Buchbesprechung:

Christa Luft "Zwischen Wende und Ende",

erschienen 1991 im Aufbau-Verlag

Ein Zauberlehrling legt Rechenschaft ab

von Dieter Elken

"Zwischen Wende und Ende" - so betitelt Christa Luft, vom 18. November 1989 bis zum 18. März 1990 "Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats für Wirtschaft" der DDR, die "Wirtschaftsministerin" der Modrow-Regierung, ihr Buch über ihre während dieser Periode gemachten Erfahrungen. Die Darstellung ihrer Erlebnisse, ihr Bemühen, Hintergründe und eigene Handlungsmotive zu schildern, soll der Legendenbildung entgegenwirken. Tatsächlich gerät der Bericht zur Rechtfertigung und Musterdarstellung von DDR-Befindlichkeit wenigstens für den an Gorbatschow orientierten Teil der Intelligenz, für die "Reformer".

Marktwirtschaft in dar DDR "hoffähig" gemacht

Christa Luft - Kräfteverhältnisse verpflichten - ist vor allem daran gelegen, sich gegen Kritik von rechts zu verteidigen: Extensiv erinnert sie daran, daß bedeutende Repräsentanten des deutschen und internationalen Kapitals dem Kurs der Modrow-Regierung zunächst zugestimmt hatten. Einem Kurs, den sie wie Modrow selbst als einen der "nationalen Verantwortung" beschreibt. Stolz bilanziert sie: "Zum anderen hat die erste "Nach-Wende-Regierung" mit ihrem Bekenntnis zur sozialen und ökologisch orientierten Marktwirtschaft diese neue Wirtschaftsordnung in der DDR-Öffentlichkeit, vor deren Augen und Ohren, überhaupt erst "hoffähig" gemacht. ...Damit wurden entscheidende Weichen für eine wirtschaftliche Kopplung der beiden deutschen Staaten gestellt."

Was in der Modrow'schen Regierungserklärung noch schönfärberisch "marktorientierte Planwirtschaft" genannt wurde, war bei ihr der Kurs auf eine "notwendige radikale Wirtschaftreform, für einen Systemwandel". Bei Christa Luft "hatte sich im Laufe der Jahre die Erkenntnis von der Notwendigkeit eines qualitativ neuen, auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaftssystems verdichtet." Ihr Credo: "Der Markt müßte gegenüber seiner bisherigen plakativen Rolle, die ihm der Plan zugestanden hatte, unter einem völlig neuen Aspekt zum Tragen kommen: als historische Errungenschaft der menschlichen Zivilisation. Nur so könnten sich Kreativität, Flexibilität und Innovationsgeist entfalten. Der Markt ist das Medium, in dem sich die Bürger als freie Konsumenten emanzipieren."

Markt - ohne Privatisierungen nicht zu haben

Gegen schlechte Zensuren von Otto Graf Lambsdorff, begründet damit, sie hätte die Notwendigkeit von Privatisierungen nicht ausreichend verstanden, wehrt sie sich: "Natürlich bedurfte ich keiner Belehrung, daß Marktwirtschaft ohne Privatisierung nicht zu haben ist, .., übrigens war die Privatisierung der 1972 enteigneten privaten und halbstaatlichen Betriebe bereits in die Wege geleitet. ...und bis zum 18 März hätte sich auch rein praktisch eine Privatisierung weder in den genannten noch in geringeren Dimensionen bewerkstelligen lassen."

Marktwirtschaft und nationale Vereinigung

- ehrlichen Herzens angestrebt

Obwohl die Autorin meint, daß es noch zu früh sei, ein Urteil über den historischen Platz des Übergangsregimes Modrow abzugeben, läßt sich aufgrund dieser ökonomischen Kernbilanz doch feststellen, daß bereits die zwei Modrow-Kabinette die entscheidenden Weichen für die Restauration des Kapitalismus in der DDR gestellt hatten. Und zwar nicht nur durch Stillhalten und durch Gewährenlassen der während des Aufbruchs im Herbst 1989 entfesselten gesellschaftlichen Kräfte.

Christa Luft verweist mit Stolz auf die historischen "Leistungen" der Modrow-Regierung, deren "Mannschaft" nicht "pauschal Untätigkeit und Reformunfähigkeit" vorgeworfen werde dürfe. Sie hat ehrlichen Herzens die Marktwirtschaft und die Vereinigung Deutschlands "mit den geringstmöglichen sozialen Härten" angestrebt.

Weil für sie günstige Rahmenbedingungen für die Marktwirtschaft Priorität genossen, brüstet sie sich damit, die im Herbst 1989 aus den Fugen geratene gesellschaftliche Stabilität wiederhergestellt zu haben. Ihr und der Modrow-Regierung galt es, das oft drohende Chaos (zu) verhindern", das das "Klima in Europa, aber auch das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten ernsthaft hätte belasten können.

Diese historischen "Leistungen" lassen sich nicht leugnen. Die Einbindung und Paralysierung der gesamten, völlig konzeptionslosen politischen Opposition um den Runden Tisch, die gelungene Entpolitisierung der Wirtschaft (Verhinderung bzw. Eindämmung von Streiks. Blockierung aller Ansätze zur betrieblichen Arbeiterkontrolle, Verbot und Verhinderung politischer Betätigung in den Betrieben) waren in der Tat Meilensteine der kapitalistischen Restauration.

Das Kapital hätte also allen Grund zur Dankbarkeit. Es ist aber nicht dankbar, sondern rücksichtslos und abweisend. Es bietet den vielen restaurationistischen Kräften der DDR weder einen Platz an der Sonne, noch einen kleinen, kuscheligen im Stillen. Christa Lufts Bilanz zeigt ihre ganze Empörung und Fassungslosigkeit angesichts der kolonialistischen Arroganz, mit der die Assimilation des Anschlußgebiets durchgesetzt wird. Kein Zweifel, mit dieser Befindlichkeit kann sich die abgewickelte Intelligenz der DDR identifizieren, ob

Reformer, Wendehälse, Altstalinisten oder sogar nachdenkliche Immer-Noch-Linke.

Es wurde und wird weder begriffen, daß das Kapital in seinem Staatsapparat auf leitenden Positionen ausschließlich Personal brauchen kann und will, das jederzeit die Gewähr von Willfährigkeit bietet, noch, daß das Kapital für die sozialen Folgen seines Marktes einen Sündenbock braucht. die Repräsentanten des alten Regimes. Das Kapital muß deshalb alle ausgrenzen, die in der Vergangenheit als systemnah galten, ob zu Recht oder zu Unrecht, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Rein ideologische Ausgrenzung und Differenzierung sind miteinander unverträglich. Rufe nach Gerechtigkeit verhallen angesichts dieser Interessenlage ungehört.

Bekenntnis zur "sozialen und ökologischen Marktwirtschaft"

Christ Luft hält dem Druck von rechts trotzig ihr Bekenntnis zur sozialen und ökologischen Marktwirtschaft entgegen. Unter Berufung auf diese hehre Zielsetzung lehnt sie die zustandegekommene häßliche Wirklichkeit im Anschlußgebiet ab. Marktwirtschaft ist für sie nicht notwendig mit den jetzt zustandegekommenen Resultaten gleichzusetzen: "Es war kein Opportunismus, sondern Überzeugung, wenn ich in Reden, Interviews und Artikeln Marktwirtschaft nicht von vornherein mit dem gegenwärtigen Kapitalismus gleichsetzte. Mit welchem denn auch? Er hat viele Gesichter! Ich hielt und halte sie für ein System, das in seinem sozialen und ökologischen Charakter von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt wird. Marktwirtschaftliche Beziehungen entwickelten sich über Jahrtausende unter sehr unterschiedlichen Gesellschaftsformationen. Auch weisen sie in den einzelnen kapitaldominierten Ländern in Abhängigkeit von den konkreten historischen Gegebenheiten und dem politischen Kräfteverhältnis erhebliche Unterschiede in der ökologischen und sozialen Ausgestaltung, ja selbst in der Eigentumsordnung auf.

...Die in Theorie und Praxis noch nicht beantwortete Frage lautet allerdings, ob das den entscheidenden Platz einnehmende Privateigentum Kapitalcharakter tragen muß oder auch, inwieweit zum Beispiel genossenschaftliches Eigentum die notwendige Selbständigkeit für marktwirtschaftliches Handeln gewährleisten kann."

Niemand kann sich "seinen" Kapitalismus aussuchen

Diese Auffassung, unter osteuropäischen Wirtschaftsreformern weitverbreitet, begreift den Markt vorrangig als Ordnungsinstrument, als beliebig einsetzbares und manipulierbares Strukturmodell staatlicher Wirtschaftspolitik. Die absurde (und urstalinistische) Vorstellung voneinander separierter Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen wirkt fort. Die Welt wird nicht als integriertes imperialistisches Gesamtsystem begriffen, sondern als Summe nationaler Volkswirtschaften nach Art des RGW.

Nur folgerichtig ist dann die naive Vorstellung, sich angesichts der ungleichzeitigen Entwicklung der Weltwirtschaft die optimale Sorte Marktwirtschaft (ein "Modell") aussuchen zu können. Wenn Christa Luft rhetorisch fragt, mit welchem Kapitalismus Marktwirtschaft gleichzusetzen sei, suggeriert sie die osteuropäische Lieblingsvision - einen kapitalistischen Querschnitt aus Schweiz, Schweden und Alt-BRD mit Greenpeace-Ministern: das poststalinistische Schlaraffenland.

Doch Weltmarkt, internationale Arbeitsteilung, Produktivitätsgefälle und die daraus resultierenden Kräfteverhältnisse (politische Durchsetzbarkeit protektionistischer Maßnahmen) weisen jedem Land seine spezifische Form von Kapitalismus zu. Daß das Gefüge des imperialistischen Weltsystems nicht statisch ist, sondern hier und da Verschiebungen und Positionswechsel zuläßt, ändert daran nichts.

Eine "sanfte Restauration" war ausgeschlossen

Modelltheoretiker mögen über die Mach- und Wünschbarkeit des Grundsatzes Sanierung statt Privatisierung für die Treuhandanstalt spekulieren. Die Politiker des Kapitals, jedenfalls die, die gerade verantwortlich zu entscheiden haben, sind angesichts stagnierender Zuwachsraten im Welthandel und bestehender industrieller Überkapazitäten an keiner Sanierung interessiert. Die Entwertung der Industrie im Osten, der Kahlschlag und die Aneignung brauchbarer Betriebsteile zur Arrondierung der eigenen Produktpalette oder der Kauf von Immobilien nur zur Verwertung sind daher aus kapitalistischer Sicht die einzig sinnvollen Maßnahmen.

Die BRD-Politik konnte sich auf einen sanften Übergang nicht einlassen. Eine langsame Transformation bei formal weiterbestehender DDR hätte wegen der von allen erwarteten sozialen Turbulenzen u.U. sogar die Verwirklichung der staatlichen Einheit gefährdet und die heikelste politische Herausforderung der deutschen Bourgeoisie zur Ausführung Politikern überlassen, denen diese grundlegend mißtraute. Der DDR mußte deshalb die eigenständige wirtschaftspolitische Steuerungsfähigkeit genommen werden: Deshalb die überhastete Währungsunion, deshalb der übereilte Anschluß, deshalb die Inkaufnahme chronischer ökonomischer Ungleichgewichte im vereinigten Deutschland.

Die osteuropäischen Wirtschaftsreformer des Poststalinismus, zur Marktwirtschaft konvertierte Zauberlehrlinge, mögen dem imperialistischen Kapitalismus alle ihre Wünsche als realisierbare Eigenschaften andichten - sozial soll er sein, ökologisch soll er sein, für alle funktionieren soll er, regelbar soll er sein. Aber der siegreiche Kapitalismus blüht nicht. Die Kapitalverwertung stößt global auf Schwierigkeiten. Die Regulationsfähigkeit nationaler Volkswirtschaften wird begrenzt durch die Rahmenbedingungen des Weltmarktes. Wer dennoch die Restauration des Kapitalismus betreibt, ist für die Folgen verantwortlich, ob er/sie sie wahrhaben will oder nicht.

Erstveröffentlichung 1994