also hieß die Losung „Schlagt den Hund tot“, da man ja die Kamele bei Strafe des eigenen Unterganges nicht bestrafen konnte. Die öffentliche politische Exekution von Branstner war ein
Gebot der gysianischen innerparteilichen Machtpolitik. Wer aber dann an eine individuelle Aktion von M. Brie glaubt, unterschätzt den internen
Fraktionszwang der Gysi-Gruppe oder ist schlichtweg politisch dämlich.

Was der ganzen Affäre eine tragische Note gab, ist die handelnde Hauptfigur Gysi selbst. Schon mehrfach seit 1990 hatte er immer dann, wenn die Partei seinem Weg nach rechts nicht schnell genug folgen wollte oder konnte, mit seinem Rücktritt gedroht und damit immer seine innerparteilichen Kritiker ausgeschaltet. Denn aus Angst, den Medienstar und „Retter der Partei“ zu verlieren, schluckten die Delegierten verschiedener Abstimmungsveranstaltungen selbst die giftigsten Kröten. Auch diesmal gab es ein sorgfältig vorbereitetes Szenario: man zwingt der Partei eine von niemanden gewollte Programmdebatte auf, um
sich für „die Regierungsbeteiligung fit zu machen“ (in der Hoffnung, das
Sozialisten wie Altgläubige sich von diesem Kampf der Theorien ablenken lassen und den weiteren Umbau der PDS zu einer bürgerlichen Partei hinter den programmatischen Phrasen nicht mitbekommen), beschäftigt den Parteitag mit für die Partei in der gegenwärtigen Situation drittrangigen Themen und landet da, wo man hin will, mitten in der bürgerlich-parlamentarischen Ausbeutergesellschaft des vereinten Deutschland. Genau da kommt nun G.B. und denunziert das Ganze,
indem er in Klartext das Ziel benennt -den Arsch von G. Schröder. In den man auch noch kriechen will, bevor er ihn hinzuhalten bereit ist.

Vom Erfolgstaumel blind und taub, werden Alarmsignale in der Partei (wie ein Antrag auf dem Brandenburgischen Landesparteitag gegen eine
Nato-Kriegsbeteiligung, der für den LV völlig überraschend, eine große Mehrheit bekommt) nicht ernst genommen und die Gysi-Fraktion erleidet in einer bei der Regie nicht vorgesehenen Frage eine schwere Abstimmungsniederlage. Unser tragischer Held Gregor der Eitle verzeiht seinen Schäfchen ihren Ungehorsam nicht und nutzt sein Lieblingserpressungsmittel - er kündigt seinen Rücktritt an.

Vorangegangen sind dem, wenn man den Zeugen glauben kann, stundenlange Tobsuchtsanfälle hinter den Kulissen des Parteitages. Aber die Wirkung bleibt diesmal aus: anstatt ihn reumütig um Verzeihung zu bitten und sein Verbleiben in Amt und Würden unter Preisgabe aller vorherigen Positionen zu erbetteln, nehmen die Delegierten die Sache - zwar verwundert und ein bißchen wehmütig - einfach zur Kenntnis. Nun wird unser Held wirklich tragisch - er, der nach einem gelungenen
Parteitag in großer Geste seinen Abschied ankündigen wollte, sieht sich nun mit dem Vorwurf konfrontiert, eine schlechter Verlierer zu sein, der nicht einmal eine Abstimmungsniederlage mannhaft einstecken kann und gleich zurücktritt. Das verlangt natürlich nach Rache und zwar nach einer exemplarischen. Da kommt G.B. ins böse Spiel und der noch einigermaßen respektierte Michael Brie (weil der im Gegensatz zu seinem Bruder Andre‘ in der Parteiöffentlichkeit nicht als Vorreiter des Rechtskurses verschrien ist) spielt den Beleidigten. Das Ganze macht aber leider großen Skandal: zum einen sind Parteiausschlüsse noch aus SED-Zeiten sehr unbeliebt und diskreditieren den Anzeigenden mehr als
den Angezeigten und zum Anderen sehen sich sogar ideologische Gegner von Branstner gezwungen, sich mit ihm zu solidarisieren, nach dem Motto „Wehret den Anfängen“. Das Resultat ist für Gysis Mannen sehr beschämend: nach dem Ausschluß durch die Landesschiedskommission gibt es eine solche breite Solidarität
(oft mit dem Hinweis, das man sich von den kraftvollen Ausdrücken und
Benennungen des Branstner als westeuropäischer Kulturmensch selbstverständlich distanziere; als wenn die bürgerliche Wohlanständigkeit jemals eine Rolle in Richtungsdebatten der sozialistischen Bewegung gespielt hätte oder der große Gregor mit seinen politischen Gegnern freundlicher umginge), das der Ausschluß zum parteiinternen Politikum, ja sogar zur Nagelprobe der Entstalinisierung wird.

Obwohl das ND auf höhere Weisung eine veröffentlichte Meinung herzustellen bemüht ist, kann keinem die große Solidarität vor allem der
Parteiintellektuellen und Künstler mit dem Angeklagten verborgen bleiben.

Die Schiedskommissionen machen einen verhängnisvollen Fehler: sie vermeiden es ängstlich, auf die inhaltlichen Argumente von G.B. einzugehen und wollen nur die formale Seite diskutieren, ein Verfahren bei dem sich die Solidarität für den Angezeigten in der Partei nur noch erhöht, zumal G.B. keine Möglichkeit ausläßt (und dabei von der jungen Welt unterstützt wird, weil das ND sich verweigert) seine Gegner in diesem unwürdigen Verfahren als das dastehen zu lassen, was sie sind, als Hanswurste.

Die Gefahr wird immer größer, das sich zwischen Parteihierarchie und
Mitgliedern ein Spalt auftut. Solidarität und Verfahrensfehler zwingen Brie und Co. zum Rückzug in mehreren Stufen. Schon im Verfahren vor der
Landesschiedskommission bietet er G.B. an, alles zurückzunehmen, wenn sich dieser nur entschuldigen würde, für den Beobacher eine peinliche Situation, die der Angeklagte aus Menschlichkeit nicht einmal für sich ausnützt.

Die Bundesschiedskommission gibt in ihrer Urteilsbegründung zwei Dinge unumwunden zu: 1. daß man den Querulant eigentlich ausschließen müsste und auch genug Gründe dafür hätte (und nicht nur solche des guten Geschmacks) und 2. daß man es nicht kann, mit Rücksicht auf die Stimmung in der Partei. So stimmt sie dann auch ab: vier dafür, vier dagegen, zwei Enthaltungen,- ein getreuliches Abbild der innerparteilichen Situation, noch hat der Apparat die Partei nicht soweit im Griff, daß er alles ohne Rücksicht auf die Stimmung in ihr durchziehen kann, - noch. Man kann Branstner nur zustimmen, wenn er resümiert:
„Die Bundesschiedskommission hat den Ausschluß nun nicht etwa aufgehoben, weil sie den allgemeinen Konsens achtet und politische Vernunft geltend machte, sondern weil sie im Gegenteil den Konsens fürchtete und noch größeren Arger vermeiden wollte“.

Der Krieg gegen den Reformismus ist für die Sozialisten in der PDS längst verloren, auch wenn sie diesmal noch eine kleine Schlacht gewonnen haben. Ohne eine wirkliche politische Revolte der Basis gegen den durch und durch verbürgerlichten Partei- und Abgeordnetenapparat und die Beseitung des von Gysi und seiner Gruppe in den letzten Jahren über die Partei gestülpten Systems von
politischer Macht gekoppelt mit persönlichen Abhängigkeiten, gibt es hier keine Hoffnung mehr auf eine Umkehr. Deshalb scheint mir die Zeit gekommen, in der jeder anständige Sozialist prüfen muß, wie lange er dieser Partei noch die Treue halten kann, sei es als Mitglied oder als Wähler. Diese Frage wird sich auch das Wieder-Mitglied G. Branstner stellen müssen.

Autor: Peter Feist
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Quelle: Kalaschnikow - Das Politmagazin
Ausgabe 16, Heft 3/00, S. 45f.