Widersprüche aushalten -
Parteiausschluß gegen Gerhard Branstner
als stalinistischer Rückfall der PDS

Eigentlich hatte ich nach 1989 gehofft, so etwas nie wieder erleben zu
müssen: ein Parteiverfahren, in dem ein Genosse wegen »ideologischer Abweichung« aus einer Partei ausgeschlossen wird. Schon gar nicht hatte ich damit gerechnet, daß so etwas in der PDS, die auf ihrem Gründungsparteitag den Bruch mit dem Stalinismus postuliert hatte, geschehen würde.

Nun hat mich die Geschichte eingeholt. Was ich am Sonnabend im
Karl-Liebknecht-Haus als Gast mitansehen und -hören mußte, war ein Parteiverfahren im alten Stil, im Tonfall einzelner Beteiligter einem stalinistischen Schauprozeß nicht unähnlich. Nicht nur, weil mein Freund und Genosse Gerhard Branstner mit dem Schreibtischmörder Wyschinski verglichen wurde und sowohl vom Vorsitzenden wie vom Ankläger ständig Krokodilstränen vergossen wurden, weil sie gezwungen seien, so ein unangenehmes Verfahren durchzuführen, sondern vor allem,
weil wie in einem echten Schauprozeß das Ergebnis von Anfang an feststand. Ich höre sie schon schreien: Verleumdung! Aber wie soll man eine Landesschiedskommission bewerten, die schon im Eröffnungsbeschluß, ohne dem Angeklagten die Möglichkeit zu geben, sich zur Sache zu äußern, feststellt, der Ausschlußantrag sei zulässig und begründet?

Was soll man vom Vorsitzenden einer solchen Kommission halten, der sich, als G. Branstner wegen des vorverurteilenden Eröffnungsbeschlusses die Kommissionsmitglieder alle für befangen erklärt, weigert, den Befangenheitsantrag (wegen Verletzung von Formvorschriften, die G. Branstner nicht kennen konnte, weil sie ihm nicht zugestellt worden waren) zu Protokoll zu nehmen? All diese Umstände waren schon merkwürdig genug, aber es sollte noch schlimmer kommen.
Ich erinnere mich noch gut: Als die SED-Führung ab Mitte der achtziger Jahre Probleme mit einigen meiner Auffassungen bekam, hörte ich mehrfach in offiziellen Verfahren wie in internen Gesprächen den Vorschlag, wenn ich so große Probleme mit der Politik der Parteiführung hätte, dann könnte ich doch aus der Partei austreten, das wäre doch für alle das Beste. Der Vorsitzende der Landesschiedskommission hatte eine besondere Variante dieses Vorschlages zu bieten. Er fragte Genossen Branstner mehrmals ernsthaft, warum er denn nicht schon
längst einen Ausschlußantrag gegen Gregor Gysi gestellt hätte, wenn er so viel an ihm zu kritisieren habe.

»Was ich selber denk und tu, trau ich auch dem anderen zu«, sagte meine Großmutter in solchen Situationen. Ein gelernter Stalinist bleibt offensichtlich in den meisten Fällen einer, ihm fällt nichts anderes ein, als einen politischen Streit durch Ausgrenzung, Ausschluß oder Abschluß der Debatte zu führen. Daß es Branstner gerade darum ging, die vorhandenen Widersprüche und Differenzen in der PDS sichtbar zu machen und die strittigen Fragen offen zu diskutieren, dies war der Kommission besonders suspekt. Eigentümlich war auch, daß niemand zur Kenntnis nehmen wollte, daß der von Branstner angegriffene Gysi gerade in der von Branstner in den Mittelpunkt gestellten Frage NATO- Kriege auf dem Parteitag eine herbe Niederlage einstecken mußte, die gerade die Berechtigung der Kritik deutlich gemacht hatte. Oder war das der eigentliche Grund für das Parteiausschlußverfahren und die mehr
als parteiische Haltung der Kommission?

Noch ein Wort zum Ankläger: Da gelingt es einem deutschen Philosophieprofessor, über den kulturellen Fortschritt in Sachen Toleranzprinzip seit 1789 zu sprechen und dieses für die PDS einzufordern, genau in dem Augenblick, in dem er ein Parteiausschlußverfahren, das er selbst beantragt hat, begründen will.
Ist das nun Satire oder Schizophrenie? Mich verbindet mit Michael Brie aus DDR-Zeiten so manches, unter anderem, daß ich einmal kurze Zeit sein Student war, aber noch mehr, daß wir einen gemeinsamen philosophischen Lehrer hatten. Dieser Lehrer, Gottfried Stiehler, hat
uns einen wichtigen dialektischen und politischen Grundsatz immer wieder zu vermitteln versucht: Wer den Widerspruch als Triebkraft anerkennt, der muß den Gegensatz aushalten können. Obwohl Michael Brie damals selbst von intoleranten Kollegen immer aufs neue ausgegrenzt wurde, haben wir als Studenten ihn solidarisch unterstützt, auch und gerade, wenn wir manche seiner Thesen nicht geteilt haben, eben weil es darum ging, den Gegensatz auszuhalten.

Heute kann er ihn nicht aushalten und greift zu einem Mittel, dessen Opfer er früher selber war: dem Parteiverfahren. Schade, daß M. Brie so vergeßlich ist und damit unseren gemeinsamen Lehrer, wieder einmal, verraten hat. Den Sozialismus hat er leider schon lange vergessen, deshalb ist er verraten und verkauft.

Peter Feist, Berlin (erschienen in  der "jungen Welt" vom 2.Mai 2000)